Die Regierung möchte mit den Deutschförderklassen Kindern mit Sprachproblemen helfen. Kritiker sagen, so funktioniert es aber nicht.

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Ali Dönmez ist Initiator einer Petition zur Abschaffung der Deutschförderklassen. Er sagt: "Wir müssen grundsätzlich Bildungsgerechtigkeit und die Verantwortung der Eltern und des Staates neu ausverhandeln."

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Die bildungspolitische Petition, die Ali Dönmez, selbst Logopäde und Lehrer für Deutsch als Fremd- und Zweitspreche, initiiert hat und die von Lehrkräften, Schulleiterinnen und dem von Sprachwissenschaftern getragenen Netzwerk SprachenRechte unterstützt wird, trägt den Titel "Lasst Kinder gemeinsam lernen!". Mittlerweile wurde sie von mehr als 8.100 Unterstützerinnen und Unterstützern unterzeichnet. Ziel der an Bildungsminister Heinz Faßmann gerichteten Petition ist die Abschaffung der Deutschförderklassen.

STANDARD: Warum wollen Sie die Deutschförderklassen denn wieder loswerden?

Dönmez: Weil sie Kinder ausgrenzen, statt sie zu fördern, und sie führen zu Stress und stigmatisieren Kinder und Familien.

STANDARD: Kann es nicht auch eine Form von Ausgrenzung sein, wenn ein Kind zwar in der Klasse sitzt, aber nichts versteht und daher auch nichts lernen kann? Nur weil es in derselben Klasse sitzt, ist es noch nicht integriert …

Dönmez: Der Punkt, den wir verstehen müssen, ist, dass Deutschförderklassen eigentlich ein Symptom sind. Unsere Forderung lautet ja nicht: Deutschförderklassen abschaffen, die Kinder in die jetzigen Klassen rein, und dann gehen wir nach Hause, weil alles gut ist. Es braucht natürlich viel mehr, und es gibt ja viele wissenschaftlich fundierte Ideen, wie man Kinder in Regelklassen besser fördern könnte. Zum Beispiel durch zusätzliche integrative Maßnahmen wie kleinere Schülergruppen. Kinder können sich die Sprache von anderen Kindern spielerisch aneignen. Da gibt es eine intrinsische Motivation: Sie möchten sich mitteilen und wollen ja mitmachen.

STANDARD: Bildungsminister Heinz Faßmann hat die Deutschförderklassen verteidigt. Diese ermöglichten statt eines "unsystematischen Spracherwerbs" – ohnehin zeitlich begrenzt – ein "rasches und fokussiertes Deutschlernen mit einer Teilintegration in die Stammklasse". Können Sie dem gar nichts abgewinnen?

Dönmez: Nein, auf keinen Fall kann ich ihm da zustimmen. Das ist eine kurzfristige Maßnahme. Noch dazu häufig von Lehrpersonen ohne entsprechende Ausbildung durchgeführt, die dann überfordert sind von einer Klasse mit unterschiedlichen Sprachniveaus. Aus wissenschaftlicher Sicht sind so kurzzeitige Sprachförderungen nicht ertragreich. Außerdem führen die Deutschförderklassen, so wie sie jetzt sind, zu enormen Schullaufbahnverlusten, weil sie über den "ordentlichen" Schülerstatus entscheiden. Ich kenne Fälle, wo Kinder das dritte Jahr in der ersten Schulstufe hängen, weil sie nicht in die Regelklasse umsteigen können, wenn sie den Mika-D-Test (Anm.: Messinstrument zur Kompetenzanalyse – Deutsch) nicht bestehen. Die Statistik, wonach österreichweit 32,2 Prozent der Kinder aus Deutschförderklassen den Wechsel in die Regelklasse geschafft haben, bedeutet im Umkehrschluss, dass sieben von zehn Kindern den Wechsel vom außerordentlichen in den ordentlichen Status nicht geschafft haben. Das ist für mich kein Erfolg. Mir sagen viele Lehrpersonen, den Mika-D-Test würden auch nicht alle Kinder mit Deutsch als Erstsprache bestehen. Zweisprachige Kinder werden also auch an unrealistischen und diskriminierenden Standards gemessen.

