Das bessere regionale Indiz für einen nationalen Wendepunkt wird Oberösterreich, so Politikberater Peter Plaikner im Gastkommentar.

Die mächtigste Person der Sozialdemokratie: Wien-Wahl-Sieger Bürgermeister Michael Ludwig.
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Doch, es ist die gleiche Partei, die hier wie dort dominiert. Ja, sie beruft sich in Kärnten und Wien auf dieselbe Sozialdemokratie. Ein außeraustriakischer Beobachter aber käme kaum auf diese Idee, wenn er Österreichs beherrschende Ereignisse vom 10. und 11. Oktober 2020 gegenüberstellt. Der Vergleich hinkt, weil das Landesjubiläum 100 Jahre Volksabstimmung kein Aufmarschplatz von Parteipolitik ist, die Gemeinderatswahl aber ihre Präsentationsfläche schlechthin. Doch das Spektrum vom Wappensaal des provinziellen Landhauses bis zum Festsaal des metropolitanen Rathauses wirkt auch ohne Quertreiben aus Eisenstadt wie eine Warnung an jene Kräfte in der SPÖ, die in ihrer Wiener Organisation das Allheilmittel für die kranke Zentrale wähnen.

Jetzt ist bloß jene Weltordnung wiederhergestellt, ohne die Österreichs Sozialdemokratie am Ende wäre. Kärntens Peter Kaiser und Burgenlands Hans Peter Doskozil mögen verzeihen: Nicht sie, aber ihre Länder sind lediglich "nice to have", die Metropole ist das "must" der SPÖ. Die Wahl vom Sonntag macht Michael Ludwig endgültig zur mächtigsten Person der Partei, die seit viereinhalb Jahren vergeblich eine Kombination von Kontinuität und Stärke an ihrer Bundesspitze sucht. Nicht von ungefähr hatte damals der 2018 selbst zurückgetretene Langzeitbürgermeister Michael Häupl interimsmäßig den Parteivorsitz vom weichenden Kanzler Werner Faymann übernommen. Ludwig beendet ein unausgesprochenes Interregnum – einerseits ausgelöst durch Inthronisation per Kampfabstimmung gegen den medial höher gehandelten Andreas Schieder, andererseits durch fehlende Bewährung per Wahlsieg.

Unterschätzter Pragmatiker

Der schwer unterschätzte Pragmatiker hat diesen Triumph verblüffend souverän erreicht. Kein TV-Auftritt, in dem er wirklich in Bedrängnis kam. Sein Übereinanderlegen der Hände vor dem Schoß könnte Merkel’sche Raute-Symbolkraft erreichen: In der Ruhe liegt die Kraft. Das bedeutet vorerst Entwarnung für Pamela Rendi-Wagner. Sie darf von seinen Gnaden noch Bundesvorsitzende bleiben. Der Nationalrat wird plangemäß erst in vier Jahren neu bestimmt. Doch schon 2021 steht mehr auf dem Spiel, als die Papierform zeigt. Das gilt weniger für die Gemeindewahlen in Klagenfurt, Villach und Sankt Pölten, den nach Einwohnerzahl dritt-, viert- und fünftgrößte kommunalen Bastionen der SPÖ. Die Bürgermeister Maria-Luise Mathiaschitz, Günther Albel und Matthias Stadler scheinen dort wie ihre Stadtparteien ungefährdet. Doch in Oberösterreich gibt es eine strategisch kaum weniger wichtige Weichenstellung wie soeben in Wien.

Das einzige Bundesland, das alle sechs Jahre zugleich Landtag, Gemeinderäte und Bürgermeister neu bestimmt, wird zur Standortbestimmung roter Zukunftsfähigkeit. Wie sonst nur in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg lag hier im Land immer die Volkspartei voran, doch hatte in den Statutarstädten Linz, Wels und Steyr die Sozialdemokratie die Nase so verlässlich vorn wie bei Nationalratswahlen. Für den Bund durchbrach die ÖVP nur unter Wolfgang Schüssel (2002 und 2006) und Sebastian Kurz diese Regel, lokal bescherte 2015 die blaue Eroberung von Wels ein rotes Schockerlebnis. Unterdessen war Oberösterreich trotz ungebrochenen Proporzsystems 2003 Vorreiter für grüne und 2015 blaue Juniorpartner unter schwarzen Dominatoren. Die SPÖ ist auf 18 Prozent abgestürzt. In Linz verlor sie beim ersten Antreten unter Klaus Luger neun Prozentpunkte. Bei der Nationalratswahl 2019 blieben ihr nur 22 Prozent. Doch sogar der historische Tiefstand war das drittstärkste Landesergebnis – mehr Stimmen als aus Kärnten, Burgenland und Tirol zusammen.

Eine Richtungsentscheidung

Hier geht es in einem Jahr um die Modellfrage: Um nach Grün und Blau wieder als Partner im Spiel zu sein, muss Rot stärker und darf Schwarz nicht allzu türkis werden. Kurz will keine zweite Steiermark. Die Sozialdemokratie braucht wieder mehr urbanen Zuspruch, vor allem in der nach Wien wichtigsten Hochburg Linz. Unter Luger hat die SPÖ dort nach dem 26 Jahre amtierenden Franz Dobusch ähnlich verloren wie Häupl einst nach Helmut Zilk. Für das Land wirkt die rote Ausgangslage weit schlechter. Von 15 Umfragen sahen nur zwei ein rotes Wachstum. Das mangelnde Zutrauen für SP-Chefin Birgit Gerstorfer gleicht jenem zu Ludwig vor seiner Bewährungsprobe. Die Soziallandesrätin konnte die Partei noch nicht aus dem Image-Dilemma des Proporzes befreien. Es gibt keine Opposition. Alle Landtagsfraktionen regieren mit. Abseits der Quasikoalition sind das Umarmungen mit Todesgefahr.

Auch diese Bedrohung der ideologischen Rivalen Rot und Grün zeigt, welch große bundesstrategische Bedeutung der Wiener Partnerwahl zukommt. Jedes Beispiel mit Grün gefährdet eine Auferstehung von Rot. SPÖ/Neos hingegen wäre ein neues Modell. Aktuell ausgerechnet im Burgenland und in Kärnten wegen Pink-Schwäche nicht möglich, böte es der Sozialdemokratie für andere Bundesländer pikanterweise mit Grün eine Dreier-Zukunftsperspektive, wie sie in Salzburg die Volkspartei schon umsetzt. Angesichts des Rechtsrucks der Türkisen wäre solch ein Team-Match gegen ÖVP/FPÖ inhaltlich logischer als die aktuelle Bundeskoalition. Oberösterreich, wo auch Landeshauptmann Thomas Stelzer erstmals in eine Wahl führt, wird eine Richtungsentscheidung für Österreich. Wien liefert der SPÖ kein Rezept dafür, aber die Qualifikation für diesen Kampf. (Peter Plaikner, 12.10.2020)