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Der Tag begann mit einem Stopp. Mit "Halt, Ihren Namen bitte!" wurde Karl-Heinz Grasser in der vorletzten Buwog-Verhandlungswoche vor dem Großen Schwurgerichtssaal aufgehalten. Die junge Frau bei der Zutrittskontrolle hatte den stets elastischen Schritts herbeieilenden Erstangeklagten und Ex-Finanzminister schlicht nicht erkannt.

Sie war neu, er war es nicht. Gestern, Donnerstag, hat sich der Richtersenat unter der Vorsitzenden Marion Hohenecker zur Urteilsberatung zurückgezogen – nach 168 Verhandlungstagen.

Fast drei Jahre sind vergangen, seit die Hauptverhandlung zur Causa Buwog gegen Grasser und Co am 12. Dezember 2017 begonnen hatte. Die Ereignisse, um die es in erster Linie geht – das Privatisierungsverfahren der fünf Bundeswohnungsgesellschaften –, liegen noch viel länger zurück, spielen 2004 in der Ära von Finanzminister Grasser. Ermittelt hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nach einem Zufallsfund in einer anderen Causa seit 2009. Sieben Jahre lang wurde recherchiert – in den Augen der meisten Hauptangeklagten einseitig. Die WKStA habe entlastende Umstände außer Acht gelassen – ein Vorwurf, der auch in den Schlussplädoyers vieler Verteidiger und den "letzten Worten" der Angeklagten vor der Urteilsverkündung erhoben wurde.

Ex-Minister Grasser am Donnerstag nach 168 Verhandlungstagen.
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Dass die beiden Staatsanwälte, Alexander Marchart und Gerald Denk, in ihrem Schlussplädoyer von Verschleierung durch die Verteidigung und Nebelgrananten sprachen, verfestigte diese Kritik. Man habe einfach seine Arbeit getan, den Akt genau studiert und die Mandanten verteidigt, so die Anwälte

Elf Jahre also sind seit Beginn jenes Verfahrens vergangen, das sich zum größten Korruptionsprozess der Zweiten Republik entwickeln sollte. Angeklagt sind (mit Telekom Austria, Terminal Tower und Villa Meischberger) vier Causen: Im Mittelpunkt aber steht der Bestechungsverdacht bei der Buwog-Privatisierung. Bei der floss klammheimlich eine Provision von 9,6 Millionen Euro an Hochegger und Meischberger. Den Vorwurf, dass die derart gut honorierte Insiderinformation, wie viel das Österreich-Konsortium bieten müsse, um die CA Immo zu überflügeln, von Minister Grasser kam, bestreiten die Angeklagten. Nur Hochegger legte ein Teilgeständnis ab. Die Provision soll dann mit Grasser und Plech geteilt worden sein.

Schwiegermuttergeld 2.0

Das sagte Hochegger aus, unter Berufung auf Meischbergers Banker, der ihm einen Zettel mit Kontonummern und Namen gezeigt habe. Diese Aussage änderte Hochegger später aber, vielleicht sei es bei den Zahlen auch um die Teilbeträge der Provision gegangen. Eine neue Darstellung, die die anderen Hauptangeklagten nicht müde wurden herauszustreichen. Allerdings hat auch Grasser eine zentrale Aussage geändert, und zwar beim "Schwiegermuttergeld". Jahrelang hatte er erklärt, die Mutter seiner Frau habe ihm 500.000 Euro anvertraut, um sein "Veranlagungstalent" zu testen. Im Prozess sagte er dann, sie habe das Geld der Jungfamilie geschenkt.

Mit seinem Teilgeständnis, er habe in einem "Korruptionsbiotop zwischen Wirtschaft und Politik mitgewirkt" (Hochegger), wurde der Ex-Lobbyist, der bereits eine Freiheitsstrafe in der Causa Telekom abgesessen hat, zum Gegenspieler vor allem von Grasser und Meischberger. Hatten sie einander in den ersten Prozesswochen gerade einmal kühl begrüßt, schienen sie einander ab da immer näher zu rücken.

Hochegger beschrieb sich als Mitwirkender in einem "Korruptionsbiotop".
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Darauf deuten die gemeinsamen Pausen im Gericht oder Fotos mit Justizmitarbeiterinnen vor dem Grauen Haus hin. Hochegger aß immer allein; ihm werfen Grasser und Meischberger vor, nur gestanden zu haben, um einer weiteren Verurteilung zu einer Haftstrafe zu entgehen. Die von ihm gekonnt zelebrierte "Läuterung" sei gespielt.

Weiteres zentrales Thema war "der Tatplan" und die beiden Belastungszeugen dahinter, Willibald Berner und Michael Ramprecht. Die WKStA geht davon aus, dass hinter der angeklagten Bestechung bei der Privatisierung und bei der Einmietung der Finanz in den Linzer Büroturm Terminal Tower (200.000 Euro) ein Plan gestanden sei. Auch das bestreiten die Angeklagten, und zwar auch Hochegger – für sie alle gilt die Unschuldsvermutung. Ramprecht und Berner sind die einzigen Belastungszeugen von insgesamt 150 Zeugen des "epochalen" Verfahrens (Anwalt Wess). Kurz zusammengefasst sagt der damalige Kabinettschef von Infrastrukturminister Michael Schmid (FPÖ), Berner, Hochegger habe ihm 2000 (nach Antritt der schwarz-blauen Regierung) eine Skizze aufgezeichnet, wonach Grasser, Meischberger, Plech, Jörg Haider und ihm Nahestehende an Projekten der Regierung profitieren wollten. 2006 habe er Ramprecht davon erzählt, er bestätigt das.

Aus dem Rahmen

Die Auftritte Ramprechts fielen freilich ein wenig aus dem Rahmen des von Hohenecker ebenso streng wie fair und penibel geführten Prozesses. Der Zeuge, dessen Vertrag in der Bundesbeschaffungsagentur von Grasser nicht verlängert wurde, war sehr emotional. Grassers Anwälte meinen, er wolle sich nur an Grasser rächen. Wess zeigte in seinem Schlussplädoyer gar Fotos von Ramprecht vor Gericht. Sein Kommentar dazu: "Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte."

Und Belastungszeuge Berner? Hochegger bestreitet seine Darstellung, Anwalt Ainedter wirft ihm schlicht vor zu lügen, wenngleich eine weitere Zeugin bestätigte, Berner, mit dem sie befreundet sei, habe ihr von der Skizze erzählt.

Aussage gegen Aussage also bis zum Schluss. Wie das Urteil ausfallen wird? Die Anwälte halten sich bedeckt, die Richterin ließ sich nie in die Karten schauen. "Also ich glaub, wir werden freigesprochen", meinte am Donnerstag ein Angeklagter zu seinem Anwalt. Der hob nur eine Augenbraue. (Renate Graber, 16.10.2020)