STANDARD: Es ist unbestritten, dass wir Probleme haben. Der Integrationsbericht 2020 hat gezeigt, dass ein Drittel der 13- bis 14-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Bildungsstandards der achten Schulstufe in Deutsch nur teilweise erreicht, ein weiteres Drittel verfehlt die Lernziele komplett. Sie haben oft nur noch ein Jahr Schulpflicht vor sich ... Da werden sie ihr Deutsch nicht mehr viel verbessern. Was tun?

Dönmez: Wenn Kinder beim Schuleintritt eine Sprachproblematik haben, ist das ein hausgemachtes Problem. Es muss ein politischer Wille da sein, die Verantwortung zu übernehmen und zu sagen: Okay, egal, in welche Umstände Kinder geboren wurden, ich möchte als Staat dafür sorgen, dass alle mit Schuleintritt die deutsche Sprache können. Dazu braucht es Frühförderung schon im Kindergarten.

STANDARD: Reicht dazu ein Pflichtkindergartenjahr, oder bräuchte es mehr?

Dönmez: Eines ist schon super, aber wir brauchen zwei, in denen die Kinder entsprechend gefördert werden. Es gibt dazu ja Konzepte, etwa von der Arbeiterkammer. Es beginnt mit einer ausgebildeten Sprachförderperson für fünf Kinder, zehn Stunden pro Woche, zwei Jahre lang. In der Volksschule soll das in den ersten zwei Jahren engmaschig mit fünf Stunden pro Woche und integrativen Maßnahmen fortgesetzt werden, und in der dritten und vierten Klasse würden dann fünf Stunden pro Woche mit zehn Kindern die Grundkompetenzen gestärkt und perfektioniert. Dafür brauchte es den politischen Willen, dass man sagt, mehrsprachige Kinder sind Teil Österreichs. Da fängt es schon an. Kinder, die mehrsprachig sind, werden aber nicht als solche wahrgenommen, sondern als Problem.

STANDARD: Was lässt sich eigentlich aus Ihrer persönlichen (Sprach-)Biografie ableiten?

Dönmez: Ich bin in Österreich geboren und habe bis zum dritten Lebensjahr nur Türkisch gesprochen. Aber mein Papa ist Lehrer und hat gewusst, wie er mich sprachlich fördert. Er hat angefangen, in speziellen Situationen mit mir Deutsch zu sprechen, während meine Mama mich weiterhin im Türkischen gefördert hat. Im Kindergarten, ich war mit fünf für ein Jahr, habe ich dann anderen Kindern übersetzt, weil ich schon so gut Deutsch konnte – nicht weil ich ein Wunderkind war, sondern weil ich das Glück hatte, dass mein Vater wusste, wie er das macht. Das ist ein grundsätzliches Problem, das auch im Schulunterrichtsgesetz verankert ist: Die Eltern müssen dafür sorgen, dass ihre Kinder die Unterrichtssprache beherrschen. In Österreich ist es aber so: Wenn Eltern einen hohen Bildungsabschluss haben, ist es auch für ihre Kinder wahrscheinlicher, dass sie einen solchen erwerben. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern wussten, wie sie mich fördern. Aber ich finde, der Schulerfolg sollte nicht davon abhängen, ob Kinder in eine ressourcenreiche Familie geboren werden, wo Eltern Wissen, Geld, Zeit etc. haben, um sie in der Schule zu unterstützen. Was ist mit den anderen? Lassen wir die auf der Strecke liegen und sagen: Pech gehabt? Das betrifft ja nicht nur mehrsprachige Kinder, sondern alle. Wir müssen also grundsätzlich Bildungsgerechtigkeit und die Verantwortung der Eltern und des Staates neu ausverhandeln. (Lisa Nimmervoll, 12.10.2020)