Die Gleichung ist einfach: Geht es den Mitarbeitenden gut, geht es dem Unternehmen gut. Viele Arbeitgeber haben die Relevanz betrieblicher Gesundheitsförderung bereits erkannt und bieten ihren Angestellten ergonomische Arbeitsplätze, gesundes Kantinenessen oder Sportangebote. Die eine richtige Lösung der Gleichung für jedes Unternehmen gibt es freilich nicht. Aber eine Umfrage der Wirtschaftskammer und des Netzwerks Betriebliche Gesundheitsförderung von 2017 legt nahe, dass es vielerorts noch Unbekannte gibt: Rund ein Drittel der befragten Firmen gab an, Angebote zur Förderung und zum Erhalt der psychischen Gesundheit ausprobiert zu haben. Und auch ein ehrliches "Wie geht es dir?" zu Beginn eines Meetings wird häufig immer noch als Zeitfresser gesehen.
Gerade in Pandemiezeiten sollten die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden der Angestellten keine Unbekannte sein oder gar Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Betriebliche Gesundheitsförderung bedeutet nicht nur Maske, Desinfektionsmittel und Plexiglasscheiben am Arbeitsplatz, um das Infektionsrisiko zu verringern. Oder ergonomische Bürosessel im Homeoffice, um Rückenschmerzen vorzubeugen. Bedeutet nicht nur, Systemrelevante, die regelmäßig Überstunden schieben, auf Pausen hinzuweisen, damit sie nicht ins Burnout schlittern. Sondern es bedeutet auch, Resilienz, Stressbewältigung und Achtsamkeit zu fördern.
Die dahinterliegende Tatsache: Wer gesund und zufrieden ist im Job, ist nicht nur motivierter, engagierter und leistet mehr, zeigen Studien. Sondern auch kreativer, besser im Problemlösen und macht weniger Fehler. Zudem wechseln gutgelaunte, sinnerfüllte Mitarbeitende seltener den Job und sind seltener krank – Unternehmen profitieren also auch finanziell. Die Weltgesundheitsorganisation hat berechnet, dass durch jeden US-Dollar, der in die Behandlung von psychischer Belastung geht, ein Gewinn von vier US-Dollar durch bessere Gesundheit und Produktivität erzielt wird. Und: Firmen, die dafür sorgen, dass es ihren Mitarbeitenden gutgeht, schützen sie indirekt vor einer Corona-Infektion. Denn je besser das Wohlbefinden, desto stärker das Immunsystem.
Maßnahmen nehmen zu
Seit der Pandemie sei die Nachfrage nach ihren Glückstrainings gestiegen, sagt die Psychologin Heide-Marie Smolka. Die Firmen würden ihren Angestellten dabei helfen wollen, krisenresistenter zu werden, und sich dafür interessieren, wie man sich als Team derzeit unterstützen könne. Manche buchten gleich einen zweiten Termin, andere hingegen gar nicht – um Geld zu sparen.
Ähnliche Erfahrungen macht Markus Koblmüller: Seine Firma Team Echo bietet ein App-basiertes Stimmungsbarometer für Firmen an. "Wir haben in den letzten Monaten klar gemerkt, dass Unternehmen verstärkt auf der Suche nach Möglichkeiten sind, wie man – auch über örtliche Distanz hinweg – miteinander verbunden bleibt", sagt er. Dementsprechend sei auch das Interesse an dem Tool gestiegen. Ob der wirtschaftlichen Lage bestellten Unternehmen aber auch zögerlicher neue Softwarelösungen. Im Deloitte-Unternehmensmonitor von September geben immerhin 69 Prozent der 600 befragten Führungskräfte an, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen wegen Corona "etwas" oder "stark" zunehmen werden.
Psychische Belastungen
Der Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben: Die psychische Gesundheit der österreichischen Bevölkerung hat sich seit dem Lockdown im März verschlechtert, zeigt eine aktuelle Befragung der Sigmund-Freud-Privatuniversität, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut Gallup. Das Resultat: Ein Viertel der Menschen in Österreich sei von der "psychosozialen Pandemie" betroffen, sagte Psychiater Michael Musalek bei der Präsentation. Konkret zeige sich: Frauen sind stärker belastet als Männer, auch Personen, die in größeren Städten leben, stärker als jene auf dem Land sowie in kleineren Orten. Zudem sind Alleinstehende und Familien mit unter 18-jährigen Kindern mehr betroffen. Auch Geringverdiener hätten öfter psychische Probleme als Wohlhabende. Und Junge seien mehr belastet als Alte.
Die psychischen Folgen der Corona-Pandemie seien langfristiger als jene der Lungenerkrankung, resümieren die Forscher. Die Menschen litten unter den Corona-Maßnahmen und der sozialen Distanz. Die Folgen: Die Nerven liegen blank, Ängste machen sich breit, Lebensfreude geht verloren. 40 Prozent der Befragten äußerten Zukunftsängste, 27 Prozent sprachen von generalisierter Ängstlichkeit, die typisch für Angststörungen ist. Tabak und Alkohol wurden zu "Krisenbewältigern", die persönliche Probleme jedoch verstärken können.
