Der 62-jährige Noor R. bekennt sich vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Andreas Böhm weder schuldig noch unschuldig.

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Wien – 26 Stich- und Schnittverletzungen hat der medizinische Sachverständige Christian Reiter an der Leiche von Rahima R. gezählt. "Ich übe diesen Beruf jetzt seit 40 Jahren aus, aber in solch imposanter Form habe ich es selten erlebt", erklärt der Mediziner den Geschworenen im Prozess gegen Noor R., der am 27. November die Waffe gegen seine Ehefrau eingesetzt haben soll.

Der 62 Jahre alte Angeklagte bringt es in dem unter Vorsitz von Andreas Böhm verhandelten Prozess zustande, sich weder schuldig noch nicht schuldig zu bekennen. Auf die entsprechende Frage Böhms gibt R. keine Antwort, sondern beginnt von seinem Leben zu erzählen.

Polizist in Afghanistan, Häftling im Iran

In seiner Heimat Afghanistan sei er Polizist gewesen und habe eine Antiterrorausbildung erhalten, die zu Einsätzen auch in Pakistan und im Iran geführt hätte. Im Iran sei er zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt worden – das Regime habe ihn anwerben wollen, behauptet R. dazu.

Zur Verwirrung des Vorsitzenden lässt R. übersetzen, dass er die zwölf Jahre jüngere Rahima im Jahr 1381 geheiratet habe – was im gregorianischen Kalender dem Jahr 2002 entspricht. Im Jahr 2011 kam der Angeklagte dann allein nach Österreich, fünf Jahre später holte er die Gattin und damals drei Kinder nach, zwei weitere bekam das Paar in Österreich.

R. schildert die Beziehung vor Gericht so: "Ich habe meine Frau sehr geliebt. Ich hätte mir eine aus vier anderen Heiratskandidatinnen aussuchen können, aber ich habe sie gewählt." Und: "In Afghanistan hat sie mich sogar 'Herz' genannt. Aber als sie nach Österreich kam, hat sich alles geändert."

Erste Verurteilung 2017

Die Staatsanwältin stellt das anders dar: Schon in Kärnten, wo die Familie zunächst untergebracht wurde, habe es Anzeigen der Frau wegen Vergewaltigung, Körperverletzungen und Drohungen gegeben. Im November 2017 wurde der Arbeitslose vom Landesgericht Klagenfurt wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung zu einer Geldstrafe verurteilt. "Meine Frau hat eine Kleinigkeit maßlos aufgebauscht", moniert der Angeklagte.

Im Februar 2019 folgte die Übersiedelung in die Bundeshauptstadt, die Situation verbesserte sich nicht: Die älteren Kinder berichten von Streitereien und Schlägen gegen Frau und Nachwuchs. R. bestreitet das: "Als Polizist habe ich gelernt, Ruhe zu bewahren." Seine Frau habe ihn und die Kinder zwar immer provoziert und auch körperlich attackiert, er habe dann aber immer die Eskalation vermieden und habe die Wohnung verlassen, behauptet er.

Sohn nahm Streit mit Handy auf

Auch am Tattag sei es zu einem Streit gekommen, in dem es offenbar um Geld ging. Das geht aus einer Tonaufnahme hervor, die eines der Kinder mit dem Mobiltelefon aufgenommen hatte. Geschenkt hat sich das Paar offenhörbar nichts: "Ich hasse Dich wie Scheiße. Geh, du Schwuchtel. Du Tänzer!", ist die Frau laut Vorsitzendem zu hören. Der Angeklagte rät ihr zum Suizid und stellte klar: "Wenn du eine richtige Ehefrau wärst, wäre ich ein richtiger Ehemann."

Laut R.s Darstellung habe ihn seine Frau auch gezwickt und geschlagen, nachdem sie eine Tochter mit dem jüngsten Kind, einem dreieinhalb Wochen alten Mädchen, aus dem Zimmer geschickt hat. Er habe die Wohnung verlassen wollen, kehrte aber doch nochmals ins elterliche Schlafzimmer zurück. "Dort hat sie ein Messer auf mich gerichtet. Ich habe mich so unter Druck gefühlt. Plötzlich habe ich gesehen, dass das Messer in meiner Hand war und meine Frau vor mir lag." Ob er zugestochen habe, will er aber nicht sagen.

Drohung gegen Tochter

Zwei der Kinder sahen zumindest Teile der Tat, die Tochter wollte die Mutter noch schützen. Die Reaktion des Angeklagten laut seiner Tochter: Er nötigte sie mit der Drohung "Verpiss dich! Geh weg, sonst stech ich dich auch!", das Zimmer zu verlassen. Ein Sohn alarmierte die Polizei. Als die eintraf, hielt Noor R. sein zweitjüngstes Kind laut Polizistin wie ein Schutzschild vor den Kopf, ehe er es auf zweimalige Aufforderung absetzte.

Während der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann berichtet, dass R. psychisch gesund und daher zurechnungsfähig sei, kann Gerichtsmediziner Reiter den Laienrichtern noch von einer interessanten Entdeckung berichten: Die Eileiter der Toten waren unterbunden. Laut Krankenhaus habe sie vor der letzten Geburt dabei gebeten, diesen Eingriff vorzunehmen. Das widerspricht der Aussage des Angeklagten, dass er eigentlich mit vier Kindern zufrieden gewesen sei, seine Gattin aber unbedingt weitere haben wollte.

Monika Ohmann, die Privatbeteiligtenvertreterin der Kinder, will für die vier Minderjährigen jeweils 20.000 Euro an Trauer- und Schockschmerzensgeld. "Ich habe kein Geld, alles, was ich vom Staat bekommen habe, hat meine Frau genommen!", stellt der Angeklagte zunächst klar, ehe er den Anspruch grundsätzlich akzeptiert.

Verteidiger sieht "regelrechten Rausch"

Verteidiger Thomas Nirk versucht in seinem Schlussplädoyer nochmals darzustellen, dass sein Mandant "völlig entwurzelt" sei, ihn "der fehlende Respekt, den er sich von seiner Frau erwartet" habe, empört habe und R. "in einen regelrechten Rausch gefallen" sei.

Die Geschworenen sehen keinen Grund, lange zu beraten, und erkennen R. nach gut 30 Minuten einstimmig wegen Mordes an seiner Gattin und Nötigung seiner Tochter für schuldig. Die Strafe lautet auf lebenslange Haft. Laut Vorsitzendem Böhm die einzig mögliche Entscheidung "bei einem derart sinnlosen, brutalen Verbrechen". (Michael Möseneder, 9.10.2020)