Neun Millionen Menschen sollen in der nordchinesischen Stadt Qingdao zu Tests antreten, weil sich zwölf Menschen in der Stadt neu infiziert haben. China will unbedingt sauber bleiben.

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Gerade erst ist die "Goldene Woche", eine von zwei offiziellen Ferienwochen Chinas im Jahr, zu Ende gegangen, schon müssen wieder die Einwohner einer Millionenstadt zum Massen-Corona-Test. Dieses Mal trifft es die Stadt Qingdao im Norden Chinas. Dort wurden am Wochenende zwölf Neuinfektionen gemeldet. Nun sollen sich alle der neun Millionen Einwohner Qingdaos testen lassen. Innerhalb von fünf Tagen soll die Prozedur vonstatten gehen.

Dass die Ferienwoche zu einem Anstieg von Neuinfektionen führen würde, galt als wahrscheinlich. Schon im September waren erste Stimmen, darunter Chinas oberster Seuchenexperte Zhong Nanshan, laut geworden, dass demnächst bald eine zweite Welle drohen könnte. Neben dem Frühlingsfest in den ersten Monaten des Jahres ist die "Golden Week" die Reisewoche der Chinesen. Daran konnte auch die Pandemie nicht viel ändern. Rund 600 Millionen Chinesen waren in der vergangenen Woche unterwegs.

Fröhliche Ferien

Laut Informationen des chinesischen Kulturministeriums waren das 80 Prozent des Vorjahresaufkommens. Es entsprach in etwa den Erwartungen. Da Auslandsreisen bis auf Weiteres nicht möglich sind, reisten viele Chinesen im eigenen Land – und stauten sich bei den klassischen Sehenswürdigkeiten wie der Großen Mauer bei Peking oder am Bund in Schanghai. Nicht alle trugen dabei Schutzmasken oder hielten sich an die Abstandsregeln. Dass es dabei nur zu einem Cluster mit zwölf Infektionen in der Stadt Qingdao gekommen ist, ist eigentlich erstaunlich.

Doch Chinas Corona-Zahlen sind vielen ein Rätsel. Im Ursprungsland des Coronavirus sind die Neuinfektionen seit Monaten derart niedrig, wie man sie sich in Mitteleuropa nur wünschen kann. Konstant vermelden die chinesischen Behörden zwar neue Infektionen, aber die sind nahezu täglich im niedrigen zweistelligen Bereich. Offiziell haben sich 85.000 Menschen mit dem Virus infiziert – die überwiegende Mehrheit in den ersten Wochen nach Ausbruch in Wuhan.

Schwierige Einreise

Das Narrativ der kommunistischen Partei lautet: Das Virus grassiert im Ausland, China aber ist sauber und sicher. Wer nach China einreist, muss sich deswegen einer strikten 14-tägigen Quarantäne unterziehen und darf dabei ein Hotelzimmer nicht verlassen. Menschen in Ganzkörper-Gummianzügen bringen einem dreimal am Tag in Plastik verpacktes Essen. Vor Abflug, bei Ankunft und während der Quarantäne wird der Einreisende auf das Virus getestet.

Wer aber einmal durch die Schleuse gekommen ist, findet ein Land vor, das vom Coronavirus verschont scheint. Restaurants, Kinos selbst Clubs haben wieder geöffnet. Das öffentliche Leben ist nicht beeinträchtigt, die Wirtschaft brummt wieder. Die Volksrepublik dürfte das einzige große Industrieland sein, dessen Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr wächst.

Strikte Ausgangssperren

Tauchen doch kleinere Cluster auf, wie am Wochenende in Qingdao, müssen sich alle Bewohner einem Test unterziehen. Zudem werden für einzelne Stadtviertel oder gesamte Städte strikte Ausgangssperren verhängt. Zuletzt war das im nordwestchinesischen Urumtschi, der Hauptstadt von Xinjiang, und davor in der Provinz Heilongjiang im Nordosten des Landes geschehen. Verwunderlich aber ist es dennoch, dass die Zahl der Neuinfektionen so gut wie nie 30 überschreitet. Noch vor der Ausgangssperre in Wuhan Ende Jänner hatten nachweislich über fünf Millionen Menschen die Stadt verlassen.

Dass chinesische Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, ist nichts Neues. Immer wieder werden auch Zweifel an Wirtschaftsstatistiken laut – so ist das BIP-Wachstum am Ende des Jahres meist exakt so hoch, wie das Ziel, das die Partei am Anfang des Jahres verkündet hatte. Auch der Umgang Pekings mit Epidemien hat ein Muster: In den Neunzigern gab es in China offiziell keine HIV-Positiven. Aids war eine Krankheit des Auslands. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 12.10.2020)