Am Sonntag hat die rote Bürgermeisterpartei in Wien die türkise Kanzlerpartei abgehängt. Die FPÖ wurde nach Ibiza-Skandal und Spesen-Gate auf ein Neues in noch kleinere Stücke filetiert. Und die erstarkten Grünen und Neos machen sich Hoffnungen auf ein Mitregieren in der Hauptstadt. Doch welche Folgen hat das Abschneiden der Rathaus-Parteien auf die Bundespolitik? DER STANDARD hat sich bei Experten und in den Parteien umgehört. Fazit in Kurzform: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner muss sich vorerst keine Sorgen machen, FPÖ-Chef Norbert Hofer schon eher. Bei der ÖVP bleibt alles, so wie es ist, dafür geben sich Grün und Pink ausgesprochen kämpferisch.

Norbert Hofer (FPÖ) und Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) könnten Turbulenzen erwarten. Beate Meinl-Reisinger (Neos) nicht.
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SPÖ

Pamela Rendi-Wagner hat in der SPÖ zweifellos ihre Gegner – eigentlich schon immer. Die Parteichefin wurde eine Zeit lang laufend angezählt, ihr Abgang ausgerufen, und jedes Mal hieß es: jetzt aber wirklich. Rendi-Wagner blieb – zur Überraschung vieler.

Einen Dämpfer haben jene, die sie mangels Erfolgs längst loswerden wollen, schon bekommen, als Rendi-Wagner im März die SPÖ-Mitglieder über ihren Verbleib abstimmen ließ – und sich eine breite Mehrheit erneut für die erste weibliche Vorsitzende aussprach. Von da an hieß es: Bis zur Wien-Wahl wird ihre Gegnerschaft verstummen, aber dann werde sie ganz sicher ausgetauscht. Das ist auch weiterhin nicht ausgeschlossen, aber inzwischen sagen die meisten Sozialdemokraten, die man fragt: Danach sieht es aktuell nicht aus.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist zwar nicht in Stimmanteilen, aber doch machtpolitisch der mächtigste Rote im Land, insbesondere seit Sonntag – und er stützt Rendi-Wagner nun schon lange. Auch wenn die beiden ganz gewiss keine engen Vertrauten sind. Ein Roter formuliert es so: "Was die innerparteiliche Macht der Länderchefs betrifft, ist eine schwache Bundeschefin der Idealfall." Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser hat sich immer hinter Rendi-Wagner gestellt.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist zwar nicht in Stimmanteilen, aber doch machtpolitisch der mächtigste Rote im Land.
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Hans Peter Doskozil, der erfolgreichste Sozialdemokrat nach Wahlergebnis, ist zwar auch bundespolitisch immer wieder auffällig. Bei der Frage, welche Agenda er konkret verfolgt, scheiden sich in der SPÖ allerdings die Geister: Will er die Partei übernehmen und wenn ja, wann? Fakt ist, gerade wurde er als burgenländischer Landeshauptmann mit einer Absoluten ausgestattet. Viele sagen: Das ist deutlich attraktiver als Oppositionschef in der aktuellen Situation.

Ansonsten wird derzeit eigentlich nur ein zweiter Name genannt, wenn es um einen möglichen neuen Bundeschef geht: Peter Hacker, Wiener Gesundheitslandesrat. Der Nachsatz lautet dann zumeist: falls ihn Ludwig an den Bund loswerden möchte. So machte es einst Wiens Bürgermeister Michael Häupl mit seinem Stadtrat Werner Faymann – dessen weitere Geschichte ist bekannt. Hacker ist insbesondere seit der Corona-Krise sehr populär. Doch Ludwig wurde gerade deutlich bestätigt und muss sich nicht vor hauseigener Konkurrenz fürchten. Oder wie es ein Sozialdemokrat sagt: "Vermutlich bleibt vorerst einmal alles, wie es ist."

FPÖ

Es gibt Freiheitliche, die sagen: In der FPÖ geht es jetzt um nicht weniger als eine Richtungsentscheidung. Bleibt man bei dem ruppigen Kurs für die Basis – den im Grunde auch die Wiener FPÖ für ihren Wahlkampf gewählt hat. Oder versucht man, sich bürgerlicher zu präsentieren, um der ÖVP Richtung Mitte Konkurrenz zu machen.

Das erste Lager wird – pauschal gesprochen – von Herbert Kickl repräsentiert, dem blauen Chefstrategen und geschäftsführenden Klubobmann. Der andere Flügel wird von dem Oberösterreicher Manfred Haimbuchner und anderen blauen Landeschefs angeführt. FPÖ-Bundesobmann Norbert Hofer steht da irgendwo in der Mitte.

Ein FPÖ-Flügel wird von dem Oberösterreicher Manfred Haimbuchner und anderen blauen Landeschefs angeführt.
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Der Richtungsstreit ist noch nicht entschieden. Schon in den Wochen vor der Wahl sind immer wieder Namen kursiert, wer Hofer ablösen könnte. Allen voran wurde Udo Landbauer genannt, Niederösterreichs Landeschef.

