Die Lüge gehört zum Menschsein dazu. Daher ist die Lüge auch ein Teil der Politik. Schon immer haben Politiker gelogen – oder eine Spielart eingesetzt: nicht alles sagen, Dinge beschönigen, Fakten herunterspielen, Unangenehmes schönreden. So weit, so normal.

Etwas anderes ist es, wenn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der eingesetzt wurde, um die Wahrheit in einer bestimmten Affäre zu ergründen, durch Zeugenaussagen hinters Licht geführt wird. So kann man etwa beim Ibiza-U-Ausschuss erklärungsbedürftige Auftritte erleben. Etwa jenen des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka, der bemerkenswert wenig zur Beantwortung der Frage beitrug, welche finanziellen Zuwendungen das ÖVP-nahe Alois-Mock-Institut von Novomatic erhalten hat. Oder jenen der Casinos-Vorstandsvorsitzenden Bettina Glatz-Kremsner, die ihre privaten Kontakte zu Öbag-Vorstand Thomas Schmid dezent herunterspielte. Weil Chat-Protokolle anderes belegen, ermittelt nun die Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen Falschaussage im Ermittlungsverfahren. Interessant war auch die Entschiedenheit, mit der OMV-Chef Rainer Seele bestritt, bei der Bundesregierung dafür lobbyiert zu haben, dass der Mineralölkonzern in Russland weniger Steuern zahlen muss. Hier belegen Akten, die auch dem STANDARD vorliegen, das Gegenteil.

Wolfgang Sobotka trug beim Ibiza-U-Ausschuss am Donnerstag bemerkenswert wenig zur Beantwortung wichtiger Fragen bei.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Abgesehen davon, dass vor einem U-Ausschuss grundsätzlich nicht gelogen werden darf, sind solche Auftritte auch moralisch fragwürdig: Wie kann es sein, dass Menschen, die höchste Ämter in Wirtschaft und Politik bekleiden, krasse Erinnerungslücken offenbaren und sich ganz offensichtlich nicht bemühen, diese zu schließen? Hier zeigt sich auch eine grundsätzlich herablassende Haltung gegenüber der Volksvertretung, die bedenklich ist.

Ganz offensichtlich bewerten manche Zeugen in der Ibiza- und in der Casinos-Affäre Parteiloyalitäten und (halb-)private Verbindungen höher als die Notwendigkeit, dem Souverän nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen. Dabei mag mitspielen, dass der U-Ausschuss ein Instrument der parlamentarischen Minderheit ist. Dass dies von Regierungsseite vor allem als Problem und nicht als demokratische Tugend gesehen wird, lässt ebenso tief blicken. Eine Lehre aus dem Ibiza-U-Ausschuss ist schon jetzt: Das Parlament muss ernst genommen werden – nicht nur in Festansprachen. (Petra Stuiber, 9.10.2020)