Demonstrierende in Frankreich solidarisierten sich am Sonntag mit dem Geschichtslehrer Samuel Paty, der am Freitag auf offener Straße getötet worden war.

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Ein Slogan kehrt zurück. "Je suis Charlie", erklärte Premier Jean Castex, als er in Paris auf der Place de la République an einer stark besuchten Kundgebung – einer von vielen – teilnahm. Aus dem Menschenmeer ragten Plakate hervor wie "Die Schule weint, aber sie hat keine Angst". Oder ganz einfach "Je suis prof" – "Ich bin Lehrer".

Denn ein Lehrer war es, der am Freitag in Conflans-Sainte-Honorine nach der Schule auf offener Straße getötet worden war. Ein Attentäter schnitt ihm die Kehle durch und trennte den Kopf ab; dann stellte er das Video der Tat online. Dort blieb es nur Minuten stehen. Ebenso kurz dauerte noch das Leben des Angreifers: Eine Polizeipatrouille stellte und erschoss ihn, als er mit Messer und Softgun aggressiv gestikulierte.

Frankreich war schockiert. Präsident Emmanuel Macron fuhr sofort zum Tatort und sagte: "Die Terroristen werden nicht durchkommen."

Karikaturen im Unterricht

Als hätte Frankreich noch nicht genug zu schaffen mit steigenden Corona-Infektionszahlen und einer schweren Wirtschaftskrise, kehrt nun auch der Terror zurück. Und dazu eine alte Polemik, aus der Frankreich bis heute keinen Ausweg findet. Das Mordopfer, der 47-jährige Geschichte- und Geografielehrer Samuel Paty, hatte an der Mittelschule in Conflans unter anderem Mohammed-Karikaturen gezeigt. Es waren zum Teil die gleichen, die 2015 in der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo zu einem Massaker mit zwölf Toten geführt hatten. Unklar ist, ob der offenbar beliebte Lehrer das Thema Meinungsfreiheit generell aufbrachte oder nur deshalb, weil in Paris gerade der Prozess gegen die Komplizen der Charlie-Attacke von 2015 läuft.

Auf jeden Fall war sich Paty im Klaren, dass die Frage heikel ist: Er bot den muslimischen Schülern an, das Klassenzimmer zu verlassen, als er die Karikaturen – auf einer reckt der kniende oder betende Prophet seinen Hintern in die Höhe – zeigte. Eine muslimische Schülerin verdrehte dies in einem Video und erklärte, der Lehrer habe die Schüler ihres Glaubens vor die Tür gesetzt. Ihr Vater bezeichnete Paty im Video als Gauner und reichte Klage wegen Pornografie vor Kindern ein.

Der Lehrer konterte mit einer Klage, nachdem er und auch die Schulleitung mehrfach bedroht worden waren. Bei einer Aussprache in der Schule ließ sich die muslimische Familie von einem radikalen Prediger namens Abdelhakim Sefrioui sekundieren. Dieser Vertraute des notorisch antisemitischen Komikers Dieudonné wird beim französischen Geheimdienst in der S-Kartei gefährlicher Extremisten geführt. Auch rief Sefrioui über soziale Medien dazu auf, sich in Conflans "vor der Schule für eine Aktion zu mobilisieren".

Der Attentäter, der 80 Kilometer von Conflans entfernt lebte, fasste dies offenbar auf seine Weise auf: Er reiste zur Schule, deren Adresse in den Videos genannt worden war, und erkundigte sich bei Schülern nach dem Lehrer. Er folgte ihm und tötete ihn dann.

Mehrere Personen in Haft

Bei dem Täter handelt es sich um den 18-jährigen Abdoullak A., der in Moskau geboren und vor zwölf Jahren nach Frankreich gekommen war. Als Gefährder war er nicht registriert. Vier Mitglieder seiner Familie wurden am Wochenende verhaftet, dazu sieben weitere Personen. Unter ihnen der Vater der betroffenen Schülerin sowie Sefrioui.

Für die Justiz wird sich die Frage stellen, inwieweit Letztere als Anstifter belangbar sind. Sie hatten nicht zu einem physischen Angriff aufgerufen, aber in den sozialen Medien gegen den Lehrer gehetzt. Aber kannten sie den Attentäter überhaupt? Abdoullak A. war jedenfalls geheimdienstlich unbelastet.

Am Sonntag betonten viele Teilnehmer der Demos, die Meinungsfreiheit und damit auch das Recht auf Blasphemie sei in Frankreich sakrosankt; die Karikaturen nicht zu publizieren bedeute ein Nachgeben gegenüber Islamisten. Besonnene Franzosen fragen allerdings, ob die bewusst provokativen und respektlosen Mohammed-Karikaturen das passende Mittel sind, Islamismus zu bekämpfen. Denn diese Frage wird von den Salafisten ebenso bewusst benützt, um gemäßigte Muslime auf ihre Seite zu ziehen.

Der Vorsteher des muslimischen Kultusrates CFCM, Mohammed Moussaoui, verhehlte am Samstag nicht, dass die französischen Muslime eine "spezielle Position" zu den Karikaturen einnähmen – im Klartext: dass sie gegen diese Zeichnungen sind. Aber er machte auch in aller Deutlichkeit klar, dass sie daraus keine Affäre machen wollten. Sie ignorierten die Karikaturen vielmehr, führte Moussaoui aus. "Sie halten sich voll an die Sitten und Gesetze der Republik, und sie lehnen jede Form von Gewalt ab." (Stefan Brändle aus Paris, 18.10.2020)