Eine mögliche Koalition SPÖ/Neos ist die neue heiße Story in der innenpolitischen (Medien-)Szene. In Hintergrundgesprächen der Rathaus-SPÖ werden Journalisten auf diese Möglichkeit hingewiesen, ein Wiener SPÖ-Funktionär aus der zweiten und dritten Reihe tritt freiwillig vor das Mikrofon, um den Frust über den bisherigen Koalitionspartner Grün (und dessen Chefin Birgit Hebein) geradezu überdeutlich rauszulassen – bzw. die Neos als interessante neue Möglichkeit hochzuloben.

Stellvertretend dafür der Leopoldstädter SPÖ-Bezirksvorsteher Alexander Nikolai: "Die Grünen haben sich einfach nicht an Koalitionsvereinbarungen gehalten." Und: "Wenn es jetzt gelingt, dass sich die SPÖ neu orientieren kann, kann mit Rot-Pink eine echte Ära von Michael Ludwig beginnen."

Auffällig dabei ist, wie sehr der Überdruss an den Grünen herausgestrichen wird – und wie relativ wenig das, was die Neos für die Zukunft Wiens beitragen könnten. Aber was wäre das?

Was könnten Christoph Wiederkehr und die Neos für die Zukunft Wiens beitragen?
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Die Neos sind auf den ersten Blick ziemlich genau das politische Gegenteil der Wiener SPÖ. Diese steht für öffentliches Eigentum (Gemeindewohnungen, kommunale Wirtschaftsbetriebe), für massiv ausgebaute Sozialeinrichtungen, für ein dichtes Netz an Funktionären. Und für intensive Zusammenarbeit mit der Wiener Wirtschaftskammer.

Die Neos sind bürgerlich-liberal, setzen auf selbstständiges Unternehmertum, Deregulierung, auch Privatisierung, bei aller Anerkennung der Leistungen des Sozialstaats auf Förderung von Leistungswilligen, und sie rebellieren gegen die Wirtschaftskammer. Man hat die Neos "neoliberal" genannt, was sie in diesem abwertenden Sinn nicht sind. Ihre Gründer haben die ÖVP verlassen, weil ihnen die sowohl wirtschaftspolitisch wie gesellschaftspolitisch zu wenig liberal war.

Humanität

In diesem letzten Punkt haben sich die Wege von ÖVP und Neos in letzter Zeit besonders scharf getrennt: Was Sebastian Kurz an Ausländerfeindlichkeit anzubieten hat, empört Beate Meinl-Reisinger und den Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn sowohl aus humanitären wie aus praktischen Gründen (Abschiebung von dringend benötigten Lehrlingen). Dazu kommt, dass die Neos-Abgeordnete Steffie Krisper im Ibiza-Ausschuss erbarmungslos die türkis-blauen Postenschachereien aufdeckt.

Die Neos haben die krasseren Privatisierungsideen (Wasser) zurückgefahren und in Sachen Migration einen humanitär-vernünftigen Kurs verfolgt. Ihr Hauptthema ist die Bildung, also hauptsächlich Schulen. Da besteht tatsächlich riesiger Handlungsbedarf, wenn man die bekannten Probleme ("Migrationshintergrund") bedenkt. Ob die SPÖ dieses Ressort hergibt, ist die Frage – und ob ein(e) Newcomer(in) der Neos da eine Chance gegen die Lehrergewerkschaft hätte.

Generell ist aber von den Neos, die ziemlich viele Freiberufler und Selbstständige in ihren Reihen haben, ein anderer, überlegterer Managementstil als von den Grünen zu erwarten. Das Problem der Grünen und vor allem von Hebein ist die Sprunghaftigkeit und Unüberlegtheit, mit der sie an Probleme herangehen: Stichwort "Pop-up".

Der Verdacht besteht, dass Bürgermeister Ludwig und seine Funktionäre die Neos benutzen, um die Grünen weichzuklopfen und Hebein aus dem Verkehrsressort wegzukriegen. Wenn Ludwig es aber halbwegs ernst meint, dann sollten die Neos mit einem klaren Konzept in die Verhandlungen gehen, um die Chance nutzen zu können. Sie müssten noch deutlicher machen, was sie für Wien tun können. (Hans Rauscher, 17.10.2020)