Ein innig verbundenes Paar, von dem niemand weiß: Martine Chevallier und Barbara Sukowa in "Wir beide".

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Die Wohnungen liegen genau gegenüber, aber ginge es nach den beiden Bewohnerinnen, bräuchte es die beiden Türen dazwischen gar nicht. Nina und Madeleine, zwei Frauen in gesetztem Alter, sind seit Jahrzehnten ein Paar. Zwischen ihnen herrscht die zärtliche Vertrautheit einer langen Liebe, die man in jeder Geste entdecken kann. Doch immer dann, wenn Besuch kommt, und sei es Madeleines eigene Tochter Anne (Léa Drucker), wird aus Nina wieder die Nachbarin – eine gute Freundin von nebenan, nicht mehr.

Wir beide, der Debütfilm von Filippo Meneghetti, erzählt von einer Beziehung, die von der Außenwelt geheimgehalten wurde. Ein Doppelleben – ein "jeu de façade" nennt es der Regisseur –, das aus der Not sozialer Konformität heraus entstanden ist und das mittlerweile schon zu lange währt, um ihm ein Ende zu setzen.

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Zu groß ist die Angst, dass in der Kleinstadt irgendwo im Süden Frankreichs keine Aufgeschlossenheit für diese ungewöhnliche Liaison herrscht; Madeleines Familie hält einfach am Bild der verwitweten Mutter fest, deshalb, weil dieser stets der Mut fehlte, aus ihrer Rolle herauszutreten und ihr anderes Ich zu offenbaren. Bei einer Geburtstagsfeier will sie das Geheimnis endlich lüften, und ein paar Sekunden steht der Film gespannt still, doch sie bringt es nicht übers Herz, scheitert an sich selbst.

Meneghettis Film beginnt als dem Realismus verpflichtetes Kammerspiel, getragen von der Erfahrung und Intensität zweier großartiger und völlig konträrer Darstellerinnen. Barbara Sukowa, bekannt für ihre historischen Frauenfiguren in Filmen von Margarethe von Trotta, ist die impulsive Nina, die ursprünglich aus Deutschland kommt.

Zögern und ausweichen

Weil sie im provinziellen Frankreich keine Wurzeln hat, macht sie Druck, will eine Entscheidung, um als Paar nach Rom zu ziehen: Martine Chevallier, eine Institution der Comédie-Française, streut Madeleines Zurückhaltung in Andeutungen aus, ein impressionistisches Spiel des Zögerns und Ausweichens, in dem man schon ihre Gefangenschaft erkennt, die der Film dann mit einem überraschenden Coup ins Körperliche übersetzt.

Chevallier zollt Meneghetti große Bewunderung, sie nennt ihn sogar einen "artiste fou", weil er ihren Part gleich in mehreren Fassungen, mit leichten Abstufungen gedreht hat. Er selbst, ein nahe Padua geborener Italiener, der in Frankreich arbeitet, spricht davon, dass er – so nennt man das in Paris im Filmerjargon – den Realismus in die Emotion hinüberziehen wollte. "Es ist schließlich Kino, es soll nicht mit dem Leben verwechselt werden. Ich genieße es unglaublich, mit meinen Mitteln etwas ganz Eigenes zu erschaffen, einen Raum, der das Publikum sensibilisiert, bis die imaginäre Maschine anspringt."

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Regisseur Filippo Meneghetti
Foto: AP

Für Wir beide bedeutet dieses Anwerfen auch ein Spiel mit den artifizielleren Möglichkeiten des Mediums, was dem Film eher die Eigenart eines Psychothrillers als die eines Melodrams verleiht, ohne dass er tatsächlich in diesem Genre aufgehen muss. Mit Einstellungen, die wie bei David Lynch eine Spur zu lang sind, und Großaufnahmen, die Raum für Spekulationen lassen, bricht er den engen Raum der Wohnung auf oder verwandelt ihn in eine Bühne für die Erinnerung des Paares, mit einer Italo-Pop-Variante von Peggy Marchs I Will FollowHim als sentimentalem Leitmotiv.

Als sich Nina plötzlich nicht mehr in der Lage sieht, einfach zu Madeleine hinüberzugehen, weil diese nach einem Schlaganfall von einer sauertöpfischen Pflegerin (Muriel Bénazéraf) betreut wird, wirkt sie zuerst ruhelos, dann rasend, entwickelt schließlich manipulative Fähigkeiten, fast so wie bei einem Part von Glenn Close.

Sukowas Energie

Meneghetti hat seine Schauspielerinnen früh umworben, der Film war noch nicht einmal ausfinanziert, das gab ihm auch die Möglichkeiten, sie stärker in die Figuren hineinwirken zu lassen: "Sukowas Energie hat Nina zweifellos weiterentwickelt. Der Film ist wie ein Spiegel aufgebaut, symmetrisch – im ersten Teil ist Madeleine die Hochstaplerin, im zweiten muss Nina die Hochstapelei weiterführen."

Meneghettis raffiniertes Spiel mit den Versatzstücken des Thrillers läuft nicht ins Leere, denn die tiefe Verbundenheit des Paars, die alles motiviert, verliert er nicht aus den Augen – Deux, einfach nur "Zwei", der Originaltitel des Films, verweist schon auf die Bedingungslosigkeit dieser Konstellation. Er selbst sagt, er wollte den Blick der anderen thematisieren, der unser Selbst mitdefiniert. Wer hätte vermutet, dass dieses Drama über Rollen, aus denen man nicht mehr so leicht herausfindet, wenn man sie zu lange lebt, gleich für mehrere Filme in einem reicht. (Dominik Kamalzadeh, 17.10.2020)