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STANDARD: Geben Sie allein Strache die Schuld an der FPÖ-Wahlniederlage?

Mölzer: Das muss man differenzierter betrachten. Seit Ibiza ist unser Kapital als fundamentalkritische Partei, das Vertrauen derer, die nicht Korruption, Schwarz-Rot und den Mainstream wollten, verspielt.

STANDARD: Weil sie die Korruptionsansagen der FPÖ in Ibiza sahen?

Mölzer: Wegen der Korruptionsansagen, die genuin Straches waren. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her und vielerorts vergessen, nicht so in Wien. Durch das Antreten Straches wurden Ibiza und seine Spesen dauernd aufgewärmt. Deswegen war das so katastrophal. Aber dort, wo wir gut aufgestellt sind, verlieren wir seit Ibiza nur ein Drittel – wie in der Steiermark oder in der EU –, wo wir schlecht aufgestellt sind, verlieren wir zwei Drittel.

STANDARD: Also war die FPÖ mit Dominik Nepp schlecht aufgestellt?

Mölzer: Nein, unseren Analysen zufolge wäre es für die FPÖ noch schlechter ausgegangen, hätte sich Nepp nicht während der letzten Wochen noch stark eingebracht. Es hätte sonst gleichauf ausgehen können, das heißt: Strache knapp rein und wir noch weiter unten. Aber es ist dennoch ein Fiasko, auch wenn die Bundes-FPÖ jetzt meint, die Niederlage sei eh eingepreist gewesen.

STANDARD: Es gibt aber keine Personaldiskussion?

Mölzer: Es ist zu früh, es gibt jetzt genug andere Probleme. Zwei Drittel der Leute sind jetzt freigestellt. ÖVP und SPÖ können ihre Leute immer noch wo versorgen, sei es bei der Uniqa oder in Brüssel, bei uns kommen nicht einmal die Spitzenpolitiker unter.

STANDARD: Ihr Blatt "Zur Zeit" kann wohl nicht so viele aufnehmen?

Mölzer: Nein, wirklich nicht, "Zur Zeit" lebt von Selbstausbeutung. Ich habe auch meinem Sohn, als er aus dem Parlament flog, gesagt: Mein Freund, jetzt musst du es mit Arbeit versuchen.

STANDARD: Wer soll den FPÖ-Karren mittelfristig aus dem Dreck ziehen?

Mölzer: Man kann nicht über Nacht wen aus dem Hut zaubern. Jetzt sind Politiker im Alter 50 plus, die mit Strache groß geworden sind, am Ruder. Jüngere brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Ich sehe auch viel Potenzial bei Manfred Haimbuchner, aber der will in Oberösterreich bleiben. Auch bei Udo Landbauer, Mario Kunasek oder dem Welser Bürgermeister Andreas Rabl. Jörg Haider und Strache waren die charismatischen Politiker. Ich habe das ja nie so empfunden. Also wie bei Lueger, der so beliebt war, dass sich Leute, die ihm die Hand geschüttelt haben, drei Wochen nicht die Hände gewaschen haben. Aber die Gefahr bei charismatischen Politikern ist immer, dass sie abheben. Das war bei Haider und Strache so. Haider sagte: Ich bin die Ideologie, ich bin der Wahlsieg. Das Parteiprogramm war egal, es galt das gesprochene Wort. Strache sagte: Ich, ich, ich.

STANDARD: Norbert Hofer und Herbert Kickl sind nicht charismatisch?

Mölzer: Sie haben einen kollegialen Führungsstil.

STANDARD: War der Anti-Ausländer-Wahlkampf falsch? Glauben Sie, dass Anti-Islam-Plakate noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken?

Mölzer: Ich bin ja nur montags in Wien und habe diese Plakate selbst nicht gesehen, aber sicher: Nur das Thema Migration ist zu wenig. Die Partei muss sich wieder auf das Freiheitsthema besinnen, da hat sie eine 170-jährige Geschichte. Wir brauchen eine breite Themenpalette: Bürgerfreiheit, Meinungsfreiheit, Leistung, Familie, Soziales.

STANDARD: Freiheitsthemen haben sich die Neos auf die Fahnen geschrieben, Leistung und Migration die ÖVP, Soziales die SPÖ. Wo braucht es Sie noch?

Mölzer: Na ja, bei Corona sehe ich das nicht bei den Neos. Aber das ist natürlich eine Gratwanderung, da müssen wir aufpassen, dass wir nicht in den Narrenbereich der Corona-Leugner kommen.

STANDARD: Haben Sie die Kinder aus dem Lager Moria auch ein paar Stimmen gekostet?

Mölzer: Das war den FPÖ-Wählern nicht wichtig. Die meisten sind ja in den Nichtwählerbereich gewandert – und dort müssen wir sie wieder abholen. Aber natürlich will keiner Kinder verkommen lassen. Ich bin Vater von sechs Kindern, ich weiß, wovon ich spreche. Aber dort hundert Kinder aussuchen: Wie wollen Sie das machen? Da ist es besser, man hilft allen massiv vor Ort, da gebe ich dem Kanzler recht.

STANDARD: Mit Zelten ohne Böden, wo die Menschen bei Regen im Dreck schlafen?

Mölzer: Ja, das ist eine Sauerei. Ich weiß nicht, was da los ist. Warum es in Zeiten von Weltraumfahrt und Computertechnik nicht möglich ist, in zwei Monaten eine Stadt aus menschenwürdigen Fertigteilhäusern aus Holz mit Abwasserversorgung hinzustellen. Da kann man sich nicht auf die Rechtspopulisten Europas herausreden. Das ist eine Heuchelei der EU. (Colette M. Schmidt, 13.10.2020)