Der Vermieter? "Die Stadt Wien!" Vertragsdauer? "Unbefristet!" Der Mieter? "Die Natur!" Und der Vertragsgegenstand? "Ein riesiges Haus. Eines wie dieses!"
Der italienische Künstler und Utopist Pier Paolo Pasolini veröffentliche 1962 das Buch Der Traum von einer Sache, die für seinen Helden der "wahre Sozialismus" darstellte. "Die Sache", von der die heimische Künstlerin und Utopistin Katharina Oder träumt, ist eben ein riesiges Haus, in das die Natur einzieht. Eines wie jenes, an dem wir an einem windigen Spätsommernachmittag in der Lassallestraße im zweiten Bezirk vorbeikommen.
Träume haben bald begonnen
Es steht seit langem leer, wie es so viele Bürogebäude in unseren Städten tun, die nach zwanzig, dreißig Jahren Nutzung keiner mehr braucht. Sie betrat es während der ersten Kunstmesse Parallel vor zwei Jahren und befand es für gut. "Diese Schlitze! Die vielen Fenster! Die Höfe! Einfach perfekt", schwärmt sie. Bald schon begann sie zu träumen, und während sie träumte, gab sie ihrem Haus einen Namen: Nature Residence Building.
Ein Haus mitten in der Stadt also, in das die Natur als Mieter einziehen soll? Wie wird das gehen, was träumt sie genau? "Also", sagt sie. "Der Vermieter muss das Haus zunächst bewohnbar für den neuen Mieter machen! Er freut sich ja auf ihn und tut alles, damit der sich darin wohlfühlen wird."
Im Mietvertrag wird also stehen: "Der Vermieter entfernt alle ökologisch gefährlichen Inventare und macht es schadstofffrei." Er wird obendrein alle Fenster und Türen herausreißen, alle Kabel und Leitungen. "Dafür", erzählt die Künstlerin, "gibt es mittlerweile eigene Recyclingfirmen, die alte Baustoffe wieder in den Kreislauf zurückbringen." Auch das gehört zu ihrem Projekt, dass der Vermieter Firmen mit neuen Ideen zu Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft mit einbindet.
Die Natur als Mieterin
"Ist das erledigt", sagt sie, "lässt der Vermieter erst mal den Wind durchziehen", dann werden sich erste Interessenten das Haus anschauen. Unter den künftigen Mietern wird sich herumsprechen, dass hier ein Haus gibt, in dem sie willkommen sind, denn: "Der Vermieter erlaubt dem neuen Mieter ausdrücklich Eingriffe in die Substanz des Gebäudes und hilft ihm sogar dabei!"
Wie? Katharina Oder erzählt vom früh verstorbenen Gordon Matta Clark und dessen "Cuttings": Der amerikanische Konzeptkünstler und Architekt arbeitete sich mit Fräsen und Sägen durch Fassaden, Decken und Böden, entfernte ganze Teile und legte deren innere Struktur frei, was zu einer Zunahme von Licht führte. "Das wird der Vermieter hier auch tun!", träumt sie, "mit Fräsen wird er Teile herausschneiden und Schächte bohren, um den Mieter zufriedenzustellen." Denn der Mieter will nicht nur eine "helle Wohnung", der wird richtig viel Licht brauchen.
Dann, träumt sie weiter, werden schon die ersten Mieter einziehen: "Flugsamen und kleines Getier, die vom Prater herübergetragen werden." Und mit Korridoren und Passagen, die der Vermieter selbstverständlich auch für den neuen Mieter errichtet, wird sich der Einzug der Natur in das Haus sogar noch leichter gestalten lassen.
Der "Natur-Künstler" Lois Weinberger nannte das "den subversiven Pflanzentransfer in angeeignete Gebiete der Stadt". Mit seiner Pflanzenkunst prägte er ab den Neunzigerjahren die Debatte um "Renaturierung" in der Stadt, sprach sich dabei gegen festgefahrene Hierarchien und "das übersichtlich Angelegte von Zivilisation" aus. Lieber wollte er Wildwuchs und Unkraut, vor allem im urbanen Raum, wo sich kleinste Pflänzchen oft mit unbändigem Lebenswillen an unwirtlichsten Orten ansiedeln. Ein schöner Satz von ihm lautet: "Der beste Garten ist der, den der Gärtner verlässt."
Pflanzentransfer
"Wildwuchs" ist aber nicht, was Katharina Oder in ihrem Nature Residential House vorschwebt, der Vermieter wird das Haus nämlich nicht aufgeben und der Natur allein überlassen. Sie, die gerade mit dem Museum des Stiftes Admont, der Akademie der Bildenden Künste und den acht heimischen Nationalparks an ihrem Projekt Memory of Nature arbeitet, hat schon zig Wissenschafter kennengelernt, die sie bei der Umsetzung ihres Traumes begleiten und den Einzug der Natur beobachten möchten.
Dafür werden sie dem Mieter zuerst Erde geben. Aber nicht irgendwelche, sondern solche, die bei der Versiegelung von Böden in Österreich täglich in großen Mengen verlorengeht. Pedologen und Renaturierungsökologen werden sie in den Etagen des Hauses ausbringen, damit der Mieter sich gut einrichten kann. Die erwünschte "Renaturierung" bewerkstelligt die Natur dann selbst, unter freiem Himmel, mitten in der Stadt, und die Wissenschaft wird für uns dokumentieren: Wer zieht zuerst ein? Wer folgt nach?
Zwischen ungebremstem Pflanzenwuchs werden sich Spinnentiere, Insekten und Weichtiere ansiedeln und kleine Beutejäger anlocken. Damit die WG funktioniert, werden die Wissenschafter jedoch eine Art "Hausordnung" entwerfen, an die sich alle zu halten haben. Der Wolf bleibt draußen, aber ein anderer einzusetzender Predator, ein Falke vielleicht, wird die Einhaltung der Ordnung überwachen.
Lebende Sehenswürdigkeit
Und dann? "Der Mieter ist berechtigt, das Haus ohne Einschränkung zu nutzen und entsprechend seinen Vorstellungen zu verändern. Über Mängel, die daraus entstehen, wird der Vermieter ihn klagsfrei halten." Bald werden sich nämlich Risse im Gemäuer bilden, wird der Beton brechen, wird das Gebäude beginnen zu leben.
Aus den Fenstern, den Türen, den Ritzen, den Schneisen, den Wänden und dem Dach wird Natur wachsen, und die Künstlerin sieht es nun klar vor sich: Das Nature Residence Building wird die neue Sehenswürdigkeit der Stadt werden, eine, um die uns alle Welt beneidet. Touristen, Studenten, Wissenschafter und Stadtplaner werden beim Praterstern aussteigen und nicht mehr nur auf das Riesenrad schauen, sondern auf dieses wuchernde, lebendige Haus. Ähnlich dem Eden Project im englischen Cornwall, einem botanischen Garten, der jährlich über eine Million Besucher anlockt. "Das werden die neuen Sehenswürdigkeiten der Welt!", ist sich Katharina Oder sicher. "Solche, in denen wir Natur erleben." (Manfred Rebhandl, 15.10.2020)