Mit wem wird Michael Ludwig regieren? Am Sonntag ließ er sich noch nicht in die Karten blicken.

Rot-Türkis

Im Wahlkampf machte SPÖ-Chef Michael Ludwig demonstrativ mehrmals gemeinsame Sache mit Walter Ruck, dem Chef der Wirtschaftskammer Wien. Etwa bei der Verkündung des Gastrogutscheins oder beim Beteiligungsmodell "Stolz auf Wien", das die Stadtregierung gemeinsam mit der Wirtschaftskammer entwickelt hat. Dieser Flügel innerhalb der ÖVP hat definitiv Lust, in Wien zu regieren, stellt aber nicht den Spitzenkandidaten. Der ist mit Finanzminister Gernot Blümel ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und damit Teil des türkisen Lagers in der Partei. Im Wahlkampf war Blümel sehr angriffig, attackierte regelmäßig die rot-grüne Koalition in Wien – etwa in Fragen der Integrationspolitik oder auch beim Corona-Management. Weitere türkise Vertreter sprangen ihm zur Seite, etwa Innenminister Karl Nehammer oder Integrationsministerin Susanne Raab.

Mandatsverteilung laut Hochrechnung.
Grafik: DER STANDARD

Dass es dennoch Ambitionen gibt, mit der SPÖ nach der Wahl gemeinsame Sache zu machen, zeigt ein umfangreiches Papier, das von der Wirtschaftskammer Wien ausgearbeitet wurde und als inoffizielles Regierungsprogramm der Wiener ÖVP gehandelt wird. Darin enthalten sind Forderungen wie die Errichtung von Demonstrationszonen – etwa auf dem Schwarzenbergplatz. Der weitläufige Platz zwischen der Ringstraße und dem Hochstrahlbrunnen sei für bis zu 4.000 Demo-Teilnehmer geeignet, heißt es. In sogenannten Tourismuszonen sollen Geschäfte an Sonntagen geöffnet bleiben dürfen. Als Beispiele werden der gesamte erste Bezirk, die innere Mariahilfer Straße sowie das Hietzinger Platzl genannt. Die Wirtschaftskammer schlägt zudem vor, dass einpendelnde Arbeitnehmer einen Tag in der Woche zu Hause bleiben sollen – also im Homeoffice. Das würde bei einer Fünf-Tage-Woche rund zehn Prozent weniger Autofahrten bedeuten.

Was gegen Rot-Türkis spricht: Die ÖVP hätte dann aus Bundessicht keinen Sündenbock mehr, den sie dauerhaft unter Kritik stellen kann, um sich abzuputzen – so wie das derzeit etwa in der Corona-Krise praktiziert wird.

Rot-Grün

Mandatsverteilung laut Hochrechnung.
Grafik: DER STANDARD

Seit 2010 koalieren Rot und Grün in Wien. Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) präsentierte 2010 das Regierungsabkommen gemeinsam mit seiner Vize Maria Vassilakou (Grüne) mit dem legendären Sager: "Man bringe den Spritzwein." Die Grünen sind seither in der Landesregierung für Verkehr und Stadtplanung zuständig. In der Erstauflage sorgten die Umgestaltung der Mariahilfer Straße und die Einführung des 365-Euro-Jahrestickets für Aufsehen. Fünf Jahre später einigte man sich auf eine Fortsetzung der rot-grünen Zusammenarbeit. Das Koalitionsprogramm arbeiteten federführend Häupl und Vassilakou aus. Beide zogen sich jedoch im Laufe der Legislaturperiode aus ihren Spitzenfunktionen zurück und machten den Weg für den jetzigen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und die Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) frei. Die Neubesetzungen sorgten in den jeweiligen Parteien für Wirbel. Ludwig, der stets dem rechten Lager der SPÖ zugerechnet wurde, setzte sich gegen Andreas Schieder durch. Hebein entschied die Grün-interne Spitzenwahl gegen David Ellensohn und Peter Kraus für sich.

Ludwig und Hebein zogen in den gemeinsamen Monaten der Zusammenarbeit zunächst an einem Strang. Der Kampf gegen Türkis-Blau im Bund schweißte sie zusammen. Im Wahlkampf verhärteten sich die Fronten: Hebein möchte Autos sukzessive in der Stadt zurückdrängen, Ludwig steht auf der Bremse und stimmte nicht zu, noch vor der Wahl Fahrverbote im ersten Bezirk einzuführen.

Dennoch spricht einiges für Rot-Grün III: In gesellschaftspolitischen Fragen sind die beiden auf einer Linie, etwa wenn es um die Bekämpfung von Armut geht. Außerdem sind die Parteien nach zehn Jahren des gemeinsamen Arbeitens gut aufeinander abgestimmt. Sie können ihren Weg fortsetzen, man weiß, worauf man sich einlässt. Während Hebein im Wahlkampf die Fortsetzung von Rot-Grün auch stets als ihr Ziel nannte, wollte sich Ludwig nicht auf einen Wunschkoalitionspartner festlegen und nannte auch die Neos oder die ÖVP als Optionen.

