Extremismusforscherin Julia Ebner beobachtet QAnon.

Foto: Suhrkamp

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: AP Photo/Matt Rourke

Sie ist Online-Extremismus-Beraterin von Uno, Nato und Weltbank. Für ihr Buch Radikalisierungsmaschinen (Suhrkamp) schleuste sich die Österreicherin Julia Ebner offline wie online bei Extremisten wie dem "Islamischen Staat", den Identitären, der Alt-Right, christlichen Fundamentalisten und auch QAnon ein. Dem STANDARD erklärt sie, wie sie die Entwicklung letzterer Gruppe beobachtet und einschätzt.

STANDARD: QAnon erlangt immer mehr Einfluss auf die Bewegung der Corona-Skeptiker – genau wie Rechtsextreme. Beide haben nicht erst jetzt zueinandergefunden, oder?

Ebner: Es war von Anfang an so, dass sehr viele rechtsextreme Kanäle sehr viel zu QAnon geteilt haben. Schon vor der Corona-Pandemie, aber es hat seit dem Beginn von Corona sehr zugenommen.

STANDARD: Die Verschwörungstheorie kommt aus den USA.

Ebner: Ja, QAnon kommt ja aus dem sehr rechten Lager der Trump-Anhänger, weil ja auch Demokraten das Feindbild sind. Die Gruppe war anfangs auch nicht so international. Pizzagate ist die Vorgängertheorie von QAnon, die bereits behauptete, dass die Clintons im Untergrund von Washington, D. C., Pädophilienetzwerke betreiben. Viele der Onlinenetzwerke von den Pizzagate-Verschwörungstheoretikern wurden dann von QAnon weiter ausgebaut.

Bild nicht mehr verfügbar.

QAnon-Anhänger bei einer Trump-Rally in Wilkes-Barre, Pennsylvania im Jahr 2018.
Foto: AP Photo/Matt Rourke

STANDARD: Wie viele Anhänger gibt es aktuell in Österreich und weltweit?

Ebner: Es sind derzeit über 100.000 Mitglieder in den deutschsprachigen Kanälen des Messengers Telegram und laut einer Recherche des Guardian 4,5 Millionen weltweit. Viele von den deutschsprachigen Gruppen haben einen Bezug zu Österreich. Man hat es auch in Wien gesehen: Auf den Demos der Corona-Skeptiker waren genau dieselben Slogans zu lesen wie bei QAnon-Anhängern in den USA.

STANDARD: Mit einem Posting des geheimnisvollen Q hat 2017 alles angefangen. Sie waren schon ganz früh undercover im Austausch mit den Anhängern, den Anons.

Ebner: Ja, schon vor zweieinhalb Jahren. Damals war das tatsächlich noch ein Randphänomen. Schon damals war das Ganze sehr rechts, die Anons waren gegen das Establishment, aber es waren auch noch Linke dabei. Die Theorie von QAnon wurde mittlerweile immer komplexer. Q ist ein anonymer Account, der seine Infos, die Q-Drops, auf dem Imageboard 4Chan hinterlassen hat.

STANDARD: Stimmt es, dass der Beginn nur ein Scherz war?

Ebner: Das ist nicht bewiesen, aber es gib Hinweise, dass es sogar ein Scherz von linker Seite war. Auf 4Chan gibt es auch andere solche Beispiele von Verschwörungstheorien, die aus einem Prank heraus entstanden sind. Es ist aber bei QAnon nicht belegt.

STANDARD: Gibt es Hierarchien in der Gruppe?

Ebner: Auf der Gamingplattform Discord gibt es hierarchische Strukturen mit Bereichsleitern und dem Q-Office, wo Infos in Archiven abgelegt werden. Aber mittlerweile ist es so international geworden, dass es auch lokal komplett unterschiedliche Offices gibt.

STANDARD: QAnon-Fans glauben, dass ein Netzwerk Kinder foltert und dabei ein Elixier für die Kosmetikindustrie gewinnt. Was steht sonst auf dem Menü der Verschwörungstheorien?

Ebner: Es gibt mittlerweile so viele Untertheorien, dass die sich gegenseitig immer wieder widersprechen. Das geht von Aliens und der Nasa bis nach Hollywood und damit zu den Künstlern, weiter sagt man, der Holocaust habe nicht stattgefunden. Das alles sei Teil einer großen Verschwörung. Sie versuchen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu erklären. Alte Verschwörungstheorien werden einfach eingebaut: zum Tod von Kennedy oder Prinzessin Diana. Anhänger von bestehenden Theorien haben auch die Verschwörung über 9/11 (dass die USA den Angriff selbst organisiert hätten, Anm.) an Bord geholt.

STANDARD: Wie macht man sich denn verdächtig?

Ebner: Wer widerspricht, gilt als ignorant – oder wenn man mächtig oder bekannt ist, selbst als Teil der Verschwörung. Es reicht, wenn man gemeinsam auf einem Foto ist. Etwa Angela Merkel und Bill Gates. Es ist nicht überraschend, dass die beiden sich schon einmal über den Weg gelaufen sind. Aber so ein Foto reicht für eine Verschwörung.

STANDARD: Wie darf man sich den Alltag der Anons vorstellen?

