Der Gegenwind, den die Wiener Grünen erzeugen, könnte zunehmen, das wird die grüne Regierungsmannschaft zu spüren bekommen, das wird aber auch Kanzler Sebastian Kurz unangenehm berühren.

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Wien – Die grünen Kolleginnen und Kollegen aus der Bundespolitik wünschen ihren Freunden in der Wiener Landespartei alles Gute. Dass ihnen nämlich die Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ gelingen möge. Die Wünsche sind durchaus fromm, aber auch von Eigeninteresse getragen: Sollte die Koalition in Wien nicht gelingen und die Grünen wieder auf die Oppositionsbänke verwiesen werden, fürchtet man in der Bundespartei unangenehme Auswirkungen: Die frei werdende Energie in Wien könnte die Kreise, die Werner Kogler und sein Team gemeinsam mit Sebastian Kurz in der Regierung ziehen, nachhaltig stören.

Das fürchtet übrigens auch die ÖVP, wie Politikberater Thomas Hofer bekräftigt. Sollten die Wiener Grünen in die Opposition entlassen werden, ist von ihnen ein viel schärferer Kurs gegen die Koalition im Bund zu erwarten, meint er.

Kogler unter Druck

Das würde in erster Linie Werner Kogler unter Druck setzen, sich mehr gegen den Kurs von Sebastian Kurz aufzulehnen. Bisher waren die Wiener Grünen gut mit sich selbst und dem Mitregieren in Wien beschäftigt. Die Basis der Wiener Grünen wird aber gefürchtet, die Landesorganisation gilt als diejenige, die im Vergleich mit den anderen Bundesländern am weitesten links steht. Da bei den Grünen immer noch von unten hinauf mitbestimmt wird, kann relativ rasch eine Dynamik entstehen, die von oben ganz schwer in den Griff zu bekommen ist.

Thomas Hofer nennt hier die Flüchtlings- und Migrationspolitik als ein Beispiel. Hier besteht innerhalb der Grünen ohnedies schon viel Unmut gegen den türkisen Koalitionspartner. Dieser Druck könnte sich erhöhen, wenn der Unmut in Wien ein Ventil sucht und findet.

Frage der Gerechtigkeit

Der Streit um das Plastikpfand hat die Koalitionsstimmung zuletzt spürbar eingetrübt. Die Koalition könnte bald durch das Aufkommen eines weiteren Themas leiden, glaubt Hofer. Er rechnet damit, dass das Gerechtigkeitsthema in den innenpolitischen Fokus rücken wird. Stichwort Vermögenssteuern. Kurz selbst hat dieses Thema schon angezogen, definiert Gerechtigkeit aber anders: Er handelt es über den Leistungsgedanken ab – Gerechtigkeit für die Fleißigen und Tüchtigen.

Die Grünen gehen das Thema von den anderen Seite an, sie verstehen unter Gerechtigkeit vor allem Solidarität mit den Ärmeren und Schwächeren. Hier könnte von den Wiener Grünen der entscheidende Input kommen, das Thema weniger zögerlich anzugehen, als das die Grünen bisher getan haben. Kogler hat die Vermögenssteuer immer wieder angesprochen, sich aber von Kurz rasch zur Ordnung rufen lassen.

Gerade aber Corona und die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen werden Vermögenssteuern, vielleicht auch unter anderem Namen, wieder stärker in die politische Debatte rücken. Der Rückenwind aus Wien kann für Kogler hilfreich oder auch gefährlich sein, wenn es der ÖVP zu schnell geht. "Die Regierung wird am Thema nicht vorbeikommen", sagt Hofer, "die Grünen müssen sich da richtig aufstellen, das ist neben dem Klimawandel ihr zweites Standbein."

Das Ende des rot-grünen Projekts in Wien würde aber auch allgemein die Sichtweise auf die Grünen verändern, die dann in mehreren Bundesländern und auf Bundesebene nur noch mit der ÖVP in einer Koalition wären. Das entspricht nicht dem Selbstverständnis, das viele Grüne, ob Funktionäre oder Wähler, politisch von sich haben.

Ideologischer Gegenpol

Die rot-grüne Stadtregierung in Wien galt als ideologischer Gegenentwurf zur türkis dominierten Bundesregierung. Fällt dieser Gegenpol weg, könnte auch das politische Gleichgewicht bei den Grünen aus dem Lot geraten. Das könnte auch praktische Auswirkungen haben, wenn neoliberale Zugänge in der Wiener Stadtregierung künftig stärkeres Gewicht haben.

Nicht zuletzt könnte bei den Grünen eine Personaldiskussion einsetzen und der innerparteiliche Zusammenhalt gefährdet sein: Die Grünen konnten in Wien, anders als die SPÖ, auch in absoluten Stimmen zulegen, sind aber laut Hofer unter ihrem Potenzial geblieben. Schuld daran sei die Bundespolitik. Hofer: "Könnte gut sein, dass jetzt die Schuldigensuche beginnt." (Michael Völker, 14.10.2020)