Alle Möglichkeiten, bei denen viele Menschen zusammenkommen, sollen reduziert werden.

Foto: imago

Wien – Die Bundesregierung überlegt, noch diese Woche auf die aktuelle Entwicklung der Corona-Neuinfektionen zu reagieren und bundesweit gültige Maßnahmen zu verhängen. Am Freitag werden Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Öffentlichkeit über die Verschärfung der Maßnahmen informieren. Das sei notwendig, um einen drohenden Lockdown abzuwenden.

Hinter den Kulissen wird versichert, dass es sich um keine Maßnahme gegen die Länder handle, sondern – im Gegenteil – alles auf deren Drängen erfolge. Die Länder wünschen sich offenbar eine abgestimmte, bundesweit einheitliche Vorgangsweise, heißt es. Böse gesagt: Sie wollen nicht selber unpopuläre Maßnahmen verhängen, sondern lassen hier der Bundesregierung gern einmal den Vortritt.

Welche Einschränkungen drohen

Angedacht sei in erster Linie eine drastische Einschränkung von Veranstaltungen, das dürfte den Sport, aber auch den Kulturbetrieb treffen. Alle Möglichkeiten, bei denen viele Menschen zusammenkommen, sollen reduziert werden. Eine Ausweitung der Maskenpflicht stand in Regierungskreisen ebenso zur Diskussion wie eine Vorverlegung der Sperrstunde.

Gegen die Vorverlegung der Sperrstunde, wie sie etwa auch Kurz für sinnvoll hält, gibt es allerdings Widerstand aus manchen Bundesländern. Entschieden war am Donnerstag noch nichts.

Kurz hatte aber bereits am Vormittag rhetorisch vorgebaut: Er forderte besonders betroffene Länder auf, schärfere Maßnahmen zu setzen. Die Ausbreitung des Virus mache es notwendig "mit sehr drastischen Maßnahmen dagegen zu kämpfen. Es muss allen im Land klar sein: Die Lage ist ernst."

Niemand will Lockdown

Manche sehen darin sogar Vorzeichen für einen neuerlichen Lockdown. Dieser sei, so versicherte auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in der ZiB 2, aber derzeit nicht geplant. Ein Lockdown sei überhaupt nur möglich, nachdem der Hauptausschuss des Nationalrats damit befasst wurde, versicherte Anschober.

Aber, so der Gesundheitsminister, es brauche stärkere Maßnahmen, um einen neuerlichen Lockdown zu verhindern. Die Situation sei besorgniserregend, deshalb brauche es punktgenaue Maßnahmen in den Bundesländern. Oberösterreich arbeite an einem eigenen Paket, das am Freitag präsentiert werden soll.

Noch sei dafür nicht der richtige Zeitpunkt, sagte Anschober, aber es werde auch bundesweite Maßnahmen brauchen, möglicherweise bereits in den kommenden Tagen, so Anschober, der einmal mehr an die Bevölkerung appellierte, "mitzumachen", sich an Vorgaben und Hygienemaßnahmen zu halten. Ein Ablaufdatum dürften die unten offenen Gesichtsvisiere aus Kunststoff haben, sie seien weniger wirksam als geschlossener Mund-Nasen-Schutz.

Kritik an "Panikmodus"

Kurz hatte in seinem schrillen Appell offen gelassen, welche Maßnahmen nun nötig seien. Aus Kärnten kommt deswegen harsche Kritik am Bundeskanzler wegen dessen "Panikmodus". Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) lässt über seinen Sprecher Andreas Schäfermeier ausrichten: "Kurz trägt mit seinem nicht koordinierten Vorgehen massiv dazu bei, dass die Bevölkerung Vertrauen verliert – vor wenigen Wochen verkündet er Licht am Ende des Tunnels, jetzt schaltet er wieder in den Panikmodus. So führt man kein Land erfolgreich durch die Krise."

In Wien war man ebenfalls nicht begeistert vom Vorgehen des Bundeskanzlers: "Der Ernst der Lage ist allen klar", sagt Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). "Faktum ist aber auch, dass in einer solchen Situation nicht nur die Länder gefordert sind." Der richtige Ort, um etwaige Maßnahmen und Vorschläge der Regierung zu besprechen, sei die eigenes eingerichtete Corona-Kommission: "Es wäre gut, wenn die Bundesregierung ihre Vorstellungen konkretisiert", fordert Hacker.

Kritik an Zeitpunkt

In der ÖVP-regierten Steiermark sieht man wenig Anlass zu abruptem Handeln. Immerhin ist die Steiermark gemeinsam mit Kärnten Schlusslicht in der Corona-Statistik. Offiziell will sich niemand zum Kurz-Alarmschreiben äußern. "Wir können aber bei Bedarf rasch handeln", heißt es seitens des Landes.

Kaum betroffen vom Appell des Kanzlers fühlen sich auch die Vorarlberger. "Wir sind hier im Westen schon jetzt viel strenger als andere Bundesländer. Wir haben längst Verschärfungen eingeführt und werden auch nicht lockerlassen", heißt es im Büro von Landeshauptmann Markus Wallner.

In den Ländern wird auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Kurz-Appells kritisch beäugt. Ein paar Stunden nachdem der Kanzler sich an die Länder wandte, verkündete das ÖVP-geführte Salzburg die Quarantäne für Kuchl. "Ein Schelm, der Absicht dahinter vermutet. Einer will der Pacemaker sein", heißt es selbst in ÖVP-Länderkreisen. Auch Tirol verkündete Donnerstagnachmittag eine Maßnahmenverschärfung.

Wo die Ampel rot leuchtet

Tatsächlich gibt es aber Regionen, die von der Corona-Kommission nun erstmals auf Rot geschaltet wurden. Rot sind fortan Innsbruck sowie Innsbruck Land (Tirol), Hallein (Salzburg) und Wels (Oberösterreich). Im Bezirk Hallein befindet sich auch Kuchl – jener Ort, der unter Quarantäne gestellt wurde.

Zudem wurden zahlreiche Bezirke orange eingefärbt: Oberwart (Burgenland), Baden (NÖ), Sankt Pölten Land (NÖ), Tulln (NÖ), Wiener Neustadt Land (NÖ), Grieskirchen (OÖ), Ried im Innkreis (OÖ), Schärding (OÖ), Wels Land (OÖ), Steyr (OÖ), Salzburg Umgebung, Sankt Johann im Pongau (Salzburg), Voitsberg (Steiermark), Bruck-Mürzzuschlag (Steiermark), Imst (Tirol), Kufstein (Tirol) und Sankt Veit an der Glan (Kärnten).

Was genau bei der Schaltung auf Rot in den einzelnen Bezirken passiert, ist unklar. Es sind keine fixen Maßnahmen an die Ampelfarben geknüpft. Die Kommission formuliert aber Vorschläge, die von der Politik aufgegriffen werden können. Prinzipiell seien die Empfehlungen vom Infektionsgeschehen vor Ort abhängig, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. In den einzelnen Bezirken könnten die Maßnahmen also durchaus unterschiedlich ausfallen: von einer Vorverlegung der Sperrstunde bis zu Quarantäne für einzelne Orte – wie eben in Salzburg.

Was passiert in den Schulen?

Was den Bildungsbereich betrifft, will Minister Heinz Faßmann (ÖVP) diesmal den Takt vorgeben. In einem Schreiben an die Bildungsdirektionen erinnert er daran, dass eine "orange" Schulampel nicht zwingend Distance-Learning, wie jetzt in Teilen Salzburgs ausgerufen, heiße. Auch Unterricht im Schichtbetrieb sei möglich – und zwar im täglichen Wechselspiel zwischen Schule und Zuhause. Variante drei sieht laut Faßmann vor, einzelne Schülerinnen und Schüler, Teile von Klassen oder Schülergruppen zeitweise in die Schule zu holen – etwa für fachpraktischen Unterricht oder Einstiegs- und Abschlussklassen. (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, Michael Völker, Karin Riss, Vanessa Gaigg, 15.10.2020)