Ebner: Es ist fast wie ein Assoziationsspiel, bei dem man aktiv nach irgendwelchen kryptischen Hinweisen sucht. Etwa eben in einem Foto oder wenn irgendwas mit denselben Buchstaben beginnt, dann ist das sofort Teil der Verschwörungstheorie. Es ist auch wirklich aufgebaut wie ein interaktives Detektivspiel, wie ein Roman von Dan Brown. Es hat mich von Anfang an fasziniert, wie strukturiert das aufgebaut war. Teilweise auch News-Meldungen aus verlässlichen Medien, das wurde so gut archiviert mit so viel Leidenschaft, als ob sie Spaß daran hätten, ein Puzzle zu lösen. Die einzelnen Puzzleteile nennen sich Breadcrumbs. Was besonders ist: Es zieht eine ganz diverse Gruppe von Menschen an, viele sind im Alter von 40 oder 50 plus.

STANDARD: Wie haben Sie das undercover erlebt? Glaubt da jeder alles, also zum Beispiel auch die Theorie, dass als Menschen verkleidete Reptilien die Erde regieren?

Ebner: Nicht alle. Als man Fragen an Q stellen konnte, gab es Streit, weil doch nicht alle an die ganz absurden Theorien glauben. Etwa daran, dass die Erde eine Scheibe ist. Da sagten viele: "Na, was schreibst du da?"

STANDARD: Was war Ihre Aufgabe in der Gruppe?

Ebner: Ich habe zuerst nur still zugehört. Sie haben mir sofort eine Rolle zugeteilt und gefragt, welche Themen mich besonders interessieren: Wettermanipulation, Pädophilie, Aliens, Satanismus.

STANDARD: Da ist ja quasi für jeden etwas dabei. Was haben Sie gewählt?

Ebner: Wettermanipulation. Da gibt es schon viele bestehende alte Verschwörungstheorien.

STANDARD: Woher nehmen diese Leute die Zeit dafür?

Ebner: Das Ganze ist so weit von der Realität entfernt, dass es auch beruhigend sein kann, dieses Spiel zu spielen. Seit Corona gibt es auch wirklich viele Besorgte, die nicht wissen, wie sie mit der Krise umgehen sollen. Auch die Langeweile in Lockdown-Zeiten hat viele mit Begeisterung hineingezogen.

STANDARD: Wie reagiert man im persönlichen Umfeld, wenn jemand in solche Welten abdriftet?

Ebner: Mit Fakten kommt man leider nicht weit bei Verschwörungstheoretikern. Es ist daher wichtig, zuerst eine emotionale Brücke zu bauen und herauszufinden, welchen psychologischen Zweck die Verschwörungstheorie erfüllt. Viele Menschen driften in Verschwörungstheoretikerkreise ab, wenn sie eigentlich Antworten auf persönliche Fragen suchen.

STANDARD: Da werden also auch Unsicherheiten ausgenutzt, wie bei Sekten. Aber wer nutzt sie hier aus?

Ebner: Rechte Gruppen versuchen jedenfalls sehr gezielt, die Bewegung zu kapern, auch die Reichsbürgerszene und jene, die den Staat nicht akzeptieren. Denn viele Verschwörungstheorien sind gegen Migranten, Minderheiten, Menschen in Medien, also passt das gut zur Agenda der Rechtsextremen.

STANDARD: Der amerikanische Präsident flirtet gezielt mit QAnon.

Ebner: Sie glauben, dass er eine Investigation gegen Pädophilie durchführt, dass das in Wahrheit die Mueller-Investigation war. In Wirklichkeit profitieren beide voneinander. Trump von ihnen, sie von ihm. Er hat gesagt: "Sie lieben Amerika, sie lieben mich." Er wird diese Gruppe nicht ins Negative ziehen, das hat eine ähnliche Dynamik wie damals mit der Alt-Right, die ihm sehr mit Memes im Wahlkampf geholfen hat. Das ist natürlich auch ein Problem für die Sicherheitsbehörden. Für das Einschätzen, welche Gefahr und welche Angriffsziele es gibt. Die haben so viele Feindbilder: Techfirmen, Pharmafirmen, Medien, den Kunstbereich, Hollywood und alle Demokraten.

STANDARD: Wie gefährlich waren sie bisher?

Ebner: Es gab einige geplante Attentate und Gewalttaten, die verhindert wurden, aber auch solche, die inspiriert wurden von QAnon. Der Attentäter von Hanau, der im Februar zehn Menschen erschoss, wurde als psychisch labil abgetan, aber er hatte auch Theorien in seinem Manifest, die eins zu eins so bei QAnon zu finden sind. Und auch die Briefbomben 2018 in den USA wurden von QAnon-Anhängern verschickt. 2019 brachte ein Amerikaner seinen Bruder um, weil er dachte, der sei ein Reptil.

STANDARD: Kann es nicht sein, dass sich die Gruppen aufgrund ihrer wirren Theorien bald erledigt haben?

Ebner: Nein, jetzt ist noch ein Anstieg von Mitgliedern und Aktivitäten zu erwarten. Vor allem, wenn dann die Impfstoffe kommen. Viele Impfgegner gehören auch zu QAnon. Das Einzige, was mir Hoffnung macht, ist, dass Facebook seine Kanäle für sie geschlossen hat. Sie sind ja jetzt vor allem auf den Kanälen von Telegram und Discord.

STANDARD: Nehmen die Behörden QAnon ernst genug?

Ebner: Immer ernster, aber sie haben es sehr lange vernachlässigt und in die Kategorie Verrückte geschoben. Sie haben da die Bedrohung nicht erkannt. Ein Fehler, der ja schon bei den Rechtsextremen gemacht wurde. (Colette M. Schmidt, 19.10.2020)