Plakat aus der Zeit der burgenländischen Volksabstimmung.

Foto: Bgld. Landesarchiv

Mit der Kärntner Volksabstimmung war die Österreich-Werdung nach dem Weltkrieg noch nicht abgeschlossen. Das ganze nächste Jahr, 1921, ging es ums Burgenland. Und da gerieten sich die beiden Kriegsverlierer ziemlich in die Haare. Die Friedensverträge von Saint-Germain und Trianon sprachen Westungarn – schon unter dem Namen "Burgenland" – Österreich zu. Inklusive Ödenburg. Die Ungarn wollten dies aber nicht widerstandslos hinnehmen.

Im Sommer drohten die Gefechte zwischen halbregulären ungarischen Freischärlern und der österreichischen Gendarmerie und dem Heer in einen Krieg zu eskalieren. Daran hatten freilich weder Österreich noch Ungarn Interesse, zumal die Mittel dazu gefehlt hätten.

Italien bot sich im September als Vermittler an. In den sogenannten Venediger Protokollen wurde vereinbart, die Zugehörigkeit der gewissermaßen natürlichen Hauptstadt des Burgenlandes durch eine Volksabstimmung zu entscheiden. Am 14. Dezember fand diese in der Stadt Ödenburg statt, zwei Tage später in den acht umliegenden Dörfern.

Kommissar Steinacher

Man war auf österreichischer Seite voller Zuversicht. Denn Kärntner "Abstimmungsexperten" standen mit Rat und Tat zur Seite. Es wurde, nach Kärntner Vorbild, ein "Ödenburger Heimatdienst" installiert, der mit Flugzetteln, Plakaten und der neu ins Leben gerufenen Zeitung Der freie Burgenländer Stimmung machte. Auch die Ungarn waren diesbezüglich nicht faul.

Hans Steinacher – emsiger Volkstumskämpfer, späterer Nationalsozialist und noch später Mitgründer des FPÖ-Vorgängers VdU – fand sich mit seinen Kärntner Erfahrungen ebenso ein wie Viktor Miltschinsky, der sich in der Organisation der Kärntner Abstimmung verdient gemacht hatte. Beide schickte die Wiener Regierung als österreichische Abstimmungskommissäre. Aber umsonst. Ödenburg blieb Sopron, eine ungarische Stadt. Viel deutet darauf hin, dass genau dieses Ergebnis in Venedig von Bundeskanzler Johann Schober vereinbart worden ist. Österreich erhielt kampflos das Burgenland, Ungarn die Stadt, eine kleine Trophäe im Jammer von Trianon.

Manipuliert

1922 erschien Miltschinskys Buch Das Verbrechen von Ödenburg. Von diesem Buch her rührt die österreichische Rede, das Referendum sei ungarischerseits manipuliert gewesen. Und ohne Zweifel war die Abstimmung nicht ganz koscher; Tote erwachten in den Wählerevidenzen zum Leben, die Studenten der Bergbau- und Forstuniversität, die gerade aus dem slowakisch gewordenen Schemnitz/Selmecbánya nach Sopron übersiedelt waren, waren teils sehr forsche Wahlhelfer.

Unter Protest zogen sich die österreichischen Kommissäre schon am 13. Dezember zurück. Freilich war der Kampf ums Österreichisch-Werden des Burgenlandes nicht wirklich vergleichbar mit dem in Kärnten. Die Konfliktlinien verliefen hier verworrener. Immerhin war der Abstimmungsbürgermeister – Michael Thurner hieß er – ein Ungarndeutscher. Er und viele andere Poncichter – so nannte man die wohlhabenden Wirtschaftsbürger der Stadt – wollten genau das auch bleiben: Deutsche in Ungarn. Die Austrophilen nannten sie despektierlich Magyaronen.

Die Abstimmung ergab jedenfalls eine deutliche Mehrheit für den Verbleib bei Ungarn. 72,8 Prozent der Stadtbürger votierten dafür. In den Umlandgemeinden war die Mehrheit für Österreich.

Allzeit Getreue

1922 wurde Ödenburg der Ehrentitel "Civitas fidelissima" verliehen, den die Stadt seither stolz in ihrem Wappen trägt. Das nahe Wiener Neustadt nannte man seit langem "Allzeit Getreue", weil es im 15. Jahrhundert dem Habsburgerkaiser Friedrich III. gegen den Ungarnkönig Matthias Corvinus zur Seite gestanden war. Kurz wurde sogar daran gedacht, die Kaiserburg zum exterritorialen Verwaltungszentrum des Burgenlandes zu machen. 1925 entschied man sich dann doch fürs kleine Eisenstadt. (Wolfgang Weisgram, 12.10.2020)