Hält seine erste Budgetrede mitten in der Corona-Pandemie: Finanzminister Gernot Blümel, der ein deftiges Minus verkaufen muss.

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Auf Gernot Blümel wartet ein radikaler Rollenwechsel. Am Sonntag durfte der ÖVP-Politiker trotz seiner nicht immer unumstrittenen Performance als Spitzenkandidat bei der Wien-Wahl ein sattes Plus bejubeln. Drei Tage später, am Mittwoch, gilt es hingegen ein deftiges Minus zu verkaufen. Als Finanzminister hält Blümel seine Budgetrede im Parlament. Eines steht bereits jetzt fest: Im Haushaltsentwurf fürs kommende Jahr wird ein großes Defizit klaffen.

Laut durchgesickerten Informationen will der Bund im kommenden Jahr um über 20 Milliarden Euro mehr ausgeben, als er an Einnahmen erwartet – das bedeutet ein Budgetdefizit von mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Zum Vergleich: Heuer kündigt sich ein Minus von zehn Prozent an.

Arbeitslosigkeit eine zentrale Sorge

Die Ursache ist natürlich die Corona-Krise. Erstens macht der Staat Unsummen für Arbeitslosengeld, diverse Hilfsmaßnahmen und die Stützung der Sozialsysteme locker. Zweitens verspricht die Regierung Investitionen, um die Republik wieder auf Vordermann zu bringen. Doch geben ÖVP und Grüne genügend Geld für die richtigen Zwecke an?

Eine zentrale Sorge, an der die Regierung nicht vorbeikommt, ist die rasant gestiegene Arbeitslosigkeit. Man stehe vor einem Winter mit einer Rekordarbeitslosigkeit von mehr als 500.000 Menschen, das habe es seit 1946 in Österreich nicht gegeben, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz am Dienstag. Man lese beinahe täglich von Standortschließungen und Personalabbau in der Industrie, doch die türkis-grüne Regierung bleibe aus ihrer Sicht untätig. Das Budget von Blümel sei jedenfalls alles andere als eine "Kampfansage gegen die Arbeitslosigkeit", moniert Rendi-Wagner. Ihr fehlt überdies eine weitere Steuersenkung, um den Konsum anzukurbeln.

Tatsächlich sieht das kommende Budget mehr Geld zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor. Aber man muss schon genau hinsehen. Gernot Mitter von der Arbeiterkammer geht laut vorliegenden Informationen von 428 Millionen Euro aus, die zusätzlich unter dem Titel "Arbeitsstiftung" für Schulungen und Qualifizierungsmaßnahmen fließen sollen.

Seiner Rechnung zufolge liegt das Förderbudget des Arbeitsmarktservice damit in absoluten Zahlen auch über den Summen, die in den Jahren 2017 bis 2019 letztlich jeweils ausgeschüttet wurden. Kalkuliert man jedoch die gewachsene Zahl der Arbeitslosen mit ein, sieht die Bilanz anders aus. Pro Kopf gerechnet falle die Fördersumme nicht wirklich höher aus als 2017, merkt Mitter an, will sich aber gar nicht allzu lang mit diesem Vergleich aufhalten: Die 428 Millionen mehr fürs kommende Jahr seien jedenfalls ein richtiger Schritt.

Arbeiterkammer fordert öffentliches Beschäftigungsprogramm

Allerdings falle die Strategie einseitig aus, merkt der Vertreter der Arbeitnehmerlobby an. Schulungen könnten nur dann viele Arbeitslose in Jobs bringen, wenn ein kräftiger Konjunkturaufschwung solche schafft.

Doch was, wenn die Erholung nicht eintritt? Für diesen Fall sorge die Regierung in ihrem Optimismus nicht vor, kritisiert Mitter. Türkis-Grün sollte noch einmal 300 Millionen Euro für ein öffentliches Beschäftigungsprogramm in die Hand nehmen: Bevor immer mehr (ältere) Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen, sollten via Gemeinden sozial nützliche Tätigkeiten angeboten werden. Berufseinsteigern könnte die Regierung mit einer Aufnahmeoffensive in den öffentlichen Dienst helfen. Die dortige Belegschaft sei ohnedies überaltert, der Staat müsse rechtzeitig Nachwuchs aufbauen.

