Amy Coney Barrett am ersten Tag ihrer Anhörung im Senat. Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris will ihre Bestellung verhindern.

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Die Tage werden wieder länger. Zwar nicht auf der Nordhalbkugel allgemein, dafür aber im US-Wahlkampf. Stundenlang zogen sich am Montag schon die Anfangsstatements vor dem Senat, als es erstmals um die Bestätigung der konservativen Richterin Amy Coney Barrett für den vakanten Richterposten am Supreme Court ging.

Noch länger, so erwartete man, würde es in der Nacht auf Mittwoch: Da stand die erste Befragungsrunde durch die 22 Mitglieder des Justizausschusses an – jeweils eine halbe Stunde war dafür budgetiert.

Die Anhörung Amy Coney Barretts im Justizausschuss im Livestream.
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Die streng katholische Juristin würde im Fall ihrer Bestätigung der verstorbenen Liberalen Ruth Bader Ginsburg folgen. Sechs der neun Stimmen im Höchstgericht wären klar dem konservativen Lager zuzuordnen.

Keine Meinung zu Präzedenzfällen

Ob sie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, das aus der Supreme-Court-Entscheidung Roe v. Wade von 1973 hervorgeht, für einen Fehler hält, wollte Barrett am Dienstag nicht sagen. Auch zur Präzedenzentscheidung Obergefell v. Hodges, mit der 2015 das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen festgestellt wurde, wollte sich Barrett nicht äußern. Sie betonte nur, dass sie Diskriminierung "abscheulich" finde. "Ich würde nie auf Basis sexueller Orientierung diskriminieren."

Wenn sie jedoch eine Meinung zu einem Präzedenzfall äußern würde, könne dies Parteien einen Hinweis darauf geben, zu welcher Entscheidung sie in einem konkreten Fall neigen würde, argumentierte Barrett. Sie bezog sich dabei auch auf die sogenannte "Ginsburg-Regel". Die legendäre Richterin hatte seinerzeit bei ihrer Anhörung 1993 gesagt, sie werde "keine Andeutungen, keine Prognosen, keine Ausblicke" dazu machen, wie sie in künftigen Fällen urteilen werde. Allerdings hinderte das Ginsburg damals nicht daran, sich klar hinter die Entscheidung des Obersten Gerichts zum Recht auf Abtreibungen zu stellen.

Barrett hielt sich dagegen bedeckt. Sie wollte auch nicht beurteilen, ob ein Präsident von sich aus eine Wahl verschieben könne – was eindeutig nicht der Fall ist, diese Kompetenz liegt beim Kongress. Wenn sie je mit einer solchen Frage konfrontiert würde, müsste sie erst die Argumente der Parteien hören und sich mit Kollegen beraten, sagte Barrett.

Obamacare

Auch zum Versicherungssystem Obamacare enthielt sich Barrett eines Urteils. Sie betonte aber, dass sie keine Unterhaltung mit US-Präsident Donald Trump zu konkreten Fällen geführt habe. "Ich habe niemandem Zusagen gegeben, wie ich einen Fall entscheiden könnte." Sie sei auch nicht "feindselig" gegenüber der Obama-Reform eingestellt, versicherte sie. Barrett hatte die Argumentation des Obersten Gerichts bei einem Urteil kritisiert, mit dem die Reform für verfassungskonform erklärt wurde. Sie betonte jetzt, die Einschätzung habe sich nur auf einen damals behandelten Aspekt bezogen und sollte nicht als Hinweis auf ihre künftige Position gewertet werden. "Ich bin unabhängig", betonte Barrett an anderer Stelle.

Genau daran zweifeln die Demokraten. Deren Strategie ist, die Wähler mit der Warnung zu mobilisieren, dass ein Gericht mit Barrett Obamas Gesundheitsreform kippen dürfte. Vor allem in den Vorstädten und bei einkommensschwachen Gruppen im Mittleren Westen ist die Angst vor einem Verlust einer bezahlbaren Versicherung groß. Immer wieder haben die Senatorinnen und Senatoren bei der ersten Anhörung am Montag auf ein solches Szenario hingewiesen.

Für Aufregung sorgte bei dem Hearing der republikanische Senator Mike Lee. Der Abgeordnete aus Utah war erst vor neun Tagen positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden, erschien dennoch persönlich im Senat – obwohl eine Teilnahme via Video möglich wäre. Lee hatte kürzlich auch schon mit der Behauptung für Aufsehen gesorgt, die USA seien "per Verfassung keine Demokratie", sondern lediglich eine Republik.

Erster Auftritt Trumps nach Erkrankung

Im Vergleich zu den Hearings im Justizausschuss fasste sich Trump fast schon kurz. Er absolvierte in Florida Montagabend seinen ersten Wahlkampfauftritt nach der Covid-19-Erkrankung.

65 Minuten sprach der Präsident da vor den eng zusammenstehenden Fans auf dem Orlando International Airport, die Air Force One und den Sonnenuntergang im Rücken. Er fühle sich großartig und "äußerst mächtig", sagte er mit noch merklich heiserer Stimme, zumal er nun gegen das Virus immun sei. Sogar einen kleinen Tanz wagte Trump, später kündigte er an, er wolle ins Publikum herabsteigen und all "den Burschen und den schönen Frauen" einen dicken Kuss geben. Geschehen ist dies nicht, zumindest für die großteils maskenlosen Zuseherinnen und Zuseher wäre es wohl in der Tat ungefährlich gewesen: Trump war, so sein Leibarzt Sean Conley, zuvor "zweimal hintereinander" negativ getestet worden. Wie es sich mit der Immunität verhält, ist aber offen: Die Behandlung mit synthetischen Antikörpern und Steroiden könnte den Aufbau der eigenen Immunabwehr behindert haben.

Biden besetzt die Mitte

Aufzuholen hat Trump einiges. Mehr als zehn Prozentpunkte trennen ihn mittlerweile im landesweiten Durchschnitt von seinem demokratischen Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf, Joe Biden. Auch in den wichtigsten Swing States liegt Biden mehrere Prozentpunkte voran. Der Demokrat versuchte zuletzt, zunehmend die politische Mitte zu besetzen. In Reden in Michigan und Pennsylvania sprach er wörtlich die "weißen Demokraten aus der Mittelklasse" an, die er in seine Partei nach Hause holen wolle.

Deutlicher als bisher äußerte sich Biden auch zur Frage, ob er sich eine Erweiterung des U.S. Supreme Court vorstellen könne. Er sei "nie ein Fan" einer solchen Idee gewesen, sagte er – ließ sich aber offen, ob er sie als Präsident nicht vielleicht trotzdem umsetzen werde. (Manuel Escher, APA, dpa, 13.10.2020)