Bogota – Vor vier Jahren wurde in Havanna der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken Farc-Guerilla unterzeichnet. 232 Guerilleros, die damals ihre Waffen niederlegten, wurden seither ermordet.
"Es sterben nicht mehr Guerilleros, sondern führende Sozialaktivisten und Ex-Kämpfer, die den Friedensvertrag unterschrieben haben", sagte Israel Ramírez Pineda alias "Pablo Beltrán", der für die zweite Aufständischengruppe Kolumbiens, die marxistisch-leninistische ELN (Nationale Befreiungsarmee), mit der Regierung verhandelt.
Im Vorjahr war es noch ein Mord alle drei Tage, heutzutage zählen internationale Beobachter die Massaker, also Angriffe, bei denen mehr als drei Personen getötet werden. Bis Ende September waren es heuer 61, laut der Nichtregierungsorganisation Indepaz starben dabei über 260 Menschen.
Der letzte Versuch der ehemaligen Farc-Guerilla, als "Unión Patriótica" bei Parlaments- und Präsidentenwahlen anzutreten, endete in den 1980er-Jahren mit der Ermordung von zwei Präsidentschaftskandidaten, acht Abgeordneten und mehr als 2.000 Parteimitgliedern.
Personenschützer abgezogen
Wegen der Corona-Pandemie wurde die Anzahl der zum Schutz Gefährdeter abgestellter Polizisten drastisch reduziert, kritisiert Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International. Illegaler Rohstoffabbau habe wegen der Krise deutlich zugenommen, wodurch Umweltaktivisten besonders gefährdet sind, und durch die Wiederaufnahme der Vernichtung illegaler Drogenplantagen seien Bauern gefährdet, Opfer von Racheaktionen bewaffneter Gruppen zu werden.
Keine Jobs für Ex-Kämpfer
Experte Manfredo Koessl von der Universität Erfurt erklärt im STANDARD-Gespräch, dass die Unterzeichnung des Friedensvertrags lediglich für die Führungsebene der Farc, die nun politische Ämter bekleidet, Auswirkungen hatte: Die Kämpfer hingegen seien "austauschbar wie Spielfiguren, sagte mir ein Paramilitär-Führer. Die brauchen einen Job, weil sie nichts Besseres können. Wenn man ihnen keine Alternativen bietet, dann gehen sie zu anderen Gruppen … ohne Jobangebote für die Demilitarisierten wird sich wenig ändern, hier wäre es notwendig, Unternehmer zu verpflichten, Ex-Kämpfer anzustellen."
Kolumbiens Rechtsregierung unter Präsident Iván Duque hat es aufgegeben, dem Morden lediglich mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz Einhalt zu gebieten: Die Gewalt könne nur gestoppt werden, wenn es gelingt, auch in abgelegenen Regionen Recht und Ordnung durchzusetzen. Vor einer Woche kündigte Duque an, über zwei Milliarden Dollar (1,7 Milliarden Euro) in besonders von der Gewalt betroffene Gebiete investieren zu wollen.
Indigenenvertreter haben Präsident Duque in einem Brief aufgefordert, sie in der Provinzhauptstadt Cali zu treffen. Da der Präsident lediglich Innenministerin Alicia Arango und Gesundheitsminister Fernando Ruiz zu den Verhandlungen geschickt hat, drohen sie nun mit dem Marsch auf Bogota. Am Montagmorgen zählten kolumbianische Medien 7.000 Teilnehmer der als "Minga" bekannten Bürgerversammlung.
Hinter der Gewalt stecken meist kriminelle Banden, Abspaltungen linker Guerillagruppen oder rechte Paramilitärs. Menschenrechtsgruppen haben die kolumbianische Regierung bereits mehrfach dazu aufgerufen, die Aktivisten besser zu schützen. (Bert Eder, 14.10.2020)