Wenn unser Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer einen seriösen Faktencheck zu den Behauptungen von vier Medizinern über die mangelnde Gefährlichkeit von Corona schreibt, hat der Text online über 2020 Postings (Stand Freitagmittag). Ein guter Teil der Reaktionen fällt dabei unter die Kategorie "Corona-Skepsis" beziehungsweise "Corona-Leugnen". Bei den allermeisten anderen Artikeln zu dem Thema ist das ganz ähnlich.

Man sollte meinen, dass sich folgender Konsens herstellen ließe: Es handelt sich bei Covid-19 um eine Pandemie. Das Virus ist hochansteckend, es gibt noch keine Impfung und nur eingeschränkt wirksame Behandlungsmethoden. Die Sterblichkeit ist relativ hoch, sie betrifft vor allem Ältere, aber auch Junge, und vor allem sind äußerst unangenehme Verläufe und Spätfolgen auch bei Jungen nicht selten (im STANDARD haben Betroffene berichtet). Mit teils drastischen (Lockdown), teils durchaus erträglichen Maßnahmen (Masken, Social Distancing, Hygiene) wurde in vielen Ländern die Ausbreitung eingedämmt. Kulturell ganz ähnliche Gesellschaften wie Neuseeland und die USA , haben ganz unterschiedliche Covid-Belastungen, weil die Menschen in einem Land die Maßnahmen einhielten, im anderen nicht. Als im Sommer die Vorschriften und die Stimmung lockerer wurden, gingen die Infektionszahlen wieder hoch.

Verschwörungstheorien entstehen durch Verunsicherung und psychische Überforderung.
Foto: imago images/Rupert Oberhäuser

Was verblüfft, aber eigentlich aufgrund sozialpsychologischer Erkenntnisse nicht verblüffen sollte, ist die relativ große Zahl derer, die geradezu wütend darauf bestehen, dass wir eben kein Problem haben, dass irgendwer uns das als Problem einreden will und wir uns an gar nichts halten müssten. Die ausgesprochen Verrückten sind dabei schon ausgenommen.

Covid-Rebellen

In diese Situation hinein streuen etliche Mediziner und andere Fachleute Zweifel an der Gefährlichkeit von Corona und den Maßnahmen. Das klingt für viele plausibel, relativiert sich aber nach einem näheren Blick auf die Daten und auf den Hintergrund dieser "Covid-Rebellen" sehr stark.

Aber die massive Grundströmung ist ein Phänomen, auf das kürzlich in der Zeit unter Bezug auf das 70 Jahre alte, bahnbrechende Werk des deutsch-amerikanischen Soziologen Leo Löwenthal (Falsche Propheten) hingewiesen wurde: Verschwörungstheorien und Radikalismus entstehen aus einer bereits vorhandenen Verunsicherung, aus dem Gefühl, mit der Welt nicht mehr zurechtzukommen, aus der psychischen Überforderung durch befürchteten Status- und Kontrollverlust.

So werden Psychopathen wie Donald Trump oder Parteien gewählt, die die "Ausländer" für alles verantwortlich machen.

In Österreich ist das ursprünglich hohe Vertrauen in die Corona-Managementfähigkeiten der Regierung und der Behörden stark gesunken. Wenn nun Gesundheitsminister Rudolf Anschober an die Bevölkerung appelliert, sich wieder mehr an die Maßnahmen zu halten, so ist das in Wirklichkeit Ausdruck einer Verzweiflung.

Wie man die vielen Corona-Skeptiker, deren Motive ja oft ganz andere sind, wieder zu einer solidarischen Haltung und zu Vertrauen in die Maßnahmen bringen kann, ist wahrscheinlich die Kernfrage dieses Herbstes. Möglicherweise liegt eine Antwort in einem informellen Abkommen von Regierung, Opposition, Interessenverbänden, Kirchen etc., jetzt einmal auf "Gemeinsamkeit" zu schalten. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass manche das wieder für einen Beweis einer ganz große Verschwörung halten. (Hans Rauscher, 11.10.2020)