Die neuen Kämpfe sind die schwersten in Bergkarabach seit mehr als 25 Jahren.

Foto: imago images/ITAR-TASS:

Nicht explodierte Streubomben in Stepanakert.

Foto: AFP/ARIS MESSINIS

Stepanakert/Jerewan – Aus der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Kaukasusregion Bergkarabach werden weiter Verstöße gegen die vor kurzem vereinbarte Waffenruhe gemeldet. Beide Seiten berichteten am Montag von Kampfhandlungen und gaben jeweils der Gegenseite die Schuld.

Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium warf armenischen Truppen vor, Militärstützpunkte in mehreren Regionen beschossen zu haben. Umgekehrt erklärten die von der armenischen Regierung unterstützten Behörden in Bergkarabach, Angriffe der aserbaidschanischen Armee abgewehrt zu haben. Im Gebiet um die die Stadt Hadrut seien anhaltend größere Militäreinsätze im Gang.

EU berät, Asselborn ermahnt Moskau und Ankara

Die Außenminister der EU-Länder kommen am Montag in Luxemburg zusammen, um unter anderem über die jüngsten Entwicklungen in Bergkarabach und Belarus zu beraten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ermahnte am Montag sowohl Moskau als auch Ankara, zur Entschärfung des Konflikts in Bergkarabach beizutragen und einen Waffenstillstand durchzusetzen. "Es wäre höchst vereinfacht dargestellt, wenn man sagen würde, dass Russland und die Türkei auf einen Knopf drücken und direkt diesen Konflikt beenden könnten", sagte Asselborn. Jedoch kämen die Waffen für beide Seiten aus Russland.

Russland mache sich "wenigstens die Mühe", am Montag auch in Moskau mit dem armenischen Außenminister, "einen Waffenstillstand hinzubekommen", so Asselborn. Die Türkei sei "bisher noch nicht auf dieser Schiene" und habe noch keinen Aufruf zu einem Waffenstillstand gemacht. "Die Türkei liegt dabei, glaube ich, total falsch", sagte Asselborn. Seiner Ansicht nach hat "offenkundig" die mit der Türkei verbündete Republik Aserbaidschan den Konflikt angezettelt.

"Ich bin überzeugt, dass es auch nicht im Interesse der Sache ist, dass Kämpfer aus Syrien in die Region transferiert werden und da an der Seite von Aserbaidschan kämpfen", so Asselborn. Dazu komme, dass die Schweiz festgestellt habe, dass Streubomben in Stepanakert eingesetzt wurden.

Waffenstillstand "hinkriegen"

Aus Luxemburg komme der Aufruf, auch an das Nato-Land Türkei, einen Waffenstillstand "möglichst schnell hinzukriegen". Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, seien die großen Leidtragenden des Konflikts. "Die Welt hat genug humanitäre Katastrophen, das hier muss sehr schnell wieder eingestellt werden", schloss Asselborn sein morgendliches Statement.

Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan warfen einander vor, gegen die Waffenruhe zu verstoßen. Russland als Vermittler erinnerte die zwei ehemaligen Sowjetrepubliken an ihre Zusagen, die unbedingt eingehalten werden müssten.

Destabilisierung

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell befürchtet eine Destabilisierung der gesamten Region. Hoffnung setzt er auf Bemühungen der Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Diese setze sich "so schnell wie möglich" für Verhandlungen ein.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte den Konflikt im Vorfeld als einen "Kollateralschaden von Covid-19" bezeichnet. "Hätten sich die beiden Seiten in den letzten Monaten irgendwo am Rande einer internationalen Konferenz von Angesicht zu Angesicht unterhalten können, wäre es vermutlich nicht zu diesem Flächenbrand gekommen." Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekräftigte sein Angebot, Gastgeber für eine weitere Gesprächsrunde zwischen beiden Konfliktparteien zu sein.

Jahrzehntelanger Konflikt

Die am 27. September ausgebrochenen Kämpfe sind die schwersten in Bergkarabach seit mehr als 25 Jahren. Rund 500 Todesopfer wurden bislang gemeldet. In der Nacht auf Samstag hatten sich die Außenminister Armeniens und Aserbaidschans in Moskau auf eine Waffenruhe verständigt. Dagegen wurde aber bereits am Sonntag verstoßen, wofür sich die Konfliktparteien gegenseitig verantwortlich machten.

In Bergkarabach leben überwiegend christliche Armenier, die dortige Führung wird von der armenischen Regierung in Eriwan unterstützt. Völkerrechtlich gehört das Gebiet zum mehrheitlich muslimischen Aserbaidschan, von dem es sich jedoch 1991 losgesagt hatte. Da Armenien mit Russland verbündet ist und Aserbaidschan von der Türkei unterstützt wird, droht eine Ausweitung des Konflikts über die Region hinaus mit weitreichenden Folgen auch für die Wirtschaft. Durch den Südkaukasus laufen wichtige Erdagas- und Ölpipelines. (APA, Reuters, red, 12.10.2020)