Die FPÖ um Parteichef Norbert Hofer wird sich auf lange Sicht entscheiden müssen, welchen Kurs sie einschlagen möchte: Frontaloppositon nach Herbert Kickl oder den offenbar koalitionsfähigeren von OÖ-Landesvize Manfred Haimbuchner.

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Am Tag der Wien-Wahl war im freiheitlichen Lager Endzeitstimmung. Die Ibiza-Affäre, aber vor allem die Spesenaffäre von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der private Vorlieben im großen Stil über die Partei abgerechnet haben soll, schmiss seinen früheren Intimus Dominik Nepp fast aus dem Stadtparlament. Viel hat nicht gefehlt. Bei etwas mehr als sieben Prozent blieb die FPÖ stehen – ein Minus von 23,68 Prozentpunkten.

Noch am selben Abend rückte die gesamte Parteielite aus, um sich das Ergebnis, so gut es geht, schönzureden und einer personellen Umwälzung prompt eine Absage zu erteilen. Nach den Affären sei das Debakel absehbar gewesen, die Schuld trage Strache, dessen Antreten bei der Wien-Wahl die Beziehung zu seiner alten Liebe nur noch unversöhnlicher werden ließ. Norbert Hofer bleibt also vorerst Parteichef, Nepp soll die schwer demolierte FPÖ in Wien weiter anführen.

In der Gesamtheit könne man so aber nicht weitermachen, stellte der niederösterreichische Landeschef Udo Landbauer nach der Wahl klar. Auch sein Parteikollege aus Tirol, Markus Abwerzger, forderte eine inhaltliche Neuaufstellung der FPÖ. Etwa in der Sozialpolitik müsste man Kante zeigen und auf die Probleme im Zuge der Corona-Krise stärker hinweisen. Abwerzger will auch eine Verbindung von Naturschutz und Heimatbewusstsein schaffen. "Die Palette der FPÖ muss größer werden", sagte er. Fad wird Hofer in nächster Zeit nicht, wenn sich die Partei wirklich umfassend erneuern will. Blaue Baustellen gibt es genug.

1. Trennung vom Rechtsextremismus

Eines der Hauptprobleme der FPÖ bleibt ihre Haltung zu den rechtsextremen Umtrieben in und um die Freiheitliche Partei. Dass ihr Umgang damit unglaubwürdig ist und dass sie die Sache bis heute nicht ernst nimmt, zeigt nicht zuletzt der eilig fertiggestellte Historikerbericht. Die FPÖ beschäftigte sich nur halbherzig mit ihrer braunen Vergangenheit und verharmloste etwa die Involvierung des Parteigründers Anton Reinthaller im Nationalsozialismus, obwohl er einen Ehrenrang bei der SS hatte. Ganz generell ist es für die FPÖ eher Angriff als Aufklärung, wenn auf die unzähligen "Einzelfälle" aufmerksam gemacht wird. Von ihren rechtsextremen Verbindungen löst sie sich nur, wenn es öffentlich nicht mehr anders geht –und auch dann teils nicht ganz. Erst nachdem eine Spende des Christchurch-Attentäters an Identitären-Chef Martin Sellner bekannt geworden war, nahm die FPÖ öffentlich Abstand. In der Identitären-nahen Postille "Info-Direkt" geben blaue Funktionäre aber noch gern Interviews. Das muss die FPÖ abstellen.

2. Führerkult muss ein Ende haben

Spätestens seit den verhängnisvollen Stunden in der spanischen Finca auf Ibiza ist für viele Freiheitliche klar: Der Führerkult in der FPÖ muss ein Ende haben. In den vergangenen Jahren überstrahlte Ex-Frontmann Heinz-Christian Strache alles und jeden in der Partei. Dieses Geschäftsmodell ging lange gut. Darunter litt aber die FPÖ im Gesamten. Straches Ende hinterließ eine riesige Lücