Birgit Hebein (Grüne) und Michael Ludwig (SPÖ) am Wahltag.

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Für die Grünen sind das bange Stunden und Tage. Sie wollen unbedingt als Koalitionspartner der SPÖ in der Wiener Stadtregierung bleiben, so wie schon die vergangenen zehn Jahre. Aber die SPÖ lässt sich bitten, lässt sich sehr bitten und kokettiert mit der pinken Alternative: Auch die Neos seien doch sicherlich ein netter, kleiner Partner und wahrscheinlich weniger anstrengend als die nervigen Grünen.

Für die Grünen ist das eine ganz entscheidende Weichenstellung, nicht nur auf Wiener Landesebene. Die Grünen sind der Oppositionsrolle entwachsen, sie wollen mitregieren, mitbestimmen, mitgestalten. Es geht in Wien nicht nur um Geld, Macht und Einfluss. Das auch, keine Frage. Das Amt der Vizebürgermeisterin, bisher verbunden mit den Agenden Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz und Energieplanung, ist nicht nur finanziell interessant, da lassen sich auch viele grüne Mitstreiter in guten Positionen beschäftigen.

Vor allem aber: Eine Koalition bietet sehr konkrete Möglichkeiten, in Wien Einfluss zu nehmen und Projekte umzusetzen, gerade in der Verkehrspolitik. Das war in den vergangenen Jahren für viele Wienerinnen und Wiener auch erlebbar. Je nachdem, wo man steht und wie man sich fortbewegt, sehr positiv oder auch störend.

Zu viel Einfluss

Der SPÖ war das offenbar schon zu viel an Einfluss, mit den Neos gebe es mit Sicherheit weniger Bewegung – und diese in anderen Bereichen, die vielleicht weniger schmerzen. Für die Grünen würde das bedeuten: Sie könnten nichts mehr angehen (oder nur auf Bezirksebene) und umsetzen, sie könnten nur noch von den Oppositionsrängen aus reinkeppeln. Ein Albtraum aus grüner Sicht. Daher sind sie jetzt, anders als im Wahlkampf, sehr brav und liebdienerisch.

Anders gesagt: Sie rutschen vor der SPÖ auf Knien herum. Man kann es so oder so sehen: Sie wollen an den Futtertrögen der Macht bleiben – oder sie wollen, ganz idealistisch betrachtet, weiter die Welt verbessern. Und das geht eben nur, wenn man etwas zu sagen hat, was auch umgesetzt wird. Und vielleicht lässt sich beides ja verbinden.

Abgesehen davon war die rot-grüne Stadtregierung auch ein wunderbarer, ideologisch gesehen unabdingbarer, notwendiger Gegenentwurf zum Experiment der türkis-grünen Koalition auf Bundesebene. Diese Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz und seiner türkisen "Schnöseltruppe", wie Parteichef Werner Kogler das einmal formuliert hat, entspricht dem Naturell der Grünen viel weniger als die naheliegende rot-grüne Zusammenarbeit.

Scheitert die Regierungsbeteiligung in Wien, droht das gesamte grüne Selbstverständnis aus dem Gleichgewicht zu geraten. Wenn die Grünen nur noch Sebastian Kurz folgen, Flüchtlinge in Dreckslagern auf Lesbos verkommen lassen und mit dem Plastikpfand gegen die Wand laufen, ohne wenigstens in Wien kräftig dagegenhalten und den Weltverbesserungsanspruch stellen zu können, wird das intern zu einem massiven Aufbegehren der eigenen Leute führen und sich in der Folge auch empfindlich auf künftige Wahlergebnisse niederschlagen. Wenn die Glaubwürdigkeit an der Zusammenarbeit mit Kurz (und dessen Diktat) hängt, fallen wesentliche Gründe, Grün zu wählen, weg.

Situationselastisch

Daher werden sich die Grünen in Wien situationselastisch zeigen (müssen). Diesbezügliche Erfahrung haben sie auf Bundesebene schon intensiv sammeln dürfen – jetzt steht ihnen dieser etwas demütigende Unterwerfungsprozess auch in Wien bevor. Der darf freilich nicht zur Selbstaufgabe führen, sonst wäre das Mitregieren nur noch Selbstzweck. Was ist für Grüne (in Wien) wichtig, wenn nicht gar spielentscheidend? Die Verkehrspolitik, die sich weitgehend mit der Klimapolitik deckt. Dieses Ressort muss Bedingung sein.

Das wissen freilich auch die Roten. Wenn sie die Grünen loswerden wollen, bieten sie ihnen einfach alles andere an. Es liegt jetzt an Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, die Grünen aufs Podest oder aus den Angeln zu heben. (Michael Völker, 13.10.2020)