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Im Ischgler "Kitzloch" steckten sich zahlreiche Gäste an.

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Kommissionsvorsitzender Ronald Rohrer bei der Präsentation des Berichts zum Corona-Krisenmanagement rund um Ischgl.

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Der erste Corona-Lockdown begann am 13. März in Ischgl. Seitdem ließen sich mehr als 10.000 Infektionen mit dem Coronavirus auf die Tiroler Skiregion im Paznauntal zurückführen, darunter auch einige Todesopfer. Die Zahlen sprechen eine brutale Sprache und sind ein veritabler Image-Schaden für das Alpen-Eldorado. Bekannt ist, dass die abrupte Abreise tausender Touristen kurz vor der Isolation des Tales zu chaotischen Szenen geführt hatte und die Gefahr des Virus in Ischgl lange heruntergespielt wurde.

Kommissionsvorsitzender Rohrer im Wortlaut über die Verantwortung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
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Auf die Frage, wer für die Causa Ischgl Verantwortung übernimmt, wurde bislang auf eine vom Land Tirol eingesetzte Expertenkommission verwiesen. Diese präsentierte am Montag ihren mit Spannung erwarteten Bericht. Die Bilanz des knapp 300-seitigen Dokuments lässt aufhorchen: "Folgenschwere Fehleinschätzungen" der lokalen Behörden, zu späte Reaktionen auf Infektionsverläufe, "unwahre" Informationen des Landes Tirol an die Bevölkerung und "Kommunikationsfehler" seitens Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) werden den Krisenmanagern in Land und Bund attestiert.

Und überhaupt hätten die Infektionszahlen schon ein Ende der Skisaison am 9. März verlangt, sagt Kommissionsvorsitzender Ronald Rohrer, nicht erst am 14. Lifte, Skibusse und auch Bars hätten geschlossen werden sollen. Wer die politische Verantwortung dafür trägt, wollte Kommissionsvorstand Ronald Rohrer dennoch nicht sagen. "Keine Zuständigkeit", hieß es mehrmals.

Bericht belastet Kanzler Kurz

Tatsächlich sollte sich die sechsköpfige Kommission nur auf Abläufe innerhalb Tirols konzentrieren, freilich wurden aber auch politische Verantwortungsträger des Bundes zum Geschehen befragt, insbesondere der Bundeskanzler höchstpersönlich. Er war es, der die Quarantäne über das Tal öffentlichkeitswirksam in einer Pressekonferenz am 13. März ankündigte – laut Experten "ohne unmittelbare Zuständigkeit". Kurz habe es verabsäumt, vorab mit den lokalen Behörden einen gemeinsamen Evakuierungsplan zu erstellen. Durch den "Kommunikationsfehler" habe er die geregelte Abreise "behindert" und die panischen Reaktionen der Gäste und Mitarbeiter vor Ort verursacht.

Hier sehen sie die gesamte Pressekonferenz der Expertenkommission.
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Bei der Befragung durch Rohrer schien sich der Kanzler wortkarg gegeben zu haben. Die sofortige Quarantäne sei "aus den Stäben" gekommen. Auf welcher Basis und aus welchem Gremium des Bundes dieser Vorschlag genau kam, beantwortete Kurz nicht, so Rohrer.

Anschober säumig

Auch der zuständige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wurde kritisiert. Er habe verabsäumt, einen zeitgerechten Pandemieplan bereitzustellen und das Epidemiegesetz aus 1950 ins 21. Jahrhundert zu hieven. So habe er das Handeln der lokalen Behörden erschwert, so Rohrer.

Die Befragungen hätten ergeben, dass es außer einem Telefonat zwischen Kurz und Platter kurz vor der Pressekonferenz, bei der die Quarantäne verkündet wurde, keine Absprachen gab. Dies widerspricht mehrmaligen Aussagen des Landes Tirol, sich stets mit dem Bund abgesprochen zu haben, und auch jenen Aussagen Kurz’, er habe nicht "über Tirol hinweg" entscheiden wollen.

Tilg delegierte Verantwortung "unberechtigt"

Am allgemeinen Krisenmanagement des Landes lässt die Kommission kein gutes Haar: Der zuständige Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) habe die Kompetenzen zur Bekämpfung der Pandemie unberechtigt an Landesamtsdirektor Herbert Forster delegiert. Somit habe Tilg die Verantwortlichkeit "ausgedünnt" und Forster mit Verantwortung "überfrachtet".

