Wie klingen Glocken, Schellen und metallener Trachtschmuck mit Klapperblechen aus der Eisenzeit, der römischen Epoche und dem Frühmittelalter? Wozu dienten sie? Wie wurden sie hergestellt? Welche Metalle und Legierungen wurden verwendet? Wie beeinflussten ihre Klänge den Alltag der Menschen? Wie wirkten sich die Klänge auf die Psyche der Menschen aus?

Klang der Vergangenheit

Seit Jänner läuft dazu ein interdisziplinäres Forschungsprojekt unter Leitung der Musikarchäologin Beate Maria Pomberger am Naturhistorischen Museum Wien, das vom FWF (Hertha-Firnberg-Projekt) gefördert wird. Es umfasst die Länder Schweiz, Österreich, Slowakei und Ungarn. Untersucht werden Idiophone ("Selbstklinger") aus der Eisenzeit (Hallstattkultur / Ältere Eisenzeit, circa 800 bis 400 v. Chr), der Römischen Kaiserzeit (15 v. Chr. bis circa 488 n. Chr.) und dem Frühmittelalter (awarisches Khaghanat, 568 bis 822 n. Chr.). Das Projekt trägt zur Erforschung von musikalischen Hörgewohnheiten, Identität durch Klänge und der Regulierung des Alltagslebens einer Gemeinschaft durch akustische Signale in der Ur- und Frühgeschichte bei, sowie dem Einfluss der Klänge auf die Gesundheit. Erstmals werden archäologisch gefundene Klangobjekte nicht nur interpretiert, datiert, auf ihre Verteilung und Töne untersucht, sondern es werden auch die psychoakustischen Parameter ihrer Klänge und ihre Wirkung auf die Psyche und Gesundheit des Menschen erforscht. Die Objekte befinden sich in mehr als 22 Museen und Sammlungen.

Wir untersuchen eisenzeitlichen bronzenen Trachtschmuck aus Hallstatt in Oberösterreich und zusätzlich Schellen aus hallstattzeitlichen Gräbern in der Schweiz. Klingender Trachtschmuck war das Statussymbol einer hallstattzeitlichen Dame der gehobenen Gesellschaftsschicht: "Ich klinge, daher bin ich (wichtig)!" Dieser konnte 500 Gramm und mehr wiegen, wurde am Gürtel, als Brust- oder Schulterschmuck getragen. Die Originalklänge der Anhänger aus der Býčí-Skála-Höhle in Mähren, einem eisenzeitlichen Opferplatz, sind auf dem Video unten zu hören.

Gegossene bronzene Anhänger mit Klapperblechen, Hallstattkultur / Ältere Eisenzeit, aus der Býčí-Skála-Höhle in Mähren.
Foto: B. M. Pomberger, NHM-Wien
Rekonstruktion als Gürtelschmuck.
Foto: K. Grömer, NHM-Wien
ArchäoMusik Vienna
Mögliche Trageweise des bronzenen Trachtschmucks.
Foto: F. Doubrava, HTL-Spengergasse

Glocken und Schellen

Zu den Objekten der römischen Kaiserzeit gehören Glocken aus Militärlagern, Siedlungen und Gräberfeldern von unter anderem Vindobona (Wien), Carnuntum (Petronell-Carnuntum), Ovilava (Wels), Iuvavum (Salzburg) und Savaria (Szombathely). Glocken spielten im profanen und sakralen Leben der römischen Kaiserzeit eine wichtige Rolle und treten in vielen Formen auf. Sie fungierten hauptsächlich als Signalinstrumente, schmückten Tempel, Götterstatuen, hingen als Windspiele in Gärten, waren an Wägen, Haustüren, Bädern, Märkten angebracht, regelten unter anderem das Leben im Militärlager, schmückten das Halsband diverser Tiere. Kindern wurden kleine Glöckchen an Halsketten und Armbändern als apotropäisches Amulett umgebunden.

Bronzene Glocke aus Ovilava, dem römischen Wels.
Foto: B. M. Pomberger, NHM-Wien

Frühmittelalterliche Schellen und Glocken aus awarischen Gräberfeldern in Österreich (unter anderem Leithaprodersdorf, Csokorgasse Wien, Wien-Liesing, Vösendorf), in der Slowakei (unter anderem Komárno-Lodenice, Devínska Nová Ves, Nové Zámky, Žitavská Tôň) und in Ungarn (unter anderem Keszthely, Halimba Belátó domb, Szebény, Janoshida, Zamárdi-Reti földek, Kaposvár) gelangen ebenfalls zur Untersuchung. Auch bei den Awaren dürften Schellen und Glocken, am Gürtel getragen, eine unheilabwendende Rolle gespielt haben. Einige frühmittelalterliche Schellen aus der Kaukasussammlung der Prähistorischen Abteilung des NHM Wien runden die große Menge der Forschungsobjekte ab.

Bronzene Schellen mit Gesichtsdarstellung aus dem awarischen Gräberfeld Komárno-Lodenice, Slowakei.
Foto: B. M. Pomberger, NHM-Wien

Erschwerte Untersuchung

Statt die Bewilligung meines ersten Forschungsprojekts groß zu feiern, habe ich mich gleich im Jänner mit dem Akustiker Jörg Mühlhans (Universität Wien, Medialab) zusammengesetzt und eine mobile schallreduzierte Aufnahmekammer entwickelt und gebaut. Diese begleitet mich jetzt auf meinen Reisen, um ungestörte Tonaufnahmen zu machen, denn erfahrungsgemäß weiß man nie, wo und bei welchem Lärmpegel man in den jeweiligen Museen die Objekte untersuchen wird. Die ersten Auslandsreisen führten mich nach Szombathely, Komárno, Budapest und Bratislava. Dann kam Mitte März der Corona-Lockdown und verhinderte jede Reisetätigkeit, aber auch das Arbeiten im Naturhistorischen Museum.

In Heimarbeit analysierte ich die bereits aufgenommenen Objekte und verfasste die ersten Artikel. Anfang Mai war das Arbeiten im NHM wieder erlaubt, und ich widmete mich den Schellen der Kaukasussammlung und dem Trachtschmuck aus Hallstatt. Von Juni bis September folgten weitere Reisen zu österreichischen, ungarischen und slowakischen Museen. Da ich alle Fahrten per Zug mache, beladen mit der sperrigen Aufnahmekammer und sonstiger technischer Ausrüstung, reise ich nach dem Moto: "Wenn man eine Reise macht, dann kann man was erleben." Hohe Stufen beim Einsteigen in Waggons, Uraltwaggons mit engen Gängen, Zugverspätungen, Schienenersatzverkehr, fünfmal Umsteigen, Bahnhöfe ohne Aufzüge et cetera. Gott sei Dank gibt es immer wieder Personen, die mir behilflich sind. Mit Humor habe ich den Besuch einer Fledermaus im museumseigenen Gästezimmer in Kaposvár genommen.

Mobile schallreduzierte Aufnahmekammer.
Foto: B. M. Pomberger

Bislang habe ich circa 470 Idiophone untersucht und Tonaufnahmen gemacht. Die Frequenzanalysen zeigen, dass sich die Klänge im Bereich von 1,2 bis 9 kHz bewegen und somit im guten Musikwahrnehmungsbereich des menschlichen Gehörs liegen. Umfangreiche Metallanalysen werden derzeit von Kollegen in Österreich, der Slowakei und Ungarn gemacht, damit wir die Legierungen der Idiophone kennen und einige Objekte im Experiment gießen und schmieden können. (Beate Maria Pomberger, 15.10.2020)