Kickls Gegner unterstellen ihm, er würde diese Ablösegerüchte gezielt streuen, weil er sich einen schwachen Ersten wünscht, den er wieder besser steuern kann. Andere sehen Kickl selbst als möglichen neuen Bundeschef. Wieder andere sind überzeugt, dass Hofer vorerst an der Spitze bleiben wird, weil er von mächtigen Freiheitlichen gestützt wird. Haimbuchner sagte kürzlich: "Solange Norbert Hofer Chef sein will, wird er es sein."

Über den Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp, der gerade ein fatales Wahlergebnis kassiert hat, will sich in der Führungsebene fast niemand kritisch äußern. Nepp könne "ja eigentlich nichts dafür", sagt ein langjähriger Kenner der Landespartei. Auch den Bundesblauen passe dieses Narrativ. Denn wenn Nepp keine Schuld an dem miesen Abschneiden in Wien trägt, könne auch Parteiobmann Hofer nichts für die schlechten Werte im Bund.

Offen geäußert haben sich bloß Landbauer, der ausrichten ließ, man könne "so nicht weitermachen" – und Kickl. Der sagt: "Nicht andere Parteien haben uns diesmal besiegt. Die FPÖ selbst hat dieses Geschäft für unsere Gegner erledigt." Im Wiederaufbau sehe er "seinen Auftrag".

Ein interner blauer Kritiker hat für einen Verbleib im Status quo eine spezielle Theorie: Die führenden Köpfe würden einander die Mauer machen, weil sonst weitere Details über das finanzielle Gebaren der Partei nach außen dringen könnten. Sprich: Heinz-Christian Strache war zwar ein Meister im Tricksen, Täuschen und Abzweigen von Spesengeld – aber kein Einzelfall.

ÖVP

Unlängst den Bregenzer Bürgermeister an die Sozis verloren, am Sonntag vom roten Wiener Bürgermeister weit abgehängt, und zu Jahresbeginn droht schon der nächste fulminante Wahlsieg des SPÖ-Bürgermeisters von St. Pölten: Hat die Kanzlerpartei ein ärgeres Problem in den Städten, sodass sie ihren Bundeskurs überdenken müsste?

Dass Türkis bei der liberalen Wählerschaft in den Ballungsräumen nicht so gut ankommt, sei schon seit der Nationalratswahl evident, erklärt der Politologe Peter Filzmaier, aber: Das sei beim bisherigen Erfolgsrezept von Kurz, Blümel & Co einkalkuliert. Denn ein Werben um die blaue Wählerkonkursmasse zahle sich für die ÖVP erst recht seit Ibiza-Gate aus, wie sich in Wien immerhin anhand der Verdoppelung ihrer Stimmen zeige. Bedeutet: Die stramme Rechtspolitik bei Migration und Integration bleibt weiterhin aufrecht, weil: Das kommt am Land, vor allem in den Dörfern, bestens an.

Rechte Grenzüberschreitungen sind zum Repertoire der ÖVP geworden, sagt Populismusforscherin Strobl. Die ÖVP sprach das bürgerlich-liberale Lager zu wenig an, meint PR-Beraterin Glück
DER STANDARD

Grüne

Auch für die Bundesgrünen ist sonnenklar: dass der rote Bürgermeister nun angesichts dreier williger Partner für sie den Preis für einen Fortbestand ihrer prestigeträchtigen Koalition in Wien hochtreibt. Vielleicht setze es als Bedingung für ein neues Bündnis finanzielle Einschnitte bei ihren Kernanliegen wie der Stadtplanung, wird gemunkelt. Oder womöglich wolle ihnen Ludwig ein heikles Ressort wie die Gesundheit inmitten der Pandemie umhängen, mit dem zu reüssieren man seine liebe Not hätte.

Sollten die Rathaus-Roten mit der ÖVP oder den Neos gemeinsame Sache machen, bräche für Kogler, Maurer & Co zwar nicht die grüne Welt zusammen, heißt es. Denn am Sonntag sei ihr Regieren mit der ÖVP genauso bestätigt worden wie der sozialere rot-grüne Kurs in Wien. Werde man in der Bundeshauptstadt aber jetzt außen vor gelassen, bedeute das: auf in die "Fundamentalopposition", wie es eine Grüne nicht so pazifistisch ausdrückt.

Neos

Es ist quasi der Gründungsanspruch der Neos und liegt gewissermaßen in der DNA der pinken Partei: Sie will regieren. Zumindest mitregieren. Das war das Mantra von Gründer Matthias Strolz, das ist die Devise der jetzigen Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, und so lautet auch das Ziel des Wiener Spitzenkandidaten Christoph Wiederkehr. Opposition ist für die jüngste, 2012 gegründete Partei im Parlament bestenfalls das Sprungbrett zum Eigentlichen: in einer Regierung gestalten zu können. Bis jetzt ist das den Neos nur in einem Bundesland gelungen.

In Salzburg amtiert seit 2018 eine türkis-grün-pinke "Dirndlkoalition". In Wien soll nun, geht es nach den Neos, der zweite Streich folgen: Rot und Pink – in der Mode bekannt als Colour-Blocking. Eher etwas für Mutige, die es unkonventionell mögen. Das Gegenteil von unauffällig. Es wird davon abhängen, wie viel Mut zum politischen Farbexperiment der rote Wahlsieger Michael Ludwig hat. (Katharina Mittelstaedt, Lisa Nimmervoll, Fabian Schmid, Nina Weißensteiner, 13.10.2020)