Pepijn Lijnders mit Chef Klopp.

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Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: DAS GEGENPRESSING

DER NEUE SPIELMACHER

Wie aus dem Ballverlust Tore werden

AUF DEN BALL

Gegenpressing im Nachwuchs

IN DER PRESSINGSCHULE

Das Umschaltspiel in der Trainerausbildung

Außerdem im neuen ballesterer:

KOMMANDOS AUS DER ABWEHR

David Alabas neue Rolle beim FC Bayern

ZWISCHEN GRÜNEM RIED UND ROTER ERDE

Ein Besuch beim Frauenteam des FC Dornbirn

ÜBERLEBENSGESCHICHTE

Leopold Stastny in der Slowakei

"WIR MÜSSEN LIEFERN"

Sportdirektor Schicker über Sturm neu

MOBILISIERUNG VOR DER WAHL

Knien gegen Rassismus in den USA

ROT UND WEISS auf den STRASSEN

Protestieren gegen Lukaschenko in Belarus

LOST GROUND LINDENSTADION

Ruine am Schlosspark

MELANCHOLISCHE ORTE

Verlassene Plätze im Weinviertel

102 TEAMS IN EINER LIGA

Spaniens dritte Spielklasse ist so groß wie nie

SCHMERZHAFTE ERKENNTNISSE

Das Rechercheprojekt Pillenkick über Medikamente

DIE GROSSE ILLUSION

Ein Anstoß zur Coronakrise

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Finnland, Italien, Slowenien und der Schweiz

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"Du bist nicht so gut, wie du in deinem letzten Spiel gezeigt hast, sondern so gut wie dein nächstes Spiel – denn das kannst du noch beeinflussen." Es sind einfache und einprägsame Sätze, die Pepijn Lijnders immer wieder sagt. Sie handeln von dem Wunsch, ständig besser zu werden. Doch das könnte für seine Mannschaft schwer werden, denn Liverpool hat in den letzten beiden Jahren die Champions League und die Premier League gewonnen. Viel mehr kann der Assistent von Jürgen Klopp im Fußball also nicht erreichen.

Ballesterer: Was bedeutet Ihnen der Premier-League-Titel?

Pepijn Lijnders: Endlich haben wir es geschafft, dieser Titel ist so wichtig für die Fans und die Stadt. Das ist unglaublich. Während der Saison ist wenig Zeit für Entspannung geblieben, du musst ständig konzentriert sein, um das nächste Spiel bestmöglich vorzubereiten. Jede Minute des Trainings muss gut sein. Es ist dann sehr erfüllend, wenn du siehst, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Das Team hat sich technisch und taktisch enorm entwickelt. Und jetzt haben wir die Premier League gewonnen – es kann nicht mehr besser werden.

Ballesterer: Sie sind vor zwei Jahren zum Klub gestoßen. Wie würden Sie die Entwicklung der Mannschaft seither beurteilen?

Lijnders: Das Team ist enorm gewachsen. Man kann die Mannschaft von heute nicht mit der von vor zwei Jahren vergleichen. Sie will immer besser werden. Wir setzen uns zum Beispiel das Ziel, beim nächsten Spiel ein noch besseres Gegenpressing zu betreiben. Auch unser Positionsspiel hat sich enorm verbessert. Den Titel verdanken wir diesem Commitment – sowohl im Training als auch bei der Spielvorbereitung.

Ballesterer: Wie schwierig wird es, den Titel in der Premier League zu verteidigen?

Lijnders: Wir müssen demütig bleiben, hart arbeiten und uns weiterentwickeln. Gleichzeitig können wir von unseren Erfahrungen aus der abgelaufenen Saison profitieren. Uns muss aber auch klar sein, dass wir uns alles neu verdienen müssen.

Ballesterer: Sprechen wir auch über den Gewinn der Champions League im Vorjahr. Da haben Sie sich schon vor den Halbfinalspielen genau auf ein mögliches Finale vorbereitet. Was waren Ihre Überlegungen?

