Gedreht wird ein Konflikt auf dem Schulhof. Beim Filmen von Kurdwin Ayubs "Sonne" spielten sich aber schon ganz andere Dramen ab.

Foto: Christian Fischer

Da kommt Freude auf: Fieber messen, dann Abstrich.

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Wenn sich die erste Person reckt, hat wieder ein Drehtag am Set von Sonne begonnen. Die Teammitglieder von Kurdwin Ayubs Spielfilmdebüt stehen schon brav für den schwer beliebten Rachenabstrich an. Durchgeführt wird er heute von einem der Hauptdarsteller des Films, Ayubs Vater Omar, der eigentlich Arzt ist, aber nicht zum ersten Mal bei einer Produktion seiner Tochter vor der Kamera steht. Die Krankenschwestern, die normalerweise am Set dafür zuständig wären, sind ausgefallen – eine hatte Kontakt zu einer infizierten Person. Papa Omar sprang ein. Eine Drehwoche steht noch an. Die möchte man unbedingt Corona-frei über die Bühne bringen. Denn das Virus hat dem Dreh von Ayubs Sonne, einer Familien-Dramedy, ohnehin schon genug zugesetzt.

Katastrophe für die Branche

Im Frühling starteten die Dreharbeiten für die Ulrich-Seidl-Produktion, und neun Tage von den fünf bis sechs anberaumten Drehwochen waren im Kasten, als der pandemiebedingte Stopp kam. "Weltuntergangsstimmung hatten wir dann. Ständig hat man von anderen Sets gehört, wo sie bereits abgebrochen haben oder gerade dabei waren", erzählt die Regisseurin. Ursprünglich wollte sie im Juni weiterdrehen; zuerst nahmen die Fernsehproduktionen die Arbeit wieder auf, Kinoproduktionen mussten warten.

Einige Teammitglieder hinter der Kamera waren also gezwungen Jobs dort anzunehmen, wo sie schon verfügbar waren. "Der allgemeine Drehstopp war eine Katastrophe für die Branche, denn er bedeutete für die Produktionsfirmen erhebliche Mehrkosten und für viele Filmschaffende einen kompletten Einnahmenentgang. Sehr viele Filmschaffende leben ohnedies in permanent prekären Verhältnissen, und der Shutdown hat das nochmal verschärft", erklärt Marijana Stoisits, Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, die Lage.

So blieb Ayub nichts anderes über, als ihr kleines Team neu aufstellen. Mittlerweile war es Herbst geworden – die Szenen, die im Frühling gedreht worden waren, waren großteils unbrauchbar. Es ging von vorne los. "Am 29. August war unser erster Drehtag im zweiten Durchgang. Wir waren meines Wissens eine der ersten Kinoproduktionen, die wieder zu drehen angefangen haben", so Ayub.

Corona-Routine

Mittlerweile ist am Set Corona-Routine eingekehrt. Das Team hinter der Kamera ist mit 15 bis 20 Leuten relativ klein, ans Maskentragen und Handydesinfizieren hat man sich gewöhnt. Eine Wiener Schule ist das heutige Motiv. Dort findet der Schulbetrieb ganz normal statt. Den Filmleuten, die zwei Klassenzimmer beanspruchen, begegnen die Kids mit vorsichtigem Interesse. Eine der echten Schulklassen scheint ins Atrium des 70er-JahreBaus exiliert worden zu sein, wo sie dem Französischunterricht erstaunlich fromm lauscht.

Gedreht wird gerade vor der Schule. Ayub erklärt ihren jungen Darstellerinnen, von denen viele Laien sind, was sie zu tun haben, und verrät ihnen dabei nur so viel, wie sie wissen müssen, um die jeweilige Szene zu spielen. Die Regisseurin dreht chronologisch.

Freilich gibt es ein Drehbuch, trotzdem soll auch Raum für Improvisation vorhanden sein; der dokumentarische Stil, der auch Ayubs Produzenten Ulrich Seidl auszeichnet, ist neben der Arbeit mit Laiendarstellern etwas, was die beiden oberflächlich doch sehr unterschiedlich wirkenden Regisseure verbindet. Sie: junge Frau mit Migrationshintergrund, 1990 im Irak geboren. Er: nicht. Mischt er sich viel ein, der Seidl? "Nein, er ist eh leiwand", lacht Ayub.

100 Komparsen testen

Obwohl es irgendwann zu regnen beginnt, ist der heutige Dreh ein Spaziergang. Das Team hatte bereits weitaus schwierigere Szenen zu meistern. Da es in Sonne um ein Tic-Tac-Toe-ähnliches Gespann geht, das aufgrund eines viral gegangenen Internetvideos auf Festen auftritt und Konzerte gibt, gab es Drehtage mit bis zu hundert Komparsen. "Bei diesen großen Drehs mit vielen Menschen wurden alle am Tag vorher und am Drehtag selbst getestet. Von 100 Leuten waren immer zwei positiv, kann man sagen. Es war sehr teuer und mühsam, aber es ging darum, zu garantieren, dass dann am Set selbst niemand infiziert ist. Auch, weil ich Angst um meine Eltern habe. Die sind beide Hauptfiguren im Film, gehören zur Risikogruppe, und ich will natürlich nicht, dass die jemand ansteckt." Auch Produzent Seidl lässt sich eher selten am Filmset blicken, zu groß soll auch bei ihm die Sorge sein, sich mit dem Virus zu infizieren. Die Hauptdarstellerinnen sind nun mal Teenies, die abends schon mal Party machen. Alle Risiken lassen sich nicht beseitigen.

Eine Woche später ist die letzte Klappe gefallen, eine der wichtigsten Hürden in einem Prozess, der Ayub jetzt schon fünf Jahre lang beschäftigt, genommen. Im nächsten Jahr wird dann für die großen Filmfestivals eingereicht. Die Hoffnung besteht, dass zumindest diese dann wieder ohne Maske besucht werden können. (Amira Ben Saoud, 10.10.2020)