US-Präsident Donald Trump stellt sich Anfang November der Wiederwahl. Joe Biden will ihn ablösen.

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Es klingt wie eine bürokratische Fußnote, die im chaotischen US-Wahlkampf leicht untergehen kann. In Wahrheit aber ist es ein neuer Angriff auf die US-Demokratie, und eine Entscheidung, die noch zehn Jahre nachwirken wird. Das US-Höchstgericht hat am Mittwoch einer Klage der Trump-Regierung zugestimmt, um die Volkszählung vorzeitig zu stoppen. Es gibt dem Präsidenten so eine vielleicht letzte Möglichkeit, noch einmal Schaden an der Demokratie anzurichten.

Denn der Zensus hat in den USA nicht nur informativen Wert, er ist hochpolitisch. Von den Resultaten hängt es maßgeblich ab, wie viele Wahlmänner Bundesstaaten entsenden, wie viele Wahlkreise für das Repräsentantenhaus es wo gibt – und wohin Förderungen fließen. Wird er vorzeitig beendet, sagen Experten, fehlen vor allem städtische Gebiete. Zudem entscheiden nun nicht die Experten des Zensusbüros, sondern Beamte aus dem Weißen Haus des Präsidenten Trump über die Auswertung. Und zwar, so lautet die neue Deadline, bis spätestens 31. Dezember – also vor Ende der Amtszeit.

Zur Sicherheit sei gesagt: Nein, das allein bringt die US-Demokratie nicht ins Wanken. Gerrymandering ist nicht neu, politische Einflussnahme auf das US-Wahlsystem gehört zum Geschäft der Großparteien. Und zwar, traditionell, beider.

Vertrauen in faires Wahlsystem sinkt

Irgendwann aber ist auch ein Kipppunkt erreicht, jene Situation, in der das Vertrauen in ein faires Wahlsystem massiv sinkt – langfristig und, das ist das Schlimme, berechtigt. Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass dieser Punkt näher rückt. Stundenlange Wartezeiten in demokratischen Wahlbezirken republikanischer Staaten, überzogene Kontrollen nur für Mitglieder von Minderheiten. Ganz zu schweigen davon, dass das wachsende Ungleichgewicht der Wahlbezirke, die unfaire Aufteilung des Senats, der fehlende Status von Washington, D.C., und Puerto Rico als Staaten und die Besetzung vieler Gerichte zuletzt nur einen Profiteur hatten: die Republikaner.

Ihre Politik ist vor allem für konservative Weiße attraktiv, die immer weniger werden. Daher suchen sie nach Auswegen. Sie finden diese derzeit nicht in einer Änderung ihres Programms, sondern im Behindern von Wahlen. Wenn Senatoren wie der Republikaner Mike Lee nun darüber fantasieren, dass die USA gar "keine Demokratie" seien und dass die Befreiung vom Joch der Regierung wichtiger sei als die Möglichkeit, diese zu wählen, dann zeigt das: Es ist Feuer am Dach. (Manuel Escher, 15.10.2020)