New York hat schon einen, Paris auch, und in Berlin wird bald einer eröffnet: Ein genossenschaftlich organisierter Supermarkt mit regulären Öffnungszeiten und fairen Arbeitsbedingungen, in dem Mitglieder gute und günstige Lebensmittel kaufen können. Die Chancen stehen gut, dass dank des Vereins MILA auch in Wien bald ein solcher Supermarkt eröffnen wird.

Initialzündung ganz ohne Hyper-Start-Up-Wording

Die Initialzündung erfolgte im November 2019. Da hielt Tom Boothe, Mitbegründer des Pariser Genossenschaftssupermarktes La Louve einen Workshop in Linz, an dem sowohl Brigitte Reisenberger als auch David Jelinek teilnahmen. „Tom erzählte in Linz ganz praktisch, ohne dieses übliche Hyper-Start-Up-Wording, wie sie es geschafft haben, den Pariser Genossenschaftssupermarkt zu gründen. Das war total inspirierend und für mich der Punkt, an dem ich mir gedacht habe, dass das ja auch in Wien möglich sein müsste“, erzählt Jelinek.

MILA-Gründungstreffen im Jänner 2020.
Foto: MILA Wien

Innerhalb von drei Monaten bildete sich eine ehrenamtliche Kerngruppe. „Das hat ziemlich schnell eine ziemliche Dynamik entfaltet“, blickt Reisenberger zurück. Ein Verein wurde gegründet, Strukturen aufgebaut und ein Name gefunden. Die Genossenschaft und somit der Supermarkt sollen innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre Realität werden. Wann genau es soweit sein wird, hängt in erster Linie davon ab, wann ein geeigneter Standort gefunden wird. „Wir haben andere Ansprüche an einen Standort als zum Beispiel eine klassische Supermarktkette“, sagt Reisenberger und verweist auf einen größeren Bedarf an Lagerflächen sowie adäquaten Räumlichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mindestens 800 Quadratmeter sollten es jedenfalls werden.

„Der Supermarkt soll, ähnlich wie eine Volkshochschule, auch ein Ort der Begegnung für das Grätzl werden“, sagt Jelinek und verweist auf die Anekdote von einer alten Dame, die im Pariser Genossenschaftssupermarkt eines Tages erklärte, dass sie erst durch den Supermarkt richtig in der Stadt angekommen sei. „Dabei wohnte sie zuvor schon über zwanzig Jahre in dem Grätzl.“

Vom Obst bis zum Gummiringerl

Der MILA Supermarkt, Mitglied im Netzwerk Zivilgesellschaft, soll seinen Mitgliedern vom Obst bis zum Gummiringerl und Toilettenpapier ein Vollsortiment bieten. Bei der Auswahl der angebotenen Produkte soll auf eine faire und umweltschonende Produktion geachtet werden. „Aber wir werden nicht darüber entscheiden, ob ein Produkt gut oder böse ist. Wenn wir gewisse Produkte von vornherein ausschließen, würden wir dadurch auch die Menschen ausschließen, die diese Produkte kaufen wollen und das wollen wir nicht“, erklärt Reisenberger.

Neben einem geeigneten Standort ist die Suche nach ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und möglichst vielen Genossenschaftsmitgliedern eine weitere große Herausforderung. Rund 3.000 Mitglieder wird es brauchen, schätzen die beiden Initiatoren, um die Genossenschaft starten zu können. Die Genossenschaftsanteile sollen ab einem Betrag von zehn Euro erhältlich sein. Wichtig ist es dem Gründungsteam, dass es mindestens einmal auch persönlichen Kontakt zu potenziellen Mitgliedern gibt. „Auch aufgrund der Erfahrungen in Paris und New York wollen wir nicht, dass man mit ein paar Onlineklicks Mitglied werden kann“, sagt Jelinek. „Die Leute haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was dieser Supermarkt sein kann“, ergänzt Reisenberger. „Ein persönliches Gespräch ist sehr hilfreich, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob man wirklich mitmachen will. Schließlich braucht es im Anschluss auch ein gewisses Commitment.“

Jelinek und Reisenberger wollen in den nächsten Jahren mit dem Supermarkt starten.
Foto: Akademie der Zivilgesellschaft

Prekäre Lage von Handelsangestellten verbessern

Als Anteilsbesitzerin oder Anteilsbesitzer kann man nicht nur auf Vollversammlungen die Geschicke des Supermarktes mitbestimmen, man erwirbt auch das Recht, im MILA Supermarkt einkaufen zu können. Im Gegenzug haben Mitglieder aber auch die Pflicht, pro Monat drei Stunden Zeit in den Betrieb des Supermarktes einzubringen. „Bestellungen aufgeben, Mindesthaltbarkeitsdaten in den Regalen kontrollieren oder ein Dienst im Bistro“, zählt Jelinek einige Möglichkeiten auf. „Alles unter dem Motto gemeinsam arbeiten, gemeinsam besitzen, gemeinsam gestalten.“ Damit dies auch für zum Beispiel Alleinerziehende möglich ist, wird eine Kinderbetreuung miteingeplant. Neben den Mitgliedern werden auch Angestellte im MILA Supermarkt arbeiten, „deren Know-how und Zeit vor Ort ist einfach notwendig, um die Filiale nachhaltig am Laufen zu halten“. Angesichts der „prekären Lage von Angestellten im österreichischen Handel, die sich auch nicht durch all die uneingelösten Versprechungen während der Coronapandemie verbessert hat“, soll deutlich über Kollektivvertrag gezahlt werden.

Ein Treffpunkt für das umliegende Grätzl, gute und leistbare Produkte sowie faire Arbeitsbedingungen für die Angestellten, die Gewinne des Supermarktes sollen reinvestiert und Preisgestaltung sowie Entscheidungen transparent gemacht werden – das Gründungsteam des MILA Supermarktes hat sich viel vorgenommen. „Wir probieren das jetzt einfach mal aus, mehr als schief gehen kann es nicht“, sagt Jelinek abschließend. „Schließlich sind wir kein Startup, das einen hyperinnovativen Elektroroller mit Einkaufsfunktion auf den Markt wirft, sondern wir nehmen etwas Bewährtes und versuchen, es auch hier in Wien in die Tat umzusetzen.“ (Philipp Schneider, 12.10.2020)

Brigitte Reisenberger ist 37 Jahre alt und engagiert sich derzeit 15 bis 20 Stunden pro Woche ehrenamtlich für MILA, David Jelinek ist 38 und engagiert sich pro Woche aktuell zwischen fünf und zehn Stunden.

Veranstaltungshinweis: Am 14. Oktober zeigt das Stadtkino den Film "Park Slope Food Coop", im Anschluss findet eine Diskussionsrunde mit den Mitgliedern von MILA und Regisseur Tom Boothe statt. Er ist Mitgründer von La Louve in Paris. 

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