Lijnders: Ich wollte für den Fall, dass wir das Finale erreichen, ein Testspiel organisieren. Andernfalls hätten wir drei Wochen ohne Match gehabt. Zudem sollte unser Testspielgegner unserem Finalgegner in Madrid ähneln. Die Grundidee war also ein Team zu finden, das sich für uns drei, vier Tage speziell auf diesen Spielstil vorbereiten würde.

Ballesterer: Nach dem Finaleinzug haben Sie den Plan durchziehen können. Wie ist das abgelaufen?

Lijnders: Wir haben die Zweitmannschaft von Benfica zu unserem Trainingslager in Marbella eingeladen. Vorher haben wir ihren Trainer Renato Paiva gebeten, seine Mannschaft wie Tottenham auftreten zu lassen – also in Bezug auf den Spielstil, die Laufwege und das Defensivverhalten. Das war alles streng geheim, wir haben sogar einen Sichtschutz aufbauen lassen, damit uns niemand beobachten kann. Das Spiel hat dann genau eine Woche vor dem Finale stattgefunden – und wir haben uns genauso vorbereitet wie am Finaltag.

Ballesterer: Das dürfte sich ausgezahlt haben. Liverpool hat Tottenham 2:0 besiegt, die Zweitmannschaft von Benfica 3:0. In beiden Spielen ist Ihr Team früh in Führung gegangen, und zwar auf die gleiche Art: Nach der Balleroberung im Mittelfeld ist sofort ein weiter Pass auf Sadio Mane geschlagen worden.

Lijnders: In beiden Situationen hat man klar erkennen können, wie wir uns positionieren, um das Spiel um den zweiten Ball zu gewinnen. Und dann muss es schnell gehen. Es geht sofort zu Sadio weiter, der den freien Raum hinter der Verteidigungslinie sucht.

Ballesterer: Wie arbeitet der Liverpool-Trainerstab im Alltag zusammen?

Lijnders: Jürgen Klopp ist der Anführer und das Gesicht des Teams. Er ist sehr innovativ und denkt ständig darüber nach, wie wir uns verbessern können. Peter Krawietz macht die Spielanalyse und bereitet die Videos vor, die wir den Spielern zeigen. Ich bin für den Trainingsprozess zuständig. Wir entscheiden gemeinsam, an welchen Aspekten wir arbeiten wollen, dann entwickle ich die passenden Übungen. Die Grundidee ist recht simpel: Es geht um das ständige Stimulieren unserer Mentalität, wir wollen den Ball so schnell und hoch wie möglich erobern. Das kommt in jeder Übung vor. Die Spieler sollen dadurch spontaner und kreativer werden.

Ballesterer: Im Jänner 2018 haben Sie Liverpool verlassen, um Cheftrainer von NEC zu werden. Nach sechs Monaten sind Sie zurückgekommen. Warum?

Lijnders: Jürgen hat mir den Posten als Co-Trainer angeboten. Er hat gesagt, dass wir gemeinsam für alles verantwortlich sein würden. Er war davon überzeugt, dass wir den Klub nach vorne bringen können. Ich habe sofort ein Bild in meinem Kopf gehabt, wie das funktionieren könnte. Damit war die Entscheidung im Grunde getroffen. Jürgen weiß genau, was er will, und kann dich direkt im Herzen berühren.

Ballesterer: Wie würden Sie den Stil von Liverpool charakterisieren?

Lijnders: Wir konzentrieren uns immer auf uns, wir attackieren mit Ball, aber speziell auch ohne Ball. Wir haben diese Einstellung über 95 Minuten. Wir wollen gegen jedes Team zu jedem Zeitpunkt dominieren. Wir wollen in der Hälfte unserer Gegner spielen, sie dort einschließen und unser Spiel auf vielfältige Weise aufbauen können. Wenn wir den Ball verlieren, müssen wir richtig aggressiv sein. Da braucht es eine sehr hohe Intensität. Wir wollen das gegen Barcelona auswärts genauso machen wie daheim. Einfach immer und überall.

Ballesterer: Wie trainieren Sie diese Einstellung?

