Peter Hacker legte eine Kehrtwende hin. Der Bürgermeister habe ihm ins Gewissen geredet, heißt es.

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Zurückrudern wäre eine mögliche Bezeichnung für das, was Peter Hacker, roter Gesundheitsstadtrat der Stadt Wien, gestern vollzog, nachdem er ankündigte, dass Wien aus dem Krisenstab des Bundes aussteigen wolle. 180-Grad-Wende eine andere. Was ist da passiert? Eine Rekonstruktion.

Gekriselt hatte es zwischen dem roten Wien und dem türkisen Innenministerium schon lange. Die Seitenhiebe sind bekannt, die vielen Angebote von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an Wien, doch bitte die Polizei zum Corona-Contact-Tracing einzusetzen, auch.

Doch am Mittwoch riss Hackers Geduldsfaden. Eine Mail des Innenministeriums, die an mehrere Medien ging, enthielt Zahlen, die Wien in ein schlechtes Licht rücken (siehe unten). Hacker reagierte.

"Kinderkram"

Wien blieb am Morgen danach dem täglichen Neunuhrtreffen des Innenministeriums, der SKKM-Sitzung, am Donnerstag fern. Keine 15 Minuten hat es nach Sitzungsbeginn gedauert, bis Hacker die ersten Journalistenanfragen bekam, warum Wien denn schwänze. Heute relativiert er: "Ich halte das für Kinderkram. Jeder ist mal irgendwann irgendwo nicht da", sagt er am Freitag zum STANDARD.

Für 11.30 Uhr war dann am Donnerstag im Rathaus eine Pressekonferenz Hackers angesetzt, um Spitalsbetten hätte es gehen sollen. Doch die ersten Meldungen über das Fernbleiben waren bereits draußen, schnell wurden Fragen gestellt. Und die Antwort Hackers war eindeutig: "Ich halte nichts davon, unsere Personalressourcen in Sitzungen zu vergeuden, anstatt in die Analyse zu investieren", sagte er. Und, in Bezug auf Falschmeldungen aus dem Innenministerium: "Ich möchte nicht, dass meine Mitarbeiter sich damit beschäftigen müssen, sondern ihren Job machen." Der Ausstieg aus dem Krisenstab war verkündet, die Aufregung enorm. Eilmeldungen wurden verschickt, quer über alle Parteifarben hagelte es Kritik.

Am frühen Abend wurde die Causa zur Chefsache erklärt. Nicht Hacker, sondern Bürgermeister Michael Ludwig war es, der um 18:18 Uhr via Twitter erklärte: "Es werden auch zukünftig VertreterInnen der Stadt Wien an Koordinierungstreffen, Videokonferenzen und Krisenstabssitzungen teilnehmen."

Das war ziemlich genau zwei Stunden, bevor Ludwig in der ORF-Elefantenrunde diskutierte, und knapp 78 Stunden bevor am Sonntag die ersten Hochrechnungen kommen werden.

Kurze Abkühlphase

Laut Insidern wurde Hacker von Bürgermeister Michael Ludwig persönlich davon überzeugt, am Freitag doch an der Sitzung teilzunehmen. Tue er das nicht, biete er Nehammer und der ÖVP zwei Tage vor der Wien-Wahl eine weitere Angriffsfläche, soll er dem erzürnten Hacker entgegengehalten haben.

Um 18:31 meldete sich Hacker selbst via Aussendung zu Wort und sprach von einem Missverständnis. Er kündigte an, persönlich bei der nächsten Sitzung des SKKM teilzunehmen. Das tat er Freitagfrüh tatsächlich.

Wie er es fand? "Die Sitzung war keine großartige Überraschung", sagt Hacker im Anschluss. Er betont, dass er seine Kritik nicht gegen Einzelpersonen im Gremium richte, sondern gegen das System, wie man Daten erfasse und verarbeite: "Da werden eineinhalb Stunden lang Zahlen vorgetragen, das kann man in ein Excel packen. Und skurrilerweise kommt dann während der Sitzungen ein Excel-Sheet, das andere Zahlen beinhaltet."

Bald soll es eine Sitzung mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und den Landesgesundheitsreferenten geben, um Datenunklarheiten zu beseitigen. "Und wenn der Innenminister teilnimmt, freue ich mich", sagt Hacker.

Dennoch: Die Abkühlphase, die man so dringend brauche und von der er am Donnerstag noch gesprochen habe, hätte es nun gegeben. Woran er das festmacht? Seit Freitagfrüh hätte ihn kein Journalist mit falschen Zahlen konfrontiert. (Gabriele Scherndl, Irene Brickner, 9.10.2020)