Colomys hat keine Angst davor, sich nasse Füße zu holen.
Illustration: Velizar Simeonovski, Field Museum

Die Entdeckung neuer Großkatzen- und Bärenarten ist eher ins Stocken geraten, sagt Tom Giarla vom Siena College in New York mit Understatement. Bei den Kleinsäugetieren aber, da könnte noch so Einiges gehen – speziell in abgelegenen Tropenregionen. Diese Tiergruppe werde ohnehin nicht hoch genug geschätzt, findet der Biologe.

Zum Beispiel die Mäuseartigen (Muroidea): Etwa eineinhalbtausend Arten werden dieser Nagetiergruppe zugeschrieben, das ist ein Viertel aller Säugetierspezies insgesamt. Was innerhalb dieser Gruppe einen Namen trägt, der auf "-maus" oder "-ratte" endet, hängt zumeist eher von der Größe als von tatsächlicher Verwandtschaft ab. Die ungewöhnlichen Tiere der Gattung Colomys aus Westafrika, die im Zentrum einer aktuellen Studie stehen, werden 10 bis 14 Zentimeter lang. Jeder kann sich also selbst entscheiden, ob er sie eher als Afrikanische Wasserratten oder als Afrikanische Waldbachmäuse sehen will, beide Namen sind üblich.

Colomys im Kurzporträt

Julian Kerbis Peterhans vom Field Museum in Chicago, der sich für die Studie mit Giarla zusammengetan hat, studiert die Tiere seit Jahrzehnten. Er hält Colomys für die hübscheste Maus, die er je in Afrika gefunden hat, vor allem aber kennt er ihre Besonderheiten genau. Colomys hat sich so gut an eine semiaquatische Lebensweise angepasst wie keine andere Maus. Ihr dichter Pelz ist wasserabweisend, und sie kann sehr gut schwimmen – auch wenn sie das eher nur in Gefahrensituationen tut.

Viel lieber watet die Maus durch den flachen Nichtschwimmerbereich von Flüssen und Tümpeln. Ihre auffallend großen Füße helfen ihr dabei, nicht in den weichen Boden des ufernahen Bereichs einzusinken. Gerne lässt sie sich laut Kerbis Peterhans auch in Kängurupose auf den Hinterbeinen nieder. Die Maus hält sich an Stellen auf, an denen das Wasser gerade so flach ist, dass sie mit ihren langen Schnurrbarthaaren die Oberfläche berührt und so die Vibrationen potenzieller Beute spürt. In erster Linie sind das Wasserinsekten, etwa die Larven von Köcherfliegen.

Dieses feine Sensorium könnte auch der Grund für eine weitere Besonderheit dieser Spezies sein: ihr für Mäuseverhältnisse ungewöhnlich großes Gehirn. Zumindest vermutet Kerbis Peterhans, dass Colomys dies braucht, um all die vom "Mäuse-Sonar" eingefangenen Signale verarbeiten zu können.

Verwandt und ähnlich, aber nicht dasselbe: links ein Präparat von Colomys goslingi, rechts eines von Colomys lumumbai.
Foto: Giarla et al

Die beiden Forscher führten auch DNA-Analysen durch, und das brachte sie zur Lösung eines über 90 Jahre alten Rätsels. 1928 wurde in einem Fluss im äthiopischen Hochland nämlich eine Maus entdeckt und sogar gefangen, die in allen Merkmalen stark an Colomys erinnerte: sowohl körperlich als auch, was die semiaquatische Lebensweise betrifft. Seitdem hat man die sogenannte Äthiopische Wassermaus (Nilopegamys plumbeus) allerdings nie mehr wiedergefunden. Biologen gehen davon aus, dass die Art bereits ausgestorben ist, weil ihr Lebensraum durch die Ausbreitung von Viehweiden und Monokulturen zerstört wurde.

Das Präparat dieses einen Exemplars befindet sich in den Beständen des Field Museum, und ein DNA-Vergleich zeigte, dass die Äthiopische Wassermaus der engste Verwandte der westafrikanischen Gattung gewesen sein muss. Auch die wird nun aber etwas umstrukturiert, denn die Analyse ergab, dass man es nicht mit einer Wassermäuseart, sondern mit drei verschiedenen zu tun hat. Die beiden, die nun von der seit 1907 bekannten Typusart Colomys goslingi abgetrennt wurden, erhielten die Bezeichnungen Colomys lumumbai und Colomys wologizi, nach dem ersten Präsidenten des unabhängigen Kongo, Patrice Lumumba, und den Wologozi-Bergen in Liberia.

Die Mitglieder des Forschungsteams hätten sich gewünscht, ähnlich gut ans Wasser angepasst zu sein wie Colomys.
Foto: Terry Demos, Field Museum

Dass sich eine ursprüngliche Wassermaus in verschiedene Arten aufgespalten hat, spiegelt das zerspragelte Verbreitungsgebiet der Tiere im tropischen Afrika wider. Gemeinsam ist den verstreuten Habitaten nur, dass sie schwer zu erreichen sind. Forschungsassistent Terry Demos, der auf Stöcke gestützt durch Flüsse waten und abgetriebenen Mäusefallen hinterherjagen musste, weiß dies aus eigener Erfahrung. Politische Unruhen in mehreren Regionen, in denen Colomys lebt, machen die Forschungsarbeiten noch schwieriger.

Aber die Mühen lohnen sich. Auch wenn keine neuen Großtiere mehr entdeckt werden – bei den Kleinen ist der Säugetierkatalog immer noch nicht vollständig erfasst, wie die im "Zoological Journal of the Linnean Society" erschienene Studie zeigt. Man muss nur genau hinschauen, um die Vielfalt als solche zu erkennen. (jdo, 18.10.2020)