Psychische Belastungen werden auch ins Arbeitsleben getragen. Die Jobbörse Stepstone hat im Juni rund 1500 Beschäftigte in Österreich gefragt, wie gestresst sie sind. Mit dem allgemeinen Herunterfahren im Lockdown sank erst einmal das Stresslevel: Waren vor der Krise 62 Prozent sehr oder eher gestresst, waren es währenddessen 58 Prozent. Wobei dieser Wert laut der Studienleiterin derzeit wieder ansteige, was vor allem an Unsicherheiten und Zukunftsängsten liege. Letzteres gaben 44 Prozent der Befragten als Stressfaktor an. Aber auch Bewegungsmangel (33 Prozent), wenig Erholung (24 Prozent), Leistungs- und Termindruck (21 Prozent) und Doppelbelastung durch Beruf und Familie (18 Prozent).
Stress im Homeoffice
Auch die veränderten Arbeitsumstände können den Stress bedingen: Kurzarbeit, Mehrarbeit, Homeoffice oder gar Jobverlust sind für viele eine Herausforderung und können krank machen. Expertinnen zufolge steige derzeit auch das Risiko, an Burnout zu erkranken, aber auch Schlafstörungen und Depressionen oder Rückenschmerzen nähmen zu.
Vor allem beim Arbeiten zu Hause zeigt sich nach einem halben Jahr: Die Situationen der Arbeitenden sind sehr unterschiedlich – und je nachdem belastet einen das Homeoffice mehr oder weniger. Viele waren mit der gewonnenen Flexibilität und Autonomie zufrieden, zeigen Untersuchungen. Das sind Faktoren, die auch zu mehr Wohlbefinden in der Arbeit führen, legt eine Studie der Uni Zürich nahe, die die Arbeitszufriedenheit von 600 Beschäftigten in der Schweiz und Deutschland vor und nach der Krise untersuchte. Auch wer ein Arbeitszimmer oder einen eigenen Schreibtisch hat, kommt mit der Situation besser zurecht als jemand, der am Esstisch oder am Sofa arbeitet. Wer daheim zusätzlich die Kinder betreut oder erst arbeitet, wenn diese im Bett sind, hat irgendwann keine Energie mehr.
Wer allein wohnt und im Homeoffice ist, kann sich sozial isoliert oder einsam fühlen – das Büro ist ein Ort des Austauschs, Kollegen werden zu Freunden oder gar Partnern. "Für Personen, die nicht oder nur in einem überschaubaren Familienverband leben, ist die Isolation im Homeoffice eine ernsthafte psychische Bedrohung", sagt Gerhard Klicka, Arbeitspsychologe und Vorstand der Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH. Auch weil Sinnfindung und Wertschätzung oft auf der Strecke blieben. "Zwei zentrale Elemente der Arbeitszufriedenheit gehen so verloren."
Sozialer Zusammenhalt wichtig
Der soziale Zusammenhalt habe ein wichtiges gesundheitsförderndes Potenzial, weiß Klicka. Sich als Teil eines Teams zu fühlen, motiviert. Es ist auch wichtig, sich mit Kollegen über die Teamleitung auskotzen zu können oder in einer gemeinsamen Kaffeepause dem Stress zu entkommen. Gerade das ist in Zeiten von Homeoffice und Abstandhalten schwieriger. Manche Arbeitenden und Firmen haben deshalb virtuelle Pausenräume geschaffen, wo man sich per Videocall austauschen kann.
Aber auch die Motivation und Leistung können derzeit leiden: Nur vor dem Monitor zu arbeiten kann sich auch weniger inspirierend anfühlen, es kann schwieriger sein, sich zu konzentrieren. Beschäftigte berichten bereits über sogenannte Zoom-Fatigue, eine Müdigkeit, die entsteht, wenn man täglich in vielen Videokonferenzen hängt. Auch weil sich der Kontakt nicht echt anfühlt, sich Blicke nicht treffen, nonverbale Gesten verlorengehen. Manche fühlt sich so auch weniger unterstützt von Kollegen und Chefinnen.
Betriebliche Gesundheitsförderung ist auch Führungsaufgabe: Chefs sollten mit gutem Beispiel vorangehen – dann ist Stressbewältigung besonders erfolgreich, wissen Expertinnen. Und: "Gerade in herausfordernden Situationen ist es für Führungskräfte wichtig, die Ohren nah bei den Mitarbeitenden zu haben, nachzufragen, was gut und was noch besser laufen könnte", sagt Team-Echo-Gründer Koblmüller. Es ergebe mitunter Sinn, dafür klare Zuständigkeiten zu haben – nun schlägt wohl auch die Stunde der selbstverständlichen Gesundheitsbeauftragten und Feelgood-Manager.
Nur wer wisse, wie es den Mitarbeitenden geht und wie sie auf Veränderungen reagieren, könne erfolgreich durch die Krise navigieren, sagt Koblmüller. Ähnliches legt ein McKinsey-Report nahe: Jene Firmen mit hohem Sozialkapital, die ihrer Belegschaft Sicherheit und Sinn vermittelten und in gute Beziehungen untereinander investierten, kämen besser und gestärkt aus der Krise. Sie sind naheliegenderweise auch für künftige Arbeitskräfte attraktiver. (Selina Thaler, 26.11.2020)