Rot-Pink

Mandatsverteilung laut Hochrechnung.
Grafik: DER STANDARD

Für viele war der Spitzenkandidat der Neos die große Überraschung des Wahlkampfs. Und das gleich in mehrerlei Hinsicht. Christoph Wiederkehr war dynamisch in den TV-Duellen. Und ließ sich auch durch seine niedrigen Bekanntheitswerte nicht verunsichern. Schon früh schloss er eine Koalition mit der ÖVP aus, die seiner Meinung nach einen zu rechten Kurs fahre. Als Ziel nannte er hingegen eine gemeinsame Regierung mit der SPÖ. Er bot sich als Juniorpartner an – und ist damit für Ludwig eine weitere Alternative. Ob sich Rot-Pink tatsächlich ausgehen wird, steht allerdings erst nach Auszählung der Wahlkarten fest.

Die Neos trommelten im Wahlkampf vor allem die Themen Bildung und Transparenz. Sie treten etwa dafür ein, den Betreuungsschlüssel in den Kindergärten und Schulen zu verbessern. Die Pinken spitzen nach der Wien-Wahl auf den Posten des Bildungsstadtrats. Die Agenden liegen in Wien seit jeher in SPÖ-Hand. Kaum vorstellbar, dass die Roten bereit wären, hier dem Juniorpartner Zugeständnisse zu machen und das Feld zu räumen.

Außerdem ist noch die Frage, ob die SPÖ den Neos überhaupt einen Stadtratsposten zugestehen würde. In Wien gilt ein Proporzsystem. Wie viele Stadträte oder Stadträtinnen jede Partei bekommt, wird in jeder Legislaturperiode je nach Kräfteverhältnis im Stadtsenat neu bestimmt. Laut Stadtverfassung muss die Zahl zwischen neun und 15 liegen. Der Bürgermeister gilt formal als Stadtrat, wird aber nicht eingerechnet. Bisher stellten die Neos keinen Stadtrat – auch keinen nicht amtsführenden. Letztere fallen bei entsprechender Mandatsstärke den Oppositionsparteien zu. Sie sitzen im Stadtsenat, dem Wiener Regierungsgremium, haben ein Stimmrecht, aber weder Budget noch Geschäftsbereiche.

In der aktuellen Legislaturperiode stellt die ÖVP einen, die FPÖ drei nicht amtsführende Stadträte. Der Spitzenkandidat der FPÖ, Dominik Nepp, ist zudem nicht amtsführender Vizebürgermeister in der Bundeshauptstadt.

Alle gegen Rot

Mandatsverteilung laut Hochrechnung.
Grafik: DER STANDARD

Dass sich alle anderen Parteien gegen die SPÖ stellen, ist höchst unwahrscheinlich, aber – je nach finalem Wahlausgang – zumindest rechnerisch vermutlich möglich. Inhaltlich aber gäbe es gröbere Differenzen. So ließ etwa keine Partei im Vorhinein durchblicken, dass sie mit der FPÖ koalieren wollen würde. Außerdem müssten dazu erst sämtliche Koalitionsverhandlungen der SPÖ scheitern.

Das Gegenteil – eine rote Absolute – war im Vorfeld der Wahl ebenfalls immer wieder Thema. Die wäre rein rechnerisch nämlich auch dann möglich gewesen, wenn die SPÖ unter 50 Prozent der Stimmen kommt – vor allem bei einem guten Abschneiden der Kleinparteien. Denn dank des mehrheitsfördernden Faktors kann eine Großpartei über die Hälfte der Mandate bekommen, selbst wenn sie unter 50 Prozent liegt. Dieser Faktor wurde unter Rot-Grün (zum Unmut der SPÖ) reduziert, aber nicht ausgelöscht.

Rot-Blau

Mandatsverteilung laut Hochrechnung.
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Rechnerisch dürfte sich die Variante Rot-Blau ausgehen – eine Zusammenarbeit mit der FPÖ hat Ludwig im Wahlkampf aber genauso ausgeschlossen wie mit dem Team HC Strache des ehemaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache. In weiten Teilen der SPÖ gilt es als Tabu, mit den Blauen zusammenzuarbeiten – nicht erst seit dem Ibiza-Skandal. Auch Häupl hat stets eine Koalition mit der FPÖ kategorisch ausgeschlossen, obwohl oder gerade weil die FPÖ in der Bundeshauptstadt in den Jahren vor Ibiza stark abgeschnitten hat. Ein wirkliches Duell um den ersten Platz gab es aber nie. Die SPÖ konnte ihren Vorsprung immer absichern.

Im Burgenland ist die SPÖ in der vorigen Legislaturperiode eine Zusammenarbeit mit den Blauen eingegangen, was vielerorts für Aufsehen sorgte. Nach Ibiza platzte die Zusammenarbeit, und es gab Neuwahlen. Seither führt Hans Peter Doskozil eine SPÖ-Alleinregierung an. (Gabriele Scherndl, Rosa Winkler-Hermaden, 11.10.2020)