Trotz Feuerpause mussten Rettungskräfte in der aserbaidschanischen Stadt Ganja am Sonntag nach einem Angriff Tote bergen.

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Stepanakert/Jerewan – In der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Kaukasusregion Bergkarabach spitzt sich einen Tag nach dem Inkrafttreten einer Waffenruhe die Lage wieder zu. Aserbaidschan erklärte am Sonntag, Luftangriffe auf ein Regiment aus der Enklave geflogen zu haben, die zu große Verlusten geführt hätten. Ein Sprecher der Führung in Bergkarabach widersprach dieser Darstellung.

Aserbaidschan warf Armenien zudem vor, seine zweitgrößte Stadt Ganja in den frühen Morgenstunden mit Granaten beschossen zu haben. Dabei seien neun Menschen getötet und 34 verletzt worden. Ein Sprecher des armenischen Verteidigungsministerium wies den Vorwurf als "absolute Lüge" zurück. Er warf seinerseits Aserbaidschan vor, Wohngebiete in Bergkarabach unter Beschuss zu nehmen. Betroffen sei auch die größte Stadt Stepanakert.

EU "äußerst besorgt"

Die EU nehme "die Berichte über anhaltende militärische Aktivitäten, auch gegen zivile Ziele, sowie über zivile Opfer mit äußerster Besorgnis zur Kenntnis", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Sonntagabend. Beide Seiten sollten die Vereinbarung vollständig respektieren. Zudem sollten sich die Konfliktparteien "unverzüglich auf substanzielle Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der sogenannten 'Minsk-Gruppe' einlassen".

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel forderte in einem erneuten Telefonat mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan die Aufnahme von Verhandlungen im Rahmen der Minsker Gruppe. Diese war 1992 zur Entschärfung des Konflikts um Bergkarabach eingerichtet worden und gehört zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

EU-Außenminister beraten am Montag

Unter Vermittlung Russlands hatten sich die Außenminister Armeniens und Aserbaidschans in Moskau in der Nacht zu Samstag auf die Waffenruhe verständigt. Demnach sollen auch Gefangene ausgetauscht und die Leichen von bei den Kämpfen getöteten Menschen übergeben werden. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu forderte seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow am Sonntag nach Angaben seines Ministeriums in einem Telefonat auf, die Armenier zum Einhalten der Waffenruhe aufzufordern. In den am 27. September ausgebrochenen Kämpfen sollen bereits hunderte Menschen ums Leben gekommen sein.

Die Außenminister der EU-Länder kommen am Montag in Luxemburg zusammen, um unter anderem über die jüngsten Entwicklungen in dem Konflikt zu beraten. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der Österreich bei dem Ministerrat vertreten wird, bezeichnete den Konflikt im Vorfeld als einen "Kollateralschaden von Covid-19". (APA, red, 11.10.2020)