Wird sich Michael Ludwig (SPÖ) von den Grünen lösen, sich stattdessen den Neos zuwenden?
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"Komfortabel" ist ein Hilfsausdruck für die Lage, in der sich die Wiener SPÖ seit dem vergangenen Sonntag befindet. Nicht nur, dass man an Mandaten zugelegt hat, auch die Koalitionsoptionen haben sich erweitert. Nachdem den Neos in der kommenden Periode nun auch ein Sitz in der nach Proporz besetzten Wiener Stadtregierung zustehen wird, eröffnet sich neben Rot-Grün und Rot-Türkis auch Rot-Pink als mögliche Variante (die rechnerisch mögliche Option Rot-Blau hat die Wiener SPÖ immer ausgeschlossen).

Wer mehr Koalitionsoptionen hat, der hat auch größere Verhandlungsmacht gegenüber den potenziellen Partnern. Je glaubwürdiger man damit drohen kann, sich nach Alternativen umzuschauen, desto eher gelingt es, Forderungen des Gegenübers klein zu halten. Damit eine Drohung glaubwürdig ist, muss eine Alternative programmatisch plausibel und arithmetisch attraktiv sein.

Gegenüber den Grünen wäre zwar eine Drohung mit Rot-Türkis als Alternative nicht völlig unrealistisch erschienen. Aber die SPÖ hätte dem bisherigen Koalitionspartner nur schwer vormachen können, es gäbe größere Schnittmengen mit der Volkspartei als mit den Grünen. Noch dazu sind beide in der kommenden Periode mit zwei Sitzen in der Stadtregierung vertreten, wodurch sich auch in puncto Aufteilung der Geschäftsbereiche für die SPÖ kein Vorteil durch eine rot-türkise Variante ergäbe.

Ganz anders verhält sich die Sache bei den Neos. Hier sind die inhaltlichen Schnittmengen zwar noch immer geringer als bei den Grünen, aber in gesellschaftspolitischen Fragen stehen einander Rot und Pink deutlich näher als Rot und Türkis (siehe Grafik unten). Besonders in Fragen der Bildungs- und Integrationspolitik käme die SPÖ mit den Neos wohl schneller auf einen gemeinsamen Nenner als mit der ÖVP. Noch dazu haben die Neos im Gegensatz zu Türkis und Grün nur auf einen Stadtrat Anspruch, wodurch in Summe mehr an Zuständigkeiten bei der SPÖ verbleiben könnten.

Es ist also wenig verwunderlich, wenn Michael Ludwig den Neos rhetorisch Rosen streut. Ob sich daraus eine tragfähige Koalitionsoption ergibt, ist aber weiterhin fraglich. Immerhin bleiben große inhaltliche Differenzen, etwa in den Bereichen Wohnen, Transparenz oder Gebühren (die unter Rot-Grün umstrittene Verkehrspolitik könnte im Gegenzug entschärft werden).

Dennoch: Die pinke Variante ist für die SPÖ ohne Zweifel inhaltlich plausibel und numerisch sogar die attraktivste. Gerade deswegen ist sie als Drohszenario gegenüber dem bisherigen Koalitionspartner besonders wirksam. Selbst wenn Ludwig und sein Team eine Fortsetzung von Rot-Grün bevorzugen sollten, erfüllt das rot-pinke Szenario zumindest den Zweck, jene grünen Forderungen, die der SPÖ wenig schmecken, in den Koalitionsverhandlungen in die Schranken zu weisen. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 16.10.2020)