Ein Schaukasten mit etwas in die Jahre gekommener SPÖ-Werbung im Winarsky-Hof im 20. Bezirk.

Foto: Corn

Wien – Es ist ein grauer, nasser und kalter Dienstagmorgen, und jene Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Hofs in Ottakring, die vor die Haustür treten, tun das in schnellem Schritt und mit gesenktem Kopf – nur nicht nass werden. Kurz stehen bleiben, um über das Wahlergebnis zu sprechen, will deswegen kaum jemand.

Eine Dame um die 50 – beige Regenjacke, Turnschuhe und Leggings – sagt knapp: "Zufrieden bin ich nicht. Aber aufregen darf ich mich nicht. Ich bin zu Hause geblieben." Ja, sie habe 2015 die FPÖ gewählt und war von den Blauen enttäuscht. Alle anderen Parteien hätten sie aber auch nicht angesprochen. "Es ist, wie es ist", sagt sie und zuckt die Schultern. "Und jetzt muss ich los."

Kein Zweikampf mehr zwischen Rot und Blau

Der Berliner Hof – 247 Wohnungen, die in den 50ern gebaut wurden – liegt im Sprengel 28. Die SPÖ kommt hier bei dieser Wahl auf 51,5 Prozent, die ÖVP auf 14 und die FPÖ auf zwölf Prozent. Vor fünf Jahren sah das noch ganz anders aus. Die FPÖ lag mit 46,7 Prozent deutlich vor der SPÖ, die damals 37,8 Prozent im Sprengel 28 wählten.

Der Bau im 16. Bezirk steht damit für eine Entwicklung bei der diesjährigen Wahl: Der Gemeindebau ist wieder rot. Vergessen ist das Kopf-an-Kopf-Rennen mit der FPÖ 2015.

Nach Berechnungen des OGM-Instituts für die APA kommt die SPÖ unter Gemeindebaubewohnern auf 51 Prozent. Die FPÖ, 2015 mit der SPÖ gleichauf und teilweise sogar leicht vorn, stürzte auf zwölf Prozent ab. Sie liegt damit zwar noch über dem durchschnittlichen Ergebnis, "ihren" Gemeindebau haben die Blauen aber klar verloren. Auch der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache konnte im Gemeindebau nichts reißen, obwohl auch er mit sieben Prozent einen besseren Wert als beim gesamten Wahlergebnis erzielt.

Umkämpftes Terrain

Im Wahlkampf war der Gemeindebau umkämpftes Terrain. Gernot Blümel von der ÖVP forderte, dass man nur mit einem bestimmten Deutschniveau Zugang zu einer Wohnung der Gemeinde haben sollte – eine alte Forderung der FPÖ. Deren Spitzenkandidat, Dominik Nepp, ging noch einen Schritt weiter und forderte: Gemeindebauwohnungen nur für österreichische Staatsbürger.

Gut eine halbe Million Menschen wohnen in Wien in einem Bau der Gemeinde. Das Wahlverhalten in den Häusern lässt sich aber nicht so leicht messen, und zwar aus zwei Gründen: Die meisten Gemeindebauten liegen in "Mischsprengeln" mit nicht gefördertem Wohnbau. Der zweite Grund sind die Wahlkarten: Sie werden im Bezirk gesammelt und nicht auf Sprengel zurückgeführt. OGM ergänzt die Sprengelergebnisse deswegen mit einer Briefwahlschätzung und Informationen über die Wählerstruktur.

Der berühmte Sprengel 44

Während der Berliner Hof nun nicht mehr in einem blauen, sondern in einem roten Sprengel liegt, hat sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nichts geändert. Wer die Possingergasse an der Ecke Koppstraße stadtauswärts überquert steht vor dem Sprengel 44 – bekannter ist der Wahlsprengel unter dem Namen "blaue Polizeisiedlung". In den zwei Wohnhäusern wohnen nämlich hauptsächlich Polizeibeamte mit ihren Familien.

Schon bei der letzten Wien-Wahl, bei der Bundespräsidentenwahl und bei der Nationalratswahl konnte die FPÖ hier beste Ergebnisse einfahren. Aber obwohl der Sprengel blau eingefärbt bleibt, eine FPÖ-Hochburg ist er 2020 nicht unbedingt: Von den 468 wahlberechtigten Personen haben 36 Prozent im Wahllokal gewählt. Davon haben sich wiederum 28,4 Prozent für die FPÖ entschieden, auf Platz zwei liegt mit 24,2 Prozent die ÖVP, und 22,4 Prozent haben die SPÖ gewählt.

Warum Polizisten die FPÖ wählen

"Es ist wirklich, wirklich schade", sagt ein Bewohner. Trotz der Kälte nimmt er sich Zeit zum Plaudern. Der 61-Jährige ist überrascht, dass seine Mitbewohner wieder die FPÖ auf den ersten Platz gewählt haben. "Ich dachte, wenigstens dieses Mal geht es anders aus." Der Herr, seinen Namen will er nicht nennen, ist Polizeibeamter im Ruhestand. Mit den anderen Bewohnern unterhalte er sich nicht über Politik. "Wissen S’, ich werde da immer ganz emotional. Man kann die Leute ja nicht ändern. Wichtig ist, dass die Blauen nicht gestalten können." Er selbst habe dieses Mal ÖVP gewählt.

"Teile der Exekutive ticken einfach anders als die restliche Bevölkerung", sagt der Pensionist. Warum, sei schwer zu sagen. Aber ja, es gebe in der Stadt ein Problem mit Ausländern. "Und das sage ich, obwohl ich 2015 am Westbahnhof gestanden bin." Außerdem habe sich das Verhältnis zwischen der Polizei und der Bevölkerung verschlechtert. Oft fehle es an Respekt. Er sei gerne Polizist gewesen, sagt der Mann. "Aber ich vermisse es wirklich kein bisschen." (Lara Hagen, 13.10.2020)