Raimund Löw, Steven Erlanger, Eva Nowotny und Timothy Snyder (li. nach re.) debattierten im Burgtheater mit Ivan Vejvoda (Mitte).

Foto: Matthias Cremer

Was tun am Tag danach? Wird Donald Trump eine Niederlage gegen Joe Biden anerkennen, sofern er am 3. November verliert? Und was würde die EU sagen, wenn der Staatschef zur Gewalt aufrufen sollte? Keine reine Fiktion jedenfalls sei ein solches Szenario, fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Diskussion zu US-Wahlen und EU Sonntagvormittag im Wiener Burgtheater. "Das Interessante an seinem Putsch ist, so wie an allem anderen, was er tut: Er kündigt es vorher an", sagte dazu Historiker Timothy Snyder. Trump habe mehrfach gesagt, dass er einer Niederlage nicht trauen werde und dass sich der Supreme Court mit einem Stopp der Auszählung werde befassen müssen.

Auf die Möglichkeit von Gewalt verwies auch Journalist Raimund Löw, der gemeinsam mit Österreichs Ex-US-Botschafterin Eva Nowotny und dem Brüssel-Korrespondenten der "New York Times" Steven Erlanger zu der Runde geladen war, die Burgtheater, Erste Stiftung, das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) und DER STANDARD gemeinsam veranstalteten. Löw verwies auf Frage von Moderator Ivan Vejvoda auf die jüngsten Volten im Wahlkampf.

Haftdrohungen für Gegner

Erst in der Nacht auf Sonntag hatte Trump bei einer Wahlveranstaltung gesagt, man solle "alle einsperren" – und dabei seine politischen Gegner gemeint. Vor allem aber hatte es der Präsident auf die demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, abgesehen, weil diese im Kampf gegen die Corona-Pandemie auf harte Maßnahmen setzt. Er distanzierte sich dabei auch nicht von Gewalt. Vor gut einer Woche hatte das FBI eine Gruppe Rechtsradikaler ausgehoben, die durch eine Entführung Whitmers und das Zünden von Bomben ein Ende des Lockdowns durch Terror erzwingen wollten. "Ich glaube, sie meinen, sie würden bedroht", sagte Trump über Whitmer und die Demokraten sarkastisch.

IWMVienna

Dennoch, so Löw: In den USA werde über Trumps Äußerungen frei berichtet, der Präsident müsse sich mit Kritik öffentlich konfrontieren lassen. Das unterscheide das US-System unter Trump von autoritären Staaten wie Russland und China, aber auch von Ländern wie Ungarn oder Polen. Für die EU bedeute das, dass es Hoffnung gebe. Und es heiße auch, dass die Beziehung zumindest derzeit noch auf dem Boden gemeinsamer Haltungen fuße, die man mit einem guten Teil der Zivilgesellschaft teile. Aber: "Die ganze Welt wird damit umgehen müssen, dass ein guter Teil der US-Bevölkerung in einem extrem rechten Denkmodus ist."

Die Gelegenheit der EU

Eine Gefahr für die EU sei es jedenfalls, würde Trump erneut gewählt oder einfach im Amt bleiben, gab Nowotny zu bedenken. Wäre eine einheitliche Haltung der EU möglich? "Die Verführung für manche Regierungen wäre groß, dass sie ihre üblichen Pilgerfahrten nach Washington unternehmen und ihren Kotau machen." Für den Zusammenhalt in der EU aber, so Nowotny, wäre das fatal. Eine Spaltung Europas sah in diesem Fall auch Erlanger als möglich an. "Wenn es so schwer ist, Sanktionen gegen Belarus zu beschließen, dann fragt man sich, was Europa dann tun könnte – außer hoffen und beten", sagte er.

Positive Worte zum Schluss suchte schließlich Snyder. Vier Jahre Trump-Regierung hätten vormals unpolitische Menschen aufgeweckt, die 2016 nicht gewählt hatten, nun aber zu den Urnen gingen. Und sollte Biden gewinnen, würde das auch der EU neue Möglichkeiten geben: Die USA wären zunächst mit ihrer Innenpolitik beschäftigt – eine gute Gelegenheit für Europa, einen Vorschlag über künftige Beziehungen zu machen. (Manuel Escher, 19.10.2020)