Gutes Leben, Arbeit, Wohnen, Bildung – das sind die Wahlmotive der Wienerinnen und Wiener. Parteibindung und Autofahren sind es eher nicht.

Foto: Robert Newald

Wien – Die Lebensqualität in Wien war für die meisten Wahlberechtigten das wichtigste Motiv bei der Stimmvergabe, 55 Prozent sagten in der letzten Wahlumfrage des Linzer Market-Instituts (knapp zwei Wochen vor dem Wahltag) für den STANDARD, dass "der Einsatz für ein lebenswertes Wien" für sie eine sehr wichtige Rolle bei der Wahlentscheidung gespielt habe.

Die Market-Umfrage sah vor, dass für die wichtigen Entscheidungskriterien Noten nach dem Schulsystem gegeben werden – dass der Einsatz für ein lebenswertes Wien gar keine Bedeutung habe, sagte gerade einmal jeder hundertste Befragte. Mit der Durchschnittsnote 1,6 rangiert das Thema auch ganz oben auf der Liste der wahlentscheidenden Fragen.

Am wenigsten Bedeutung hatte nach dem Bekunden der Wählerinnen und Wähler "die Treue zu der Partei, bei der ich Stammwähler bin". Das Bekenntnis zu einer Partei, die man (fast) immer wählt, hat in den vergangenen Jahren immer weiter abgenommen, analysiert Market-Institutsleiter David Pfarrhofer.

Stammwähler werden rar

"In den 1970er-Jahren war man politisch noch sehr treu – da haben die Stammwähler von ÖVP und FPÖ noch ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn sie Bruno Kreiskys Aufruf gefolgt sind, 'ein Stück des Weges' mit ihm zu gehen. Heute sagen nur mehr zehn Prozent, dass es für sie sehr wichtig ist, Stammwähler zu sein – vor fünf Jahren waren es noch 16 Prozent. Auffallend ist, dass das Stammwähler-Motiv in der stark geschrumpften Gruppe der Freiheitlichen am relativ stärksten vertreten ist. Das sind also Leute, die der FPÖ durch dick und dünn folgen", sagt der Meinungsforscher.

Auffallend ist auch, dass der Einsatz für Autofahrer (Durchschnittsnote 3,06) und die EU-Politik (3,12) für die Wahlentscheidung kaum eine Rolle gespielt haben. Wobei die EU-Politik noch am ehesten in die Wahlentscheidung der sozialdemokratischen Wählerschaft hineinspielt; das Autofahrerthema wird dagegen am höchsten von Wählerinnen und Wählern der Freiheitlichen und am geringsten von Wählern und Wählerinnen der Grünen als Entscheidungsgrundlage geratet.

Die höchsten Bewertungen gab es – neben der Lebensqualität mit der Note 1,6 – für die Themen "Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen" (Durchschnittsnote 1,76), "Einsatz für leistbares Wohnen" (1,87) sowie "Einsatz für die Ausbildung junger Menschen" (1,91) und "Verbesserung des Schulwesens in Wien" (1,93).

Ältere sorgen sich besonders um Bildung

Pfarrhofer ist aufgefallen, dass die Bildungsthemen besonders bei älteren Befragten verfangen: "Die älteren Generationen machen sich mehr Sorgen um Schule und Bildung als jüngere – und denken daran beim Ausfüllen des Wahlzettels. Tendenziell sind auch Menschen mit geringeren formalen Bildungsabschlüssen stärker geneigt, Bildung hochzuschätzen, ebenso weibliche Wahlberechtigte."

Anders als andere Wahlforscher kann Pfarrhofer aus den von Market erhobenen Daten auch nur geringe Einflüsse der Corona-Pandemie und ihrer Bekämpfung auf das Wahlverhalten ablesen: "Wie sich die Partei in der Corona-Krise verhalten hat, liegt nur im Mittelfeld der beobachteten Motive, seit Juni ist das Thema sogar etwas in den Hintergrund gerückt."

Wirtschaft und Migration wichtiger geworden

Verbessert – als Zeichen von: wichtiger für die Entscheidung geworden – haben sich sich im Vergleich zum Juni die Noten für "Stärkung der Wirtschaft und der Unternehmen", der Rückblick auf die Arbeit der Landtagsparteien und die Themen, die mit Flüchtlingen zusammenhängen.

Die Detailauswertung zeigt auch, dass die einzelnen Themen für die Wählerschaften der einzelnen Parteien unterschiedlich wichtig waren. So ist der Themenkomplex "Reformen, Veränderungen" in der SPÖ-Wählerschaft besonders wenig relevant, in der ÖVP-Wählerschaft dagegen besonders wichtig.

Wählen gegen rechts

Pfarrhofer: "Es ist auch nachvollziehbar, dass die SPÖ-Wähler dem Motiv 'ein Zeichen gegen rechts setzen' die hohe Note 1,71 geben, während die FPÖ-Wähler mit 3,76 ziemlich desinteressiert sind. Bemerkenswert ist eher, dass etwa jeder fünfte FPÖ-Wähler seine Stimme als 'Zeichen gegen rechts' sieht. Da kann man nur spekulieren, ob diese Leute die Freiheitlichen vielleicht als Bollwerk gegen eine offen faschistische Partei sehen."

Klar zu erkennen ist, dass Wählerinnen und Wähler der ÖVP ebenso wie jene der FPÖ den Kampf gegen Kriminalität an die erste Stelle ihrer bei Market genannten Motive reihen. In beiden Parteiwählerschaften ist auch der Kampf gegen den Sozialmissbrauch sehr wichtig.

Ganz anders sieht es bei den Grün-Wählerinnen und -Wählern aus: Diese reihen das Engagement in Umweltfragen bei Market an die erste, den Ausbau der Öffis an die zweite und die Verbesserung des Schulwesens an die dritte Stelle. Ganz hinten steht bei den Grün-Wählern der Einsatz für die Autofahrer – das ist eher ein Thema für die Freiheitlichen. (Conrad Seidl, 11.10.2020)