Die Kommission konnte seitens der zuständigen Landessanitätsdirektion keine "zielgerichtete Strategie" im Kampf gegen die Pandemie erkennen und versäumte es, bestehende Ressourcen zu nutzen und zu bündeln, obwohl diese eine "zentrale Rolle" spielten. Einen direkten Einfluss dieser Versäumnisse auf die Geschehnisse konnte die Kommission trotz alledem nicht feststellen. Tilg selbst bezeichnete den Bericht als "wertvoll", die Kritikpunkte nehme sich der Krisenstab "zu Herzen".

Land Tirol informierte "unwahr"

Vernichtend wird die Kommission bei ihren Ausführungen zur Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol. Die Abteilung im zuständigen Landhaus habe "unwahre" Informationen verbreitet und "daher schlecht" gearbeitet. Sie solle ihre Arbeit künftig weniger als Sprachrohr der Politik und mehr als Filter für die Bevölkerung auslegen. Die Befragungen konnten aber auch hier keinen direkten Einfluss feststellen, wobei die Kommission festhält, dass die Aussendungen des Landes als behördliche Information ernst genommen worden seien.

Im zuständigen Bezirk Landeck waren die Behörden laut Bericht "organisatorisch nicht ausreichend gut vorbereitet". Dies betraf vor allem einen lückenhaften Katastrophenschutzplan, die Struktur des Landeskrisenstabs und die mangelhafte Dokumentation der Ereignisse. Auch die Beamten hätten ein kontrolliertes und gestaffeltes Ausreisemanagement mithilfe von Formularen sicherstellen müssen.

In der Gemeinde Ischgl muss nun Bürgermeister Werner Kurz (ÖVP) zittern. Ihm wird dezidiert vorgehalten, die Verordnung über die Schließung der Liftanlagen verzögert an der Gemeindetafel kundgemacht zu haben – und zwar um ganze zwei Tage. Die Befragung des Bürgermeisters wurde von der Kommission auch an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Es steht der Verdacht auf strafbare Handlungen im Raum. Für Werner Kurz gilt die Unschuldsvermutung.

Abgesehen davon attestierte der Rohrer-Bericht dem Krisenmanagement keinerlei Versuche der Einflussnahme durch die Privatwirtschaft. Sofern die Wünsche einer längeren Wintersaison an Landeshauptmann Platter herangetragen wurden, habe dieser sie abgelehnt. Die Politik habe also ebenso frei arbeiten können wie die Kommission selbst auch. Rohrer lobte, dass sich alle Beteiligten äußerst kooperativ verhalten hätten.

Opposition will Rücktritte

Welche Konsequenzen die Erkenntnisse der Kommission in der Tiroler Politik haben werden, steht noch nicht fest. Dies wird ab Mittwoch im Tiroler Landtag debattiert. Allerdings zeigt sich die Tiroler Opposition bestätigt: Kein Stein dürfe jetzt auf den anderen bleiben, sagt die SPÖ. Auch die FPÖ und die Liste Fritz sehen Landeshauptmann Platter als obersten Krisenmanager in der Verantwortung.

Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) beteuert, keine personellen Konsequenzen ziehen zu wollen.
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Die Grünen als Koalitionspartner der ÖVP zeigten sich mit dem Bericht zufrieden. Die ÖVP scheint in einer ersten Aussendung von ihrer Strategie, zu betonen, dass alles richtig gemacht wurde, erstmals abgerückt zu sein. Von politischen Konsequenzen war aber am Montagnachmittag nichts zu hören. Im Gegenteil: Man müsse die damals getroffenen Entscheidungen immer auch im damaligen Kontext sehen. Die Opposition wolle jetzt nur politisches Kapital schlagen, so die ÖVP.

Auch Platter zeigte sich nach der Präsentation erleichtert: Es seien durch "mutige und richtige Entscheidungen" der Behörden "viele Dinge gut gelaufen", auch wenn "insbesondere am Beginn der Pandemie" zu Fehleinschätzungen kam, so Platter. Einen Rücktritt Tilgs schloss er aus. Dass der Bericht Platter nur lobe und von Fehlverhalten freispreche, wie manche nach einer ersten Durchsicht vermuteten, verneinte Rohrer am Montagabend in der "ZiB 2". (Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla, 12.10.2020)