Lijnders: Bei unserem Spiel geht es um Bewegung und Geschwindigkeit, dafür eignen sich verschiedene Pressingübungen, zum Beispiel das Fünf-gegen-zwei-Rondo. Fünf Spieler laufen die Seiten eines abgesteckten Bereichs entlang und passen sich den Ball zu, zwei Spieler in der Mitte versuchen, ihn abzufangen. Gelingt ihnen das innerhalb der ersten sechs Pässe, dürfen beide die Mitte verlassen. Gelingt es erst später, darf nur der hinaus, der den Ball erobert hat. Die Übung verbessert unser Gegenpressing, denn wir wollen den Spielaufbau der Gegner schon innerhalb der ersten Ballberührungen zerstören.

Ballesterer: In einer anderen Übung zählen Tore nur, wenn alle Spieler die Mittellinie überschritten haben. Was ist die Idee dahinter?

Lijnders: Die Mannschaft soll schnell vorrücken und bereit für das Gegenpressing sein. Das funktioniert nur, wenn die Abstände gering sind. Unsere Stärke liegt darin, dass wir immer eng zusammen stehen. Unser Spielstil ist also ein zentrales Element unserer Trainings, ich schaue mir aber auch unsere Gegner genau an, um mögliche Schwächen ausnutzen zu können. Das versuche ich in unsere Übungen einzubauen, ohne dass es die Spieler merken.

Ballesterer: Welche Botschaft wollen Sie Ihren Spielern im Training vermitteln?

Lijnders: Sie müssen die Bedeutung des Gegenpressings nicht nur verstehen, sondern fühlen. Nicht mit ihrem Verstand, sondern in ihrem Herzen. Wenn sie den Ball verlieren, müssen sie sofort voll da sein. In solchen Situationen werden Sie Jürgen, Pete oder mich schreien hören: "Hol ihn dir zurück! Gib nicht auf!" Würden Sie so etwas jemals in Manchester hören? Diese Kraft und diese Emotionen bestimmen unser Spiel. Intensität ist unsere Identität.

Ballesterer: Sie sind schon lange im Trainergeschäft, holen Sie sich in Ihren Übungen dennoch noch Anregungen von anderen?

Lijnders: Oft bringen mich die Spieler auf neue Ideen. Das Fünf-gegen-zwei-Rondo ist so ein Beispiel. Wir nennen es "Millys Rondo", weil mich James Milner dazu inspiriert hat. Er hat den Ball immer innerhalb der ersten Pässe abgefangen, damit hat er die Übung auf ein höheres Level gehoben. Ich habe mir dann eine Regel überlegt, um alle zu dieser Intensität zu motivieren. Deshalb habe ich die Belohnung für beide Spieler eingeführt, wenn sie schnell den Ball erobern.

Ballesterer: Es wirkt so, als gäbe es bei Liverpool eine starke Verbindung zwischen den Spielern und dem Trainerstab. Wie läuft das ab?

Lijnders: Es ist ganz einfach: Das Herz des Teams ist das Herz des Trainers. Es gibt keine stärkere Waffe als das eigene Vorbild. Wenn ich ein disziplinierter Trainer bin, muss ich die Spieler nicht disziplinieren. Jürgen ist die Mannschaft wirklich sehr wichtig. Die Spieler nehmen unsere Philosophie besser auf, wenn sie spüren, wie wichtig sie uns sind.

Ballesterer: Über welche Qualitäten verfügt Klopp als Trainer noch?

Lijnders: Du kannst eine Leitfigur sein, du kannst Trainingsprozesse verstehen, aber den richtigen Unterschied machst du dann aus, wenn du ein Spiel verändern kannst – und Jürgen kann das. Er hat eine genaue Vorstellung, wie er spielen will, kann sich aber in kürzester Zeit auf neue Situationen einstellen. Als wir letztes Jahr in Barcelona 0:3 verloren haben, hat Jürgen in der Kabine gesagt: "Die einzige Mannschaft auf der Welt, die so ein Ergebnis gegen Barcelona noch drehen kann, sind wir." Das hat die Mannschaft angetrieben. Jürgen löst Probleme, bevor sie überhaupt entstehen. Was Führungsqualitäten und Motivationsgabe betrifft, ist er einen der besten auf der Welt. (Arthur Renard, Übersetzung: Jakob Rosenberg, 19.10.2020)