"Bist du deppert", murmelt Rudolf Anschober. Der Gesundheitsminister sitzt an seinem Schreibtisch und studiert die aktuellen Infektionszahlen in Europa. Er hält gerade bei der Zeile "Großbritannien", da fliegt die Tür zu seinem Büro auf – die Kabinettschefin. Sie stürmt herein und stöhnt laut auf. "Kein gutes Zeichen", witzelt Anschober. Und sie hat tatsächlich eine Hiobsbotschaft zu überbringen: Ein enger Mitarbeiter des Kanzlers ist Corona-positiv. Das war am Montag.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober steht seit Ausbruch der Pandemie im Fokus: gekippte Verordnungen, Ampelchaos – nicht nur mit guten Nachrichten.
Foto: Regine Hendrich

Anschober nimmt die Information gelassen, fast teilnahmslos auf. Die beiden gehen den Kalender durch. Wann hat der Minister den Betroffenen zuletzt gesehen? Seit wann zeigt der Kurz-Mann Symptome? Anschober ist kein K1-Kontakt, er muss nicht in Quarantäne. Kurz darauf wird er getestet: negativ – wie auch alle anderen Regierungsmitglieder.

Anschobers Stärke und Schwäche

Diese Besonnenheit, wenn um ihn herum Chaos ausbricht, sie ist Anschobers große Stärke und seine Schwäche zugleich. Er strahlt in solchen Momenten Ruhe aus, hört zu. Er entscheidet überlegt, agiert nie überstürzt. Gleichzeitig macht ihn diese Wesenseigenschaft starr. Sie lässt wenig rasches Handeln zu, Entscheidungen stehen oft lange aus.

In der Krise war das – zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung – offenbar kein Nachteil. Anschober hat vor Wochen Kanzler Sebastian Kurz als beliebtesten Politiker eingeholt. Doch in seinem Ressort wurden Fehler gemacht, die sich nicht einfach wegdiskutieren lassen – die groben juristischen Patzer, das Ampelchaos. Man fragt sich: Wie konnte das eigentlich alles passieren?

1. Die Verordnungen Der Verfassungsjurist Heinz Mayer ist einer von zehn altgedienten Experten, die das Gesundheitsministerium in rechtlichen Fragen beraten. Er sagt: "Die Qualität der Rechtsakte hat sich inzwischen deutlich verbessert." Das Ressort hat seit Anschobers Amtsantritt 118 Verordnungen erlassen, davon 103 zu Corona. "Aufgehoben wurden zwei", verteidigt Mayer die Arbeit seiner Kollegen. Wobei er zugibt: "Manches war haarsträubend" – etwa die höchstgerichtlich gekippten Ausgangsbeschränkungen oder auch die "katastrophale Einreiseverordnung".

Im Kabinett Anschobers hat man zwei Erklärungen für die Fehler parat: Erstens Zeitdruck, zweitens habe man zu wenige Juristen an der Hand gehabt – im März arbeiteten in der zuständigen Abteilung sechs Personen. Inzwischen wurde – inklusive Verwaltungspraktikanten – auf zehn Juristen aufgestockt.

Dynamiken und Führungsstil

Beamte finden einen weiteren Grund: Die Sektion für Öffentliche Gesundheit und Medizinrecht und damit ausgerechnet jene, die für Pandemien zuständig ist, arbeitet seit Ende 2019 ohne Chef. Anschober baut das Ministerium derzeit um, doch diese Leitungsfunktion ist bis heute unbesetzt. Manche legen ihm das als schwaches Management aus.

2. Die Corona-Ampel Fragt man Rudolf Anschober, ist die Ampel ein Erfolg. Er sei ein "Fan" des Instruments, sagt er gerne – mit der Einschätzung ist er aber ziemlich allein. Fast alle Experten sagen: Die Ampel war eine tolle Idee, die in der Umsetzung und Kommunikation völlig gescheitert ist.

Ein Problem ist die Konzeption der Ampelkommission: Sie besteht aus fünf Experten und 14 Vertretern von Ministerien und Ländern – sie ist de facto politisch besetzt. Die Experten machen Vorschläge, welche Bezirke wie eingefärbt werden sollen – dann wird darüber abgestimmt. Das heißt: Wer gut fraktioniert, kann Umfärbungen verhindern. Anschober wollte alle einbeziehen, hat aber die machtpolitischen Dynamiken unterschätzt.

Gerade haben zwei der fünf Experten das Gremium verlassen – aus zeitlichen Gründen, wie es heißt. Im Hintergrund hört man: Vielen Kommissionsmitgliedern erschließt sich der Sinn des Instruments nicht mehr, da Umfärbungen keine Konsequenzen haben.

3. Das Ministerium Anschobers Kritiker sagen: Ein weiteres Problem sei, dass er sein Haus nie wirklich übernommen habe. Sein Kabinett arbeite zu entkoppelt von den Beamten. Andere verteidigen ihn: Im Jänner wurde er vereidigt, im Februar brach die Pandemie aus – da sei schlicht wenig Raum für Arbeit in und an den Strukturen gewesen. So mancher Beamter wirft Anschober vor, dass er sich zu sehr an seinen Mitarbeitern abgeputzt habe, als er im Juli "schlechte Arbeit" eingestand. Fakt ist: Für die Kommunikation nach innen bleibt derzeit wenig Zeit.

4. Politische Spielchen Die Türkisen beherrschen das politische Spiel. Sie haben Erfahrung und kennen die Kniffe, um in Verhandlungen zu bekommen, was sie wollen. Die Grünen sind Regierungsneulinge. Naivität will man sich in Anschobers Kabinett nicht nachsagen lassen. Es sei allen bewusst, wie der Koalitionspartner arbeite, heißt es. Auf Machtspielchen lassen sich Anschobers Mitarbeiter aber ungern ein.

Einer, der das Ministerium gut von innen kennt, sagt es so: "Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man etwas weiterbringen oder in Schönheit sterben will." (Katharina Mittelstaedt, 10.10.2020)