Das Homeoffice an den Strand zu verlegen sieht auf Instagram gut aus. Die Realität ist eine andere, härtere.

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Die Corona-Krise hat durch schiere Notwendigkeit auch Fakten geschaffen. Hielten es vor dem Lockdown nur relativ wenige Arbeitnehmer und -geber für machbar oder erstrebenswert, im Homeoffice zu hackeln, erscheinen die Karten nun neu gemischt. So fand die Online-Stellenbörse Stepstone in Umfragen heraus, dass zwei von drei Arbeitnehmern nach der Krise gern verstärkt im Homeoffice arbeiten wollen.

Das trifft sich gut. Denn auch zwei Drittel der befragten Chefs zeigten sich überrascht, wie gut die Zusammenarbeit dank digitaler Tools funktioniert. Dann gibt es aber noch jene wachsende Schicht an digitalen Nomaden, die gar keine Chefs mehr haben, sondern ihr eigener sind. Sie stellen sich die Frage: Wenn schon dauerhaft Homeoffice, warum sollte man es nicht gleich an den Strand verlegen?

An neuen Orten

Auf dem gesamten Globus arbeiten aktuell mehrere Millionen Menschen nomadisch und bereisen die Welt, während sie über Laptops ihre Jobs erledigen – auch mitten in der Corona-Krise. Einer von ihnen ist Bastian Barami. Der 35-Jährige ist selbst mitten in der Krise nicht nach Deutschland zurückgekehrt, sondern in Thailand geblieben.

Dort hat er bloß das im Shutdown unbequem gewordene Bangkok verlassen und sein Büro nach Chiang Mai im Norden des Landes verlegt. Aber kann das "richtige" Arbeit sein, wenn man lieber herumtingelt und Auftraggeber das Homeoffice ständig an neuen Orten vermuten müssen?

In der Hängematte

"Auf Instagram findet man immer nur Cocktail- und Strandbilder von digitalen Nomaden. Jemand hält in einer Hängematte sein iPhone in der Hand, und alles ist easy. Darunter wird gepostet: ,Look at my life.‘ Aber so einfach läuft das nicht", erzählt Barami in der ZDF-Doku "Home Office am Strand". Wie in allen früheren Arbeitszusammenhängen habe er auch für dieses Leben zunächst hart schuften müssen.

Der gelernte Hotelfachmann hat zunächst zwei Lehramtsstudien abgebrochen, im ersten Job langweilte er sich. Um 2015 eine Weltreise antreten zu können, auf der er auch arbeitet, begann er sich selbst in Sachen Online-Unternehmertum weiterzubilden. Seither ist er dauerhaft unterwegs, vor allem in Asien, am liebsten in Thailand – und Schritt für Schritt selbst zum Unternehmer geworden.

Bastian Barami betreibt seit seinem Aufbruch vor fünf Jahren den Blog Officeflucht. Zum einen kann man ihn darüber als Keynote-Speaker für Firmenevents oder Kongresse buchen, wo er dann gelangweilten Büroarbeitern Sätze wie diese verklickert: "Jeder ist stets nur eine Entscheidung von einem völlig anderen Leben entfernt" oder "Zu Hause ist keine Inneneinrichtung, sondern gleichgesinnte Menschen".

Überall eine Bleibe

Zum anderen verrät er in bezahlten Kursen, wie man über Airbnb ein geregeltes Einkommen erzielen kann. Durch ein kluges Netzwerk aus Unterkünften kann man zudem die eigene Weltreise ermöglichen. Mittlerweile unterhält Barami ein solches, ohne die Immobilien besitzen zu müssen. Er stattet sie nur aus und vermietet sie über das Netzwerk, seine Gäste können überall einchecken, ohne dass er je anwesend sein müsste.

Laut eigenen Angaben erreicht er so rund 90 Prozent Auslastung und hat überall auf der Welt eine Bleibe. Kursteilnehmern stellt er in Aussicht, ein vierstelliges Einkommen bei nur zwei Stunden wöchentlichem Arbeitsaufwand zu erzielen. Die Realität der meisten Internetjobber ohne fixen Wohnsitz sieht freilich anders aus.

Akuter Geldmangel

Der typische digitale Nomade ist zwischen 20 und 35 Jahre alt und meist gut ausgebildet. Englisch als Fremdsprache ist Voraussetzung, das Internet ist für ihn ein zweites Zuhause. An materiellen Dingen ist er nicht interessiert – und darf es auch nicht sein –, ein selbstbestimmtes Leben ist ihm wichtiger als der Bausparvertrag. Doch auch wenn die meisten Nomaden bewusst ein sehr einfaches Leben für das Reisen in Kauf nehmen, brechen sie ihr Experiment aus akutem Geldmangel oft schon nach wenigen Monaten wieder ab.

"Damit das bei mir nicht so kam, habe ich die ersten drei Jahre zwölf bis 14 Stunden täglich gearbeitet. Weil ich auch wusste, wofür", sagt Barami über den Beginn seines ortsunabhängigen Businessmodells. Während dieser drei Jahre hat er aber auch 30 Länder besucht, länger als drei Wochen blieb er nie an einem Ort.

Keine Workation

Baramis Art zu leben und zu arbeiten ist dennoch selten, zumal es nicht auf temporäres Arbeiten an einem Urlaubsort – Workation – abzielt. Anders als bei sogenannten Workation-Programmen findet man kaum vergleichbare Modelle.

Workation meint meist nur die kurzfristige Verlegung des Büros an einen urlaubstauglichen Ort. Oder anders ausgedrückt: Jemand, der zu Hause eh einen fixen Job hat, erledigt ihn halbtags remote in idyllischer Umgebung, die andere Tageshälfte geht’s ab ins Surfcamp.

Auf Nimmerwiedersehen

Als sehr hilfreich für echte digitale Nomaden hat sich in den letzten Jahren die Plattform Nomad List erwiesen: Dort tauschen sich bereits zehntausende Benutzer über Lebenshaltungskosten in dutzenden Ländern aus, empfehlen Coworking-Spaces oder Unterkünfte.

Finanziert wird das Projekt über eine geringe Mitgliedschaftsgebühr und über Werbung. Welche Jobs einem digitalen Nomaden ein Leben jenseits des Prekariats ermöglichen, erfährt man dort allerdings nicht.

Die Anzahl derer, die auch hierzulande nicht reich werden, ist in der Corona-Krise allerdings erneut gestiegen. Vielleicht hauen ein paar mehr von ihnen auf Nimmerwiedersehen ab und versuchen ihr Glück. (Sascha Aumüller, RONDO, 16.10.2020)