Vize-SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried erneuerte zusätzlich die rote Forderung nach einer Millionärsabgabe und einer Solidarabgabe von Online-Konzernen. Jene, die selbst in der Krise profitieren, sollen aus seiner Sicht auch einen Anteil leisten.

Viel Altbekanntes

In den bisherigen Zahlen zeichne sich ab, dass die Regierung weder ausreichend die öffentlichen Ausgaben ankurble noch die kleinen Einkommen – etwa mit einer Anhebung des Arbeitslosengeldes – stütze, sagt SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer: "Und ich vermisse auch die Klimaschutzmilliarde."

Die vermisst auch Krainers Pendant bei den Neos, Karin Doppelbauer. Ihr geht zudem die von der Regierung groß angekündigte ökosoziale Steuerreform in den bisher bekannten Details zum Budget ab. Diese sollte in zwei Etappen 2021 und 2022 umgesetzt werden. Eine erste Steuersenkung und eine Erhöhung der Flugticketabgabe wurden bereits vorgezogen.

Geplant waren unter anderem noch eine CO2-Abgabe – das Prestigeprojekt der Grünen – oder aber jedenfalls für 2021 die "Ökologisierung" der Pendlerpauschale oder der Normverbrauchsabgabe (Nova). Letzteres, um emissionsfreie Fahrzeuge schmackhafter zu machen. Aus dem grünen Umfeld heißt es, dass bei der Steuerreform zeitnah etwas passieren soll.

Die Neos drängen auf ein größeres Konjunkturpaket. "Das, was wir bis jetzt sehen, sieht danach aus, als würde es so weitergehen wie bisher", sagt Doppelbauer. Und das werde nicht ausreichen, befürchtet sie. Tatsächlich scheinen derzeit vor allem altbekannte konjunkturelle Maßnahmen im Budget eingepreist zu sein, von der Investitionsprämie bis zur Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie. Aus Sicht der Liberalen soll der Staat massiv investieren, um die im OECD-Vergleich niedrige Investitionsquote in die Höhe zu schrauben.

Neos drängen auf privaten Risikokapitalfonds

Generell beschäftigen sich die Neos damit, wie mehr Geld in die kriselnde Wirtschaft fließen könnte. Bei der Recherche ist Doppelbauer aufgefallen, dass in Österreich etwa 400 Milliarden Euro an Eigenkapital vorhanden sein sollen. Freilich nicht alles, aber einen Teil davon könnte aus ihrer Sicht bewegt werden, wenn die Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Pläne sind noch nicht ausgegoren, aber aus Sicht der Liberalen könnte das in Form von privaten Risikokapitalfonds passieren, über die Firmen unter die Arme gegriffen wird.

Doppelbauer fordert zudem eine Gleichsetzung von Eigen- und Fremdkapital. Konkret soll es die Möglichkeit eines Steuerabzugs für Eigenkapitalkosten geben, um einen Anreiz für Unternehmen zu schaffen, damit diese ihre Eigenkapitalausstattung erhöhen und krisenresistenter werden.

Fixkostenzuschuss II mit Konstruktionsfehler

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger wünscht sich in einer Pressekonferenz am Dienstag, dass Blümel nach seinem Exkurs im Wien-Wahlkampf wieder seiner Vollzeitbeschäftigung als Finanzminister nachgeht. Über den Sommer hätte er verabsäumt, weitere Stützen für die heimische Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Meinl-Reisinger warnt vor einer Pleitewelle in Österreich. Mitunter auch, weil Projekte wie die zweite Phase des Fixkostenzuschusses, die Blümel als "Überwinterung" verkauft, gravierende Konstruktionsmängel aufweisen würden. Viele Unternehmen, insbesondere Tourismusbetriebe, könnten schon Mitte Dezember ohne weitere Zuschüsse dastehen. Der Zuschuss würde den harten Winter nicht umfassen, sagt Meinl-Reisinger. Der STANDARD berichtete. (Gerald John, Jan Michael Marchart, 13.10.2020)