Die Selfie-Pionierin Friedl Kubelka ist auch ausgebildete Psychoanalytikerin; das Porträt hat sie immer auch als eine Begegnung mit sich selbst interessiert.

Foto: Friedl Kubelka

Im Jahr 1990 gründete die damals 44-jährige Friedl Kubelka in ihrem knapp 60 Quadratmeter großen Atelier in der Gartengasse in Wien-Margareten ihre Fotoschule. Obwohl später Persönlichkeiten wie Nan Goldin, Hito Steyerl oder Franz West als Lehrende an der Fotoschule vortrugen und diese international bekannt wurde, blieb die Einrichtung stets privat.

2010 übernahm die ehemalige Schülerin Anja Manfredi die Leitung und übersiedelte 2013 in die Neubaugasse. Jetzt nützt Kubelka die ehemaligen Räume wieder – so wie vor 30 Jahren – als Atelier. Dort erreichen wir die 74-Jährige, das Gespräch fand telefonisch statt.

STANDARD: Frau Kubelka, man darf Ihnen gratulieren: Vor 30 Jahren haben Sie die Schule für künstlerische Fotografie in Wien gegründet. Wie kam es dazu?

Friedl Kubelka: Ich bin 1975 eingeladen worden, meine fotografischen Arbeiten an der University of Rhode Island in den USA zu präsentieren. Als ich zurückkam, wollte ich dieses Wissen über Fotografie auch hier vermitteln. In Wien hat sich damals nichts getan! Ich habe an der Universität für angewandte Kunst, der Akademie der bildenden Künste und sogar der Höheren Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt angefragt, aber niemand hat mir zugehört. An der Volkshochschule in der Stöbergasse bekam ich 1977 dann die Chance: "Machen Sie das nur", sagte man mir dort. Das war die erste Klasse für künstlerische Fotografie in Österreich.

STANDARD: Wie hat sich das dann weiterentwickelt?

Kubelka: Später habe ich am Salzburg College und der Sommerakademie in Salzburg unterrichtet und irgendwann konnte ich in Wien Vortragsreihen an der Angewandten organisieren. Einmal habe ich zu Oswald Oberhuber gesagt, der damals die Grafikklasse dort leitete, er soll doch eine Fotoklasse gründen. Er sagte: "Das geht nicht, da brauche ich eine Million Schilling." Da hab ich mir gedacht, das werden wir sehen! Die Gründung der Schule war eine Trotzreaktion.

STANDARD: Wie war die Situation für künstlerische Fotografie in Wien damals?

Kubelka: Wahrscheinlich hätten 90 Prozent nicht gewusst, was das ist. Ich wurde immer gefragt, ob ich schöne Hochzeitsfotos machen kann. (lacht) Wenn ich in eine Fotogalerie gehen wollte, bin ich in die Bäckerstraße in Wien gegangen, da geb es eine Fotogalerie. Und im Wuk wurden Fotografien gezeigt, sonst gab es wenig. Eine eigene Klasse für "Malerei und Grafik mit Schwerpunkt Fotografie" gab es an der Bildenden erst 1997. An der Angewandten kam das erst viel später.

STANDARD: Wie kam es schließlich dazu, dass künstlerische Fotografie als eigene Kunstform anerkannt wurde?

Kubelka: Ich glaube, das kam von außen. Vor allem durch die Versteigerungen von künstlerischer Fotografie. Ich bin keine Expertin, habe aber bemerkt, dass plötzlich hohe Preise für Fotografien erzielt wurden im Ausland. Beispielsweise von Diane Arbus oder Man Ray. Ich könnte mir vorstellen, dass da der Kunstmarkt ausschlaggebend war.

STANDARD: Wie kam es dann zur tatsächlichen Umsetzung der Schule?

Kubelka: In der Kunst passiert nichts aus Wohlbefinden, sondern weil man sich ärgert und etwas ändern möchte. Ich wollte das amerikanische System, künstlerische Fotografie zu unterrichten, nach Österreich bringen. Es gab im ganzen Land keine Ausbildung dafür! Natürlich war die Geldknappheit anfangs ein großes Thema. Deswegen habe ich die Schule auch in meinem Atelier aufgezogen, dort musste ich ohnedies Miete zahlen. Zu Beginn musste ich bei jedem Vortragenden, den ich eingeladen habe, neue Sponsoren finden. Bis ich zu Magister Gudrun Schreiber ins Kulturministerium gegangen bin und sie mir eine Förderung zusagte. Ihr gebührt der Dank, dass ich die Idee nicht verworfen habe.

STANDARD: Mit der Gründung Ihrer Schule galten Sie als Pionierin ...

Kubelka: Ich selbst habe keine Kunstschule besucht. Ich wollte das, was ich gerne gelernt hätte, anderen ermöglichen. Bei meiner Ausbildung zur gewerblichen Fotografin durften wir keine Künstlerin sein!

STANDARD: Wie war die Situation für Frauen in dem Berufsfeld?

Kubelka: Wenn man beispielsweise Valie Export – die mich sehr beeindruckt hat – im Umkreis anderer Künstler gesehen hat, wurde sie nicht sonderlich beachtet. Natürlich gab es auch andere Frauen wie Margot Pilz, Renate Bertlmann oder Birgit Jürgenssen, die fotografiert haben. Ihre Arbeiten wurden aber nicht großartig ausgestellt. Wir sind eher als hübsche Frauen gesehen worden. Man hat sich als Frau damals gedacht: Na gut, dann mach ich meine Sache halt für mich.

STANDARD: Wie genau hat die Schule zu Beginn ausgesehen?

Kubelka: Sie hatte 59 Quadratmeter. Die erste Klasse bestand aus zehn Studierenden, heute sind es 20. Auf dem kleinen Raum befanden sich auch die Dunkelkammer, der Vortragsraum und manchmal auch ein Schlafplatz. Wenn ich Künstler aus dem Ausland eingeladen habe, haben sie auch hier übernachtet. Ich hatte kein Geld für ein Hotel. Die Studierenden sollten den Künstlern so nahe wie möglich sein und ihnen Fragen stellen können. Wie lebt man wirklich, wenn man eine Kunstschule verlassen hat? Das wird im gängigen Kunstunterricht komplett ausgeblendet.

STANDARD: Teil Ihres Modells war es auch, Lehrende aus anderen Kunstbereichen einzuladen – warum?

Kubelka: Ich wollte, dass jeder Künstler – egal ob aus der Architektur oder der Jazzmusik – von seinem eigenen Weltbild berichtet. Dadurch hatten die Studierenden die Möglichkeit, von einem anderen Medium in das eigene zu übersetzen und so eine neue Form zu finden. Das war mir wichtig.

STANDARD: Persönlichkeiten wie Nan Goldin, Franz West, Hito Steyerl oder jetzt Jakob Lena Knebl unterrichteten in Ihrer Schule – warum wurde sie trotz ihres Renommees nie institutionell?

Kubelka: Die Schule war immer als Privatschule gedacht und sollte auch eine außerinstitutionelle Einrichtung bleiben, weil ich mir nichts verbieten lassen wollte. Man sollte so frei wie möglich sein. Ich glaube, dass die Kunst in ihrem Wesen subversiv sein soll. An einer Institution wird man ständig zur Rechenschaft gezogen. Ich habe lieber alles – von der Buchhaltung, übers Putzen bis hin zum Einkaufen des Fotopapiers – selbst gemacht, ehe ich mich bevormunden lassen wollte. Das hätte mein Konzept verwässert.

STANDARD: Seit 2010 leitet Anja Manfredi, eine ehemalige Schülerin, die Fotoschule. Welche Gründe gab es für diesen Schritt?

Kubelka: Es hat sich vieles verändert. Vor allem der Einzug des Digitalen war ein Grund, mich zurückzuziehen. Für mich ist das eine körperlose Fotografie. Bei den digitalen Fotos gehen das Format und die Proportionen verloren. Daran konnte ich mich nicht gewöhnen. Zusätzlich sind in den vergangenen Jahren so viele thematische Einschränkungen dazugekommen. Wenn man es auf die Spitze treibt, dürften nur noch Frauen andere Frauen fotografieren. Oder Kinder andere Kinder. Natürlich geht es dabei immer auch um die Veröffentlichung, ich halte diese Einschränkungen aber nicht aus. Das ist sicherlich eine Generationsfrage, weswegen es sehr gut ist, dass Anja Manfredi übernommen hat. Ich wäre mittlerweile zu unsicher. Und außerdem wollte ich mich mehr dem Film zuwenden. Seit 2006 ist die Schule für unabhängigen Film an der Fotoschule angesiedelt.

STANDARD: Was beobachten Sie bei den Arbeiten heutiger Absolventen und Absolventinnen?

Kubelka: Sie sind post- oder sogar postpostmodern: Die Körper sind verschwunden. Es sieht aus, als ob es keine Notwendigkeit gäbe, sich mit der Sexualität auseinanderzusetzen. Natürlich gibt es diese Probleme noch immer, aber vielleicht werden sie weniger gezeigt.

STANDARD: Vielleicht sind sie auch nur weniger offensichtlich?

Kubelka: Ja, eventuell sind sie einfach nicht so sichtbar oder werden versteckt. Das was ich höre, ist, dass das Medium selbst viel mehr im Fokus steht.

STANDARD: Man kann einen Rückgriff auf analoge Fotografie beobachten – so wie es bei der Gründung der Schule Usus war. Wieso ist das jetzt wieder attraktiv?

Kubelka: Anja Manfredi berichtet mir, dass die jüngsten Studierenden an der Schule ganz scharf darauf sind, in der Dunkelkammer zu arbeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass das mit dem Anfassen, dem Körper der Fotos und dem Handwerk per se zu tun hat.

STANDARD: In Ihrer Arbeit waren Körper sowie Porträts stets zentral. Kann man Ihr Langzeitprojekt der "Jahresporträts" – bei dem Sie sich ein Jahr lang täglich fotografieren und das alle fünf Jahre wiederholen – mit modernen Selfies vergleichen?

Kubelka über die "Jahresporträts": "Je älter ich wurde, desto eher habe ich diese Porträts für mich gemacht."
Foto: Friedl Kubelka

Kubelka: Die frühen Fotos auf alle Fälle. Meine Pin-ups von 1971 beispielsweise waren wie Selfies. Ich habe über das Spiegelbild eine weibliche Seite von mir fotografiert, die ich sonst nie gezeigt habe. Wenn ich auf die Straße gegangen bin, war ich eher burschikos in Jeans gekleidet. Auf den Fotos habe ich mich in Striptease-Unterwäsche fotografiert. Da hatte ich das Gefühl, dass ich eins bin. Und auch das erste Jahresporträt kann man definitiv mit heutigen Selfies vergleichen. Da wollte ich möglichst hübsch sein und meine Depressionen – und vor allem die Wimmerln – verstecken. Aber ab dem zweiten Jahresporträt habe ich begonnen, auch meine Sorgen zu zeigen. Das hat sich dann im zunehmenden Alter gesteigert. Je älter ich wurde, desto eher habe ich diese Porträts für mich gemacht. Sie sind wie ein Tagebuch. Das nächste wird dann 2022/23 folgen.

STANDARD: Liegt hier der Unterschied: Sie wollten in Ihren Porträts zunehmend Brüche zeigen, während Selfies auf Instagram oft eine perfekte Scheinwelt erschaffen wollen?

Kubelka: Der große Unterschied ist, dass ich meine Bilder nie anderen zeigen wollte. Ich habe das für mich selbst gemacht. Das war wie ein nicht schmeichelhaftes Spiegelbild. Wenn ich die Bilder jetzt in dieser furchtbaren Gesamtheit sehe, erleichtert mir das Älterwerden ungeheuer. Ich kränke mich selbst, um mich nicht mehr zu kränken. (lacht)

STANDARD: Haben Sie damit einen feministischen Ansatz verfolgt?

Kubelka: Das wird immer so gesehen, mittlerweile glaube ich es auch schon selbst. Ich habe mich nie als Feministin gesehen. Als ich den Feminismus Mitte der 70er-Jahre an der Westküste in den USA kennengelernt habe, habe ich diese Feindschaft gegenüber Männern nicht verstanden. Natürlich mag ich die Ungerechtigkeiten nicht, aber diese andere Hälfte der Gesellschaft mag ich. Die Feministinnen können sehr grob sein, wenn man nicht ihre Haltungen einnimmt. Dass aber meine Arbeit feministisch ist, kann ich nicht abstreiten. Das ist eindeutig.

STANDARD: Aber es ging um Ihren Körper als weiblichen Körper, oder?

Kubelka: Ja, da haben sogar die Feministinnen mit feindlichen Bemerkungen geholfen: Nämlich dass es nicht nur den männlichen Blick gibt, sondern auch einen anderen. In den 50 Jahren meiner künstlerischen Laufbahn habe ich dann meinen eigenen Blick auf den weiblichen Körper entwickelt.

STANDARD: Heute hat fast jeder Mensch Zugriff auf eine Kamera und kann – rein technisch – fotografieren. Was bedeutet diese Entwicklung für die künstlerische Fotografie?

Kubelka: Sehr viel! Denn unter diesen vielen Menschen, die fotografieren können, gibt es manche, die nicht nur abdrücken und Schmollmünder machen. Das freut mich ungeheuer. Die schöpferische Kraft wohnt in jedem Menschen, nur bei vielen ist sie verschüttet. Das ändert sich jetzt.

STANDARD: Oft entsteht dadurch aber auch ein Unverständnis nach dem Motto: Das kann ich doch auch. Ist das nicht problematisch?

Kubelka: Das gab es immer schon in der Kunst, beispielsweise bei der Malerei. Diejenigen, die die Abstraktion nicht verstanden haben, haben gesagt, dass sie das auch können. Im Großen und Ganzen ist das Fotografieren aber sozialer geworden. Früher hat man kaum eine Frau mit einem Fotoapparat auf der Straße gesehen – ich war eine Ausnahme. Mit 13 Jahren hatte ich schon eine Boxkamera. (Katharina Rustler, 17.10.2020)