Polizisten bei einem Training für den Ernstfall. Kritiker wie der Menschenrechtsanwalt Herbert Pochieser fordern mehr Deeskalationstraining.

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Es sollte ein gemütlicher Abend in einem Hotelrestaurant in der Oststeiermark werden. Doch der Abend im April endete für den 58-jährigen Gerhard Z. nicht so, wie er das geplant hatte. Nämlich abtransportiert mit Pfefferspray im Gesicht, einer Decke über dem Kopf und fixierten Armen und zeitweise auch fixierten Beinen.

Dem Koch gratuliert

Herr Z., ein Österreicher, der als Hüttenwirt und Bergretter in der Schweiz arbeitete, nahm ein Abendessen mit seiner Ehefrau und einem zweiten Paar ein, als es zu einer Auseinandersetzung mit einem weiteren Gast kam. Angeblich, so erzählt es Herbert Pochieser, der Wiener Anwalt von Z., weil sein Mandant dem ungarischen Koch des Lokals mit "ein paar Brocken Ungarisch, Englisch und Französisch" sagen wollte, dass er gut gekocht habe, und ihm außerdem gratulieren wollte. Der Koch hatte nämlich Geburtstag.

Ein Gast an der Bar soll daraufhin unwirsch verlangt haben, dass man Deutsch spreche. Im nachfolgenden Streit soll es heiß hergegangen sein. Jedenfalls wurde die Polizei gerufen. Wegen der dann folgenden Amtshandlung steht Herr Z. als Beschuldigter vor dem Straflandesgericht in Graz. Ihm wird Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Dieser Prozess wurde diese Woche vertagt.

Parallel dazu wurde derselbe Polizeieinsatz Gegenstand eines Verfahrens am Landesverwaltungsgericht (LVwG) Steiermark.

Eskalation und Tunnelblick

Die Situation eskalierte, als sich Z. vor der eingetroffenen Polizei ausweisen sollte und daraufhin den Dienstausweis eines Beamten sehen wollte. Der nach zwei Augenoperationen unter Tunnelblick leidende Z. habe sich, so heißt es in der Entscheidung des LVwG, "in seiner Wahrnehmung erheblich beeinträchtigt gefühlt", ihm sei "infolgedessen die Präsenz der Polizei nicht bewusst gewesen".

Die Polizisten brachten den unbescholtenen Z. zu Boden und ließen nicht von ihm ab, obwohl dieser mehrmals lautstark kommuniziert habe, starke Schmerzen zu haben und soeben von einem Reha-Aufenthalt heimgekehrt zu sein. Z. brachte eine Maßnahmen- und eine Richtlinienbeschwerde gegen die Polizei ein.

In den beiden – noch nicht rechtskräftigen – Entscheidungen vom 30. September und 13. Oktober wurde Z. teilweise recht gegeben. In der Entscheidung zur Maßnahmenbeschwerde heißt es, dass die Festnahme "rechtswidrig" war, "insbesondere die Handfesselung am Rücken, die Fußfesselung und der Abtransport mit der Decke über dem Kopf". In der Gegenschrift der Polizei ist hingegen von einem "renitenten und aggressiven Verhalten" von Z. die Rede. Zur Entscheidung kam der zuständige Richter, Erich Kundegraber, allerdings auf Grundlage ihm vorgelegter Videos – und die hatte die Polizei selbst angefertigt.

In anderen Punkten wurde die Maßnahmenbeschwerde zurückgewiesen: Demnach durfte die Polizei die Gattin des Beschwerdeführers im Gasthaus von ihm entfernen. Sie wollte die Amtshandlung mit dem Handy dokumentieren. Ebenso sei es rechtens gewesen, von Z. zu verlangen, sich auszuweisen.

Bemerkenswert, weil in der Judikatur eher ein Ausnahmefall, ist die Entscheidung des LVwG zur Richtlinienbeschwerde. Hier werden, anders als bei einer Maßnahmenbeschwerde, nicht etwaig unverhältnismäßige Maßnahmen beurteilt, sondern das Verhalten der Beamten.

Menschenwürde verletzt

Für das LVwG kam es nach dem Sicherheitspolizeigesetz und der Richtlinien-Verordnung zu einer "Verletzung der Achtung der Menschenwürde" von Z. Eine Berufung gegen die Entscheidungen ist nur mehr vor dem Verwaltungsgerichtshof möglich.

Für Pochieser, der sich als Anwalt auf Menschenrechte spezialisiert hat, ist der Fall ein Beispiel dafür, warum eine Untersuchungsstelle zu Vorwürfen gegen Polizisten "nicht im Innenministerium, zu dem ja die Polizei gehört, installiert werden darf". Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte ein Konzept für eine solche Stelle kürzlich angekündigt – DER STANDARD berichtete. Weiters kritisiert der Anwalt, dass die Polizei, "anders als in Deutschland", keine ausreichende Ausbildung in Sachen Deeskalation habe. (Colette M. Schmidt, 16.10.2020)