Gabriele Jüly, Chefin des gleichnamigen Entsorgungsunternehmens in Bruck an der Leitha (NÖ), weiß sich in einer Männerwelt durchzusetzen.

Foto: andy urban

Sie ist Exotin in einer Branche, die wie kaum eine andere männerdominiert ist. Gabriele Jüly empfängt in ihrem Büro im Gewerbegebiet von Bruck/Leitha (NÖ). "Ein Kilometer Luftlinie von hier hat vor 65 Jahren mit einem Güllefass zur Senkgrubenentleerung alles begonnen", sagt sie. Jüly führt das Unternehmen, das durchgehend in Frauenhand war, in dritter Generation. Die Expansion geht auf ihr Konto: Mulden- und Containerdienst, Müllabfuhr, Kanalreinigung. Geld wird auch mit Aufräumarbeiten verdient, etwa nach einem Philharmonikerkonzert in Schönbrunn oder der ORF-Starnacht. Außer heuer. Corona-bedingt fanden viele Events nicht statt. Kleiner Trost: Abfallservice Jüly wurde kürzlich als familienfreundlichster Betrieb Niederösterreichs ausgezeichnet.

STANDARD: Sie lassen täglich frisch kochen – Suppe, Hauptspeise, Nachtisch –, dazu gibt es Gratismineralwasser und andere Getränke. Mitarbeiter können sich auch an Obstkörben bedienen. Was ist der Grund?

Jüly: Unsere Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen, das kommt vielfach zurück. Während andere Unternehmen von der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf nur reden, praktizieren wir das. Etwa 40 Prozent der Belegschaft sind Frauen. Wenn es ein Problem mit Schulkindern gibt, ein Arztbesuch ansteht oder ein anderer familiärer Engpass entsteht, findet sich immer eine Lösung. Man muß sich nur bemühen.

STANDARD: Sie hatten Kurzarbeit?

Jüly: Wir haben für April, Mai und Juni Kurzarbeit angemeldet, haben aber schon währenddessen gesagt, wir können die kritische Phase mit Abbau von Überstunden und Urlaub durchtauchen. Die Mitarbeiter waren voll einverstanden damit. Sie haben gesagt, wir machen alles, Chefin, Hauptsache der Betrieb läuft weiter.

Corona ging auch an Abfallservice Jüly nicht spurlos vorbei. "Die Müllabfuhr ist zum Glück ein stabilisierender Faktor, die wird auch in der Krise gebraucht," sagt Firmenchefin Gabriele Jüly.
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STANDARD: Sie sind doch Teil der kritischen Infrastruktur?

Jüly: Ja, und unsere Mitarbeiter gehören zu den Helden des Alltags. Aber es nützt nichts, wenn Industrie und Gewerbe Jobs abbauen, die Bauwirtschaft und das Baunebengewerbe weniger Aufträge haben und Veranstaltungen gestrichen werden. Das alles sind Betriebe und Wirtschaftszweige, die lückenlos entsorgt werden müssen und wo plötzlich nichts mehr oder nur noch wenig geht. Die Müllabfuhr ist zum Glück ein stabilisierender Faktor, die wird auch in der Krise gebraucht.

STANDARD: Wo sind die Probleme besonders groß?

Jüly: Im Tourismus. Die Speiserestetour in Wien ist praktisch tot. Die Hotels sind nicht ausgelastet, viele haben gar nicht erst aufgesperrt. Wir müssen versuchen, Mitarbeiter, die diese Tour machen, anderswo im Betrieb unterzubringen. Aber auch die Weihnachtsfeiern fallen heuer flach, weil sich die Betriebe wegen Corona nicht trauen.

STANDARD: Trauen mussten aber Sie sich, nämlich den Einstieg in diese spezielle Branche. Wie ist es Ihnen gelungen, sich in einem so männerdominierten Bereich zu behaupten?

Jüly: Als Frau wirst du schwer akzeptiert, das lässt sich nicht abstreiten. Als ich begonnen habe, war es mühsam und unangenehm, und es hat mir auch nicht immer Freude bereitet. Das ist inzwischen Gott sei Dank anders.

STANDARD: Was ist passiert?

Jüly: Ich habe mir durch harte, konsequente Arbeit Respekt verschafft. Die beste Auszeichnung ist wohl die, dass man mich zur Präsidentin des Branchenverbands VOEB (Verband Österreichischer Entsorgungsbetriebe; Anm.) gewählt hat. Es gibt viele Männer, die zum Teil länger als ich in der Branche sind. Den VOEB-Mitgliedern war offenbar wichtig, dass es jemand macht, der gut vernetzt ist, reden kann, kompetent ist und außerdem viele Bereiche abdeckt. Das freut mich.

STANDARD: Als Chefin eines Entsorgungsbetriebs leben Sie von dem, was andere Leute weggeben, man könnte auch sagen, wegschmeißen. Wie geht es Ihnen damit?

Jüly: Das war am Anfang eine der größten Herausforderungen für mich. Ich vergleiche das mit einem Zahnarzt, der eine Wurzelbehandlung verkaufen muss. Auch wir müssen Dinge vermarkten, die eigentlich niemand so wirklich haben will. Dennoch: Abfall ist eine wichtige Ressource.

STANDARD: Einiges wird zurzeit heiß diskutiert, darunter das Einwegpfand bei PET-Flaschen. Wie stehen Sie dazu?

Jüly: Ich glaube, wir vergeuden unsere Kraft für einen kleinen Teilbereich, und das große Ganze droht dabei auf der Strecke zu bleiben.

STANDARD: Als da wäre?

Jüly: Bis 2025 müssen wir laut EU-Vorgaben das Recycling von allen Kunststoffabfällen mehr als verdoppeln, von derzeit 25 Prozent auf dann 55 Prozent. Die PET-Flaschen, für die eine Pfandlösung im Raum steht, sind ein Teil davon, aber nur ein ganz kleiner. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im nächsten Jahr rund eine Million Tonnen Kunststoffe in Österreich haben, dann machen die PET-Flaschen gerade einmal 0,5 Prozent aus.

STANDARD: Andererseits sollen aber im Jahr 2030 laut EU-Verordnung neun von zehn in Verkehr gebrachten PET-Flaschen gesammelt und recycelt werden. Mit der getrennten Sammlung, wie sie heute praktiziert wird, liegen wir deutlich darunter.

Jüly: Derzeit kommen wir in Österreich auf etwa 73 Prozent; als Zwischenschritt bis 2030 müssen wir 2025 zunächst 77 Prozent erreichen. Wenn wir uns ein bisschen bemühen, schaffen wir das mit links, ganz ohne Pfand. Dann bleibt immer noch Zeit, die Sammlung insbesondere in Wien zu verbessern, wo viele PET-Flaschen aus welchen Gründen immer derzeit im Restmüll landen. Ich kann doch nicht sechs Millionen Österreicher in Geiselhaft nehmen, nur weil es in einer Großstadt nicht funktioniert.

STANDARD: Sollte das Pfand doch kommen, würde sich das System dann verteuern?

Jüly: Ja, nicht nur für Handel, Industrie und Konsumenten, auch für die Entsorgungswirtschaft würde es teurer werden. Der Grund sind höhere Sortierkosten. Aber egal wie die PET-Flaschen letztlich gesammelt werden – wir brauchen möglichst schnell Rechtssicherheit. Niemand steckt 50 Millionen Euro in eine hochmoderne Kunststoffsortieranlage, wenn unklar ist, ob sich die rechtliche Situation in zwei, drei Jahren nicht wieder ändert.

STANDARD: Was sich im Müll findet, ist gewissermaßen immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Was findet sich zurzeit in den gelben Säcken?

Jüly: Leider noch immer zu viele Wertstoffe. Ein viel größeres Problem als die PET-Flaschen sind die Lithiumbatterien. Jedes Jahr landen an die 1,4 Millionen Stück davon im Restmüll – Tendenz steigend. Die fangen irrsinnig schnell und leicht zu brennen an. Da wäre ein Pfandsystem wünschenswert, um die ordnungsgemäße Trennung im Haushalt zu forcieren.

STANDARD: Woran liegt es, dass so viele Batterien im Restmüll landen?

Jüly: Einerseits weil die Leute es oft nicht besser wissen und andererseits weil die fachgerechte Entsorgung für manche anscheinend mit zu viel Aufwand verbunden ist. Da könnte Österreich mit einer passenden Lösung Vorreiter sein.

STANDARD: Wie schaut es mit E-Bikes aus?

Jüly: Das ist das Nächste, was uns Kopfzerbrechen bereitet. Inzwischen gibt es ja schon Akkus, die im Stahlrahmen verbaut sind. Wenn so etwas in die Schredderanlage kommt – dann frage nicht. Es haben schon Fahrradgeschäfte zu brennen begonnen.

Gabriele Jüly glaubt an den großen Aufschwung, wenn die Coronakrise vielleicht schon nächsten Sommer überstanden sein wird.
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STANDARD: Hat sich das Entsorgungsverhalten der Bevölkerung in Zeiten von Corona merklich verändert?

Jüly: Die Leute haben sehr viel mehr ausgemistet. Wir hatten in den ersten Wochen des Lockdowns einen um fünf bis zehn Prozent höheren Anfall bei der privaten Müllabfuhr in Österreich. Diese Spitze hat sich inzwischen wieder verflacht.

STANDARD: Wir befinden uns in der schwersten Wirtschaftskrise seit mehr als 70 Jahren; die Regierung hat versprochen – koste es, was es wolle –, die Unternehmen durchzutragen und damit letztlich Arbeitsplätze zu erhalten. Wie beurteilen Sie die mittelfristigen Aussichten?

Jüly: Kommendes Jahr wird meiner Ansicht nach noch schwierig. Wenn eine Impfung, die anspricht, gefunden wird und die Krise dann vielleicht im Sommer vorbei ist, wird es aber einen massiven Aufschwung geben. Davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Was macht Sie so sicher?

Jüly: Die Leute haben doch viele Entbehrungen, sind verunsichert und können weniger feiern oder auf Urlaub fahren. Diesen Nachholbedarf wird man nicht nur im Tourismus und in der Gastronomie spüren, sondern in allen Branchen. Der positive Wirtschaftsaufschwung wird so massiv kommen und einschlagen, wie das Corona-Virus uns im März überrascht hat.

(Günther Strobl, 17.10.2020)