Das Mantra ist bekannt: Alles geben. Volle Post. Mehr wollen als die Gegner. Doch keine zweite österreichische Sportlerin drückt es authentischer aus als die Mountainbikerin Laura Stigger. "Olm volle" lautet ihr Lebensmotto, sie sagt das in ihrem Ötztaler Dialekt. Nicht-Tirolern sei gesagt: Stigger gibt "immer Vollgas".

Just vor ihrem Saisonhöhepunkt wurde die 20-Jährige ausgebremst. In Leogang findet noch bis Sonntag die Mountainbike-WM statt, aber ohne Stigger. Mit Fieber und einem Magen-Darm-Infekt musste sie für das Cross-Country-Rennen am Samstag absagen. "Es ist jammerschade, dass ich nicht fahren kann", sagt sie. Stigger hätte in der U23-Kategorie zu den Favoritinnen gezählt. Kürzlich war sie beim Doppel-Weltcup in Nove Mesto erstmals in der Eliteklasse (keine Altersbeschränkung) angetreten und auf Anhieb zweimal Fünfte geworden. Es war das beste Ergebnis einer Österreicherin seit mehr als zehn Jahren. Stigger holt bei jedem Großereignis, bei dem sie bisher angetreten war, eine Medaille. Doch jetzt gibt es keine Chance auf Edelmetall, sondern Zwieback, Cola und Soletti.

Stigger sieht hier durch Speichen und bei der Heim-WM zu.
Foto: Mirja Geh / Red Bull Content Pool

Als Stigger sechs Jahre alt war, brachte der Osterhase ihr erstes Mountainbike. Sie beobachtete Burschen aus der Nachbarschaft beim Radeln, das weckte Interesse. Kurz darauf trat sie einem Radklub in ihrem Heimatort Haiming bei. "Der Sport macht bis heute großen Spaß", sagt Stigger dem STANDARD. "Ich kann ständig in der Natur sein und habe Glück, direkt vor der Haustür trainieren zu können."

Volle Motivation

Stigger lässt sich bewusst Raum für Verbesserungen. Im Schnitt trainiert sie 13 Stunden pro Woche auf dem Rad, dazu geht sie ein bis zweimal in die Kraftkammer. Bis Juni stand die schulische Ausbildung im Vordergrund. Die Matura hat sie bestanden, jetzt widmet sie sich der Profikarriere. Das Training fällt ihr leicht: "Ich quäle mich gern, habe selten Tage, an denen ich unmotiviert bin." Betreut wird sie von Rupert Scheiber, er ist Fitness-, Technik und Mentaltrainer in Personalunion. Bruder Lars gibt gelegentlich den Trainingspartner.

Dass sie mit ihrem Hobby viele Länder auf der ganzen Welt entdeckt, empfindet Stigger als Privileg. Im Breitensport ist Mountainbiken in Österreich so beliebt wie kaum zuvor. "Den Helm nicht vergessen – und los", sagt Stigger. Sie würde sich auch mehr Aufmerksamkeit für den Spitzensport wünschen. "Damen und Herren sind gleichberechtigt. Wir fahren die gleiche Strecke mit denselben kniffligen Passagen. Das finde ich ziemlich lässig."

Mit 13 zum ersten EM-Titel

Schon im Alter von 13 Jahren gewann Stigger ihren ersten EM-Titel, ein Jahr darauf wurde sie erstmals österreichische Meisterin. Sie ist zweifache Weltmeisterin in der Juniorinnen-Kategorie (bis 18 Jahre). Ein besonderer Erfolg gelang im Spätsommer 2018: Bei der Straßenrad-WM in Innsbruck bestritt Stigger erst das zweite Rennen ihrer Karriere auf einem Rennrad und holte im Schlusssprint sensationell Gold. Treten müsse man ja da wie dort, sagt Stigger.

Die WM-Strecke in Leogang.
Lukas Malezsewski

Die WM-Strecke in Leogang beschreibt Laura Stigger als "spannend, steil und technisch schwierig", sie wäre ihr gelegen. Trainer Scheiber: "Laura ist sehr traurig, vor allem, weil sie weiß, dass sie eine Medaille draufhätte. Ihre Tendenz war steigend, zuletzt verkürzte sie den Abstand zu den Top-Athletinnen. Aber es gibt Schlimmeres. Das gehört dazu, sie wird stärker zurückkommen. So bitter es auch ist: Laura hat noch zehn bis 15 Weltmeisterschaften vor sich."

Pure Emotion

Am Donnerstag trat die Tirolerin Mona Mitterwallner in Stiggers Fußstapfen und holte Gold im Cross Country der Juniorinnen. "Ich war kurz vorm Weinen auf den letzten Serpentinen. Du überlegst, ob das wahr ist, die letzten Meter waren pure Emotion", sagte die 18-Jährige. Ursprünglich war die WM im Juni in Albstadt (Deutschland) geplant, Leogang sprang nach einer Corona-bedingten Absage ein. Zuschauer sind keine zugelassen.

Mona Mitterwallner (18) aus Tirol auf dem Weg zu WM-Gold im Cross-Country-Bewerb der Juniorinnen.
Foto: APA/MORITZ ABLINGER


Am Sonntag geht die Saalbacherin Valentina Höll als Favoritin ins Downhill-Rennen. Stigger muss sich auf andere Ziele konzentrieren. 2021 finden die Olympischen Spiele in Tokio statt, schon kommende Woche hofft sie auf einen Start bei der EM in der Schweiz. Dann zählt wieder nur eines: Olm volle. (Lukas Zahrer, 9.10.2020)