Wien – Sie sind zugespitzt auf Frittentauglichkeit – gekocht sind sie ungenießbar. Hell müssen die Erdäpfel sein und zumindest 45 Millimeter groß, um zu Pommes frites werden zu dürfen. Reich an Stärke sollen sie sein, um knusprig zu werden, zugleich jedoch arm an Zucker, denn dieser karamellisiert im heißen Fett und macht dunkle Flecken.

Als kleine Pflanzen gelten sie als Mimosen. Es braucht für ihre spezielle Sorte daher reichlich Pestizide. Gelagert werden sie wärmer als üblich, damit sich kein Zucker bildet. Um dabei nicht zu keimen, begaste man sie bis vor Kurzem mit Chlorpropham.

Der gesundheitlich bedenkliche und in der EU mittlerweile verbotene Wirkstoff darf in Österreich ab 20. Oktober 2020 nicht mehr bei Industriekartoffeln zum Einsatz kommen. Da er sich in den Lagerstätten anreichert und entsprechende Grenzwerte dieser Tage herabgesetzt werden, nahm die Landwirtschaft davon heuer Abstand. Bei klassischen Speiseerdäpfeln müssen Bauern schon länger auf Alternativen wie Minzöl zugreifen, um das Keimen zu verhindern.

Tiefes Absatzloch

Erdäpfel für Pommes sind gemeinhin ein heikles Geschäft. Seit dem Ausbruch der Corona-Krise stürzen sie eine ganze Branche ins Dilemma. Mit dem Einbruch der Gastronomie und des Außer-Haus-Verzehrs fielen die Fritten weltweit in ein tiefes Absatzloch. Mit ihnen erodierten die Preise für Kartoffeln. Pommes sind bei Fast-Food-Ketten und Imbissbuden ebenso in aller Munde wie bei Großveranstaltungen und kleinen Festen. Sie alle kamen im Zuge der Pandemie zum Erliegen. Auch Touristen, die sie zum Schnitzel ordern, bleiben aus. Seither werden die Knollen europaweit im großen Stil vernichtet.

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Pommes sind nicht mehr in aller Munde.
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In Österreich wurden jüngst an die 2000 Tonnen im Marchfeld eingeackert, erzählen Landwirte dem STANDARD. Erdäpfel-Bauern sind zur Ernte verpflichtet – bei Kosten von 1000 Euro für den Hektar liegt es für viele aber nahe, darauf mitunter zu verzichten, zumal sich dann auch die teure Lagerung und Kühlung erübrigt. Die Knollen in Biogasanlagen in Energie umzuwandeln spielt nicht einmal die Erntekosten ein. Stärkefabriken sehen sich nur begrenzt aufnahmefähig. Und dass der Überschuss, wie oft dargestellt, als Tierfutter in Sautrögen landet, ist eine seltene Ausnahme: Schweine fressen keine rohen Kartoffeln. Sie zu dünsten – dafür ist den Mästern der Aufwand zu groß.

Sechs Cent für das Kilo

Franz Wanzenböck, Obmann der IG Erdäpfelbau, macht aus der Entsorgung keinen Hehl, wobei er betont, dass die Rohstoffe sehr wohl in Biogasanlagen landen. Die Industrie nehme keine Überproduktion ab. Beim Export sei aufgrund der eingebrochenen Preise nichts zu verdienen. Rumänien etwa kaufe derzeit verpackte Ware um sechs Cent das Kilo. "Vier Cent kostet in Österreich allein die Verpackung."

20 Cent brauche es für das Kilo, damit der Anbau wirtschaftlich sei, rechnet Wanzenböck vor. Heuer sei nur die Hälfte davon drin. Neben Erdäpfeln werde noch mehr Gemüse in Biogasanlagen landen, da es Landwirte aufgrund der Krise in der Gastronomie nicht absetzen könnten, glaubt Manfred Zörnpfenning, Obmann des Bauernbunds NÖ. "Das wird für viele existenzbedrohend."

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Die Österreicher wollen kleine Erdäpfel. Alles über 65 Millimeter hat es im Handel schwer. Doch Erdäpfel halten sich ungern an Größenvorgaben.
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Belgien als weltweit größter Pommes-Exporteur in alle Welt rief die Bevölkerung auf, den Konsum derselben zu verdoppeln. Die Österreicher frittieren zu Hause aber nur in Maßen. Größter Abnehmer ist McDonald’s. Beliefert wird der Laberlbrater von Lamb Weston Meijer. Der Konzern verarbeitet die Erdäpfel in Hollabrunn und bedient damit die Fastfood-Kette in Österreich wie in Osteuropa.

Energie und Stärke

Nach starken Einbußen infolge des Lockdowns produziert LWM seit September wieder mit voller Auslastung, teilt Geschäftsführer Dirk Niggemann auf Anfrage mit. Der Überhang von 18.000 Tonnen Kartoffeln im Frühjahr sei in die Energiegewinnung und Stärkeproduktion geflossen. Mit den Vertragsbauern wurde vereinbart, die Anbaufläche moderat zu reduzieren. Die Kosten für das überschüssige Saatgut habe Lamb Weston übernommen.

Zweiter großer Pommes-Produzent des Landes ist der Vorarlberger Nahrungsmittelherstellers 11er. Auch Thomas Schwarz, Chef des Unternehmens, berichtet von zu viel Kartoffeln auf Europas Märkten. "Einfach ist die Situation nicht, aber verkraftbar." 11er selbst könne alle Rohstoffe, die man von Bauern aus dem Marchfeld und aus Bayern beziehe, verarbeiten. Volumina, die in der Gastronomie fehlten, kompensiere – zumindest bei 11er – der Einzelhandel.

Zu große Knollen

Österreich baut jährlich bis zu 700.000 Tonnen Erdäpfel an. Rund 150.000 Tonnen werden zu Pommes und Chips. Für Chips sind Pommes-Erdäpfel ungeeignet, im Salat oder mit Petersilie schmecken sie noch weniger. Probleme gibt es im Herbst jedoch auch bei klassischen Speisekartoffeln: Sie gerieten zu groß. Im Frühjahr war es kalt und trocken. Das ließ sie wenig Knollen bilden. Viel Niederschlag im Sommer trieb das Wachstum voran. Nasse, schlecht befahrbare Felder verhinderten die Ausbringung von Spritzmitteln, um das Laub zu dezimieren und mit ihm die Kartoffelgröße.

Schönheitscontest

Maximal 65 Millimeter dürfen sie im Durchmesser sein. Alles andere findet im Lebensmittelhandel nur sehr begrenzt Platz, erläutert Wanzenböck. "Der Österreicher will kleine Erdäpfel. Das hat sich eingebürgert." Die Folge ist, dass größere Exemplare zu Dumpingpreisen exportiert werden und bei Kleinen Engpässe drohen. Der Handel soll nun dazu bewogen werden, ein paar Millimeter Knolle mehr zu akzeptieren. (Verena Kainrath, 16.10.2020)

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