"Seit 2008 leite ich die Rechtsabteilung der Borealis AG, eines internationalen Chemie- und Kunststoffkonzerns. Nach meinem Jusstudium war ich zehn Jahre in verschiedenen Anwaltskanzleien in Österreich, Deutschland, Großbritannien und Slowenien tätig. Die juristische Arbeit hat mir viel Spaß gemacht. Jedoch wird man als Juristin in einer Anwaltskanzlei in der Regel erst dann hinzugezogen, wenn die Strategie bereits steht und es hauptsächlich um die Implementierung geht. Mich hat aber schon immer interessiert, ein Teil des Ganzen zu sein. Deshalb bin ich auch 2006 in ein amerikanisches Unternehmen gewechselt und war dort zwei Jahre als European Council tätig, bevor ich 2008 zu Borealis gewechselt bin.

Katja Tautscher (48) leitet seit 2008 die Rechtsabteilung des Chemie- und Kunststoffherstellers Borealis.
Foto: Borealis

Hier bin ich nun aktiv in die Strategieentwicklung und deren Umsetzung eingebunden und kann direkt daran mitarbeiten, das Unternehmen voranzubringen. Wobei mir wichtig ist, dass wir uns nicht als Rechtsabteilung im klassischen Sinn verstehen, sondern als Business-Enabler. Wir arbeiten eng mit der Geschäftsführung und den Geschäftsbereichen zusammen und werden nicht – wie sonst oft üblich – erst beim letzten Schritt, wenn alles andere schon steht, hinzugezogen.

Borealis ist ein für österreichische Verhältnisse untypisches Unternehmen: Ursprünglich ein europäischer Konzern, sind wir über unsere Joint Ventures weltweit tätig, so zum Beispiel über das Joint Venture Borouge in Abu Dhabi und Singapur und über das Joint Venture Baystar in den USA. Unsere Arbeit gestaltet sich entsprechend international, die Rechtsabteilung ist ab dem ersten Schritt eingebunden: bei der Gründung, den Verhandlungen mit Partnern, Lieferanten, Kunden, der Governance, wenn das Joint Venture läuft.

Internationales Team

Die Rechtsabteilung hat 25 Mitarbeiter, die auf mehrere europäische Länder verteilt sind – Finnland, Schweden, Belgien und Österreich. Wir betreuen die gesamten rechtlichen Aspekte in allen Ländern, in denen Borealis tätig ist, von A wie Akquisitionen und Arbeitsrecht bis Z wie Lösung von Zwistigkeiten. Wir haben sehr viel rechtliche Expertise im Unternehmen und holen uns Unterstützung von Anwaltskanzleien, wenn es um wirkliche Spezialthemen geht oder wenn wir es kapazitätsmäßig einfach nicht schaffen.

Uns ist es auch wichtig, dass wir für die Kerntätigkeiten der Borealis, beispielsweise alles, was Innovation und Patente betrifft, oder den Schutz unseres geistigen Eigentums, alles inhouse machen können. Die Zusammenarbeit im internationalen Team funktioniert sehr gut, weil meine Kolleginnen und Kollegen sehr autonom arbeiten und sich auch primär als Unterstützer des jeweiligen Business sehen. Wir haben zwei wöchentliche Calls, jetzt auch verstärkt Videokonferenzen. Es funktioniert eigentlich sehr gut, vielleicht auch, weil Juristen an sich Einzelkämpfer sind.

Trotzdem ist es wichtig, auf mehreren Ebenen Kontakt zu halten. Auf der fachlichen Ebene, aber eben mit genügend Autonomie – ich würde mich zerreißen, wenn ich mir jeden Vertrag anschauen würde. Ich muss aber auch zur Verfügung stehen, wenn etwas ist, das auch über das Berufliche hinausgehen kann. Wenn zum Beispiel das Kind einer Mitarbeiterin krank ist und sie die nächsten drei Wochen von zu Hause arbeiten muss, weiß ich das auch.

Stellung als Frau

Wir arbeiten generell sehr international, viel auch im arabischen Raum. Und da gibt es immer wieder das Vorurteil, dass man als Frau dort nichts gelte. Das kann ich jedenfalls nicht bestätigen, im Gegenteil, ich werde immer mit sehr viel Respekt behandelt. Es ist aber kein klassischer Nine-to-five-Job. In der Vergangenheit, vor Corona, bin ich auch viel in unsere Tochterunternehmen oder Joint Ventures oder zu Verhandlungen gereist. Aber Borealis ist ein sehr flexibles Unternehmen, und der Job lässt sich gut mit dem Familienleben verbinden.

Dennoch ist es etwas anderes ob man in einem Industriebetrieb oder in einem Kosmetikkonzern als Juristin arbeitet. Die Haut darf nicht zu dünn sein, man muss schon aufpassen, dass man gehört wird und dass einem nicht die klassischen Frauenattribute, wie man sei zu emotional, zugeschrieben werden. Ich bekomme manchmal das Feedback, dass ich burschikos sei, nur weil ich dieselben Regeln einfordere, die auch bei männlichen Kollegen gelten, wie sich nicht unterbrechen zu lassen, aber damit lebe ich sehr gut." (Gudrun Ostermann, 20.10.2020)