Karel (Michael Maertens, re.) verfällt dem Demagogen Reinke (Puppe, geführt von Nikolaus Habjan).

Matthias Horn

Argumente helfen nichts. Wer mit einem glühenden Nazi diskutieren will, darf weder Erbsenzähler sein, noch viel auf Vernunft geben. Mit seinen sachlich formulierten Einwänden gegen Pamphlete über "Rassenreinheit", "Lebensraumgewinnung" oder "Parasitengesellschaft" seines ehemaligen Kriegskameraden Willi Reinke (Puppe, geführt von Nikolaus Habjan) klappt der tschechische Bürger und Krematoriumsangestellte Karel Kopfrkingl (Michael Maertens) jedes Mal erbärmlich ein. Am Ende wird diese Gehirnwäsche den schwachen Titelhelden aus Ladislav Fuks‘ Der Leichenverbrenner zum Äußersten getrieben haben.

Den Nachkriegsroman (1967) mit der Schauerästhetik des Puppenspielers und Regisseurs Nikolaus Habjan kurzzuschließen hat gute Gründe: Die Klappmaulfiguren aus Stoff und Kunsthaar verwehren naturaliter eine platte Realitätsabbildung und vertreten so stärker vergesellschaftete und nicht auf Einzelspinner beschränkte Redepositionen. Diese zwangsläufig auch ein Korsett bleibende Bebilderung wurde bei der Premiere im Wiener Akademietheater ausgiebig akklamiert.

Tschechische Pantomime

Autor Franzobel hat das Figureninnenleben in eine tragfähige, exzellent verknappte Bühnenfassung überführt, die in ihrer Morbidität doch immer über genug Luft verfügt. Sie hätte – wie so vieles in diesem Theaterherbst – bereits im März Uraufführung gehabt. Die Corona-bedingte Verschiebung lässt die Nazi-Themen am Burgtheater derzeit – mit Blick auf die Mein Kampf-Premiere am Freitag – dicht aufeinanderfolgen.

Der Kleinbürger Karel Kopfrkingl hat sich das Gewand eines Schöngeists angelegt. Er betupft seine Gattin (Dorothee Hartinger) minütlich mit den süßesten Kosenamen, lobt gütig seine halbwüchsigen Kinder (Alexandra Henkel und Sabine Haupt) und versichert sich so stets eines gelungenen Lebens. Diese Lüge decouvriert Habjans Inszenierung von Anfang an mittels Schatten und Einkerkerung (Bühne: Jakob Brossmann). Wie Protagonisten einer tschechischen Pantomime treten die bleichgesichtigen Figuren in schwarzen Kleidern ins Licht (Kostüme: Cedrik Mpaka): Die Leblosigkeit steht ihnen gleichermaßen wie den Puppenkollegen ins Gesicht geschrieben – gefrorenes Lächeln, formalisiertes Gehen.

Maertens markiert das in einer schwindeligen Tibet-Verehrung gipfelnde, gefährlich-sentimentale Gemüt dieses Karel Kopfrkingl von Anfang an mit gespenstisch-expressionistischer Geste. Seine tiefsitzende Angst vor seiner eigenen Schwäche verbirgt er hinter einem Wall an Korrektheit: häuslich, pflichtbewusst, abstinent, wohlwollend. Sein übersteigerter Drang zum Ideal geht so weit, dass er ein käuflich erworbenes Gemälde mit der falschen darauf abgebildeten Person zwanghaft-weihevoll als das richtige in den Wandschrank stellt. Eine kafkaeske Szene, die vom Verblendungsgrad des Mannes ein schauriges Beispiel gibt.

Als "pures Kortison" hat Franzobel den Charakter beschrieben – und wer könnte eine Person in diesem Zustand besser ausfüllen als Maertens mit seinem flachen Lächeln und einer immer um die (Selbst-)Lüge nölend kreisenden Stimme.

Blitze aus dem Glasauge

Das einmal aus der Unterbühne auflodernde Feuer seiner Arbeitsstätte im Krematorium preist Kopfrkingl als reinigende Kraft. Man kann sich eben jeden Job schönreden. An diesem symbolisch aufgeladenen Ort taucht regelmäßig Reinke auf, bald mit Nazi-Armbinde, und verschleudert zu seinen Hetzreden giftige Blitze aus seinem Glasauge. Sein betrübliches Knautschgesicht (Puppenbau: Habjan und Manuela Linshalm) entfaltet dabei unheimliche Lebendigkeit.

Seit Spielzeitbeginn wirkt Nikolaus Habjan als Hausregisseur an der Oper Dortmund (Einstand mit Entführung aus dem Serail). Seine Bühnensprache ist vor erratischen Momente nicht gefeit, für die Angstlandschaft dieses Stücks tschechischer Bewältigungsliteratur war sie aber ein zuverlässiger Schlüssel. (Margarete Affenzeller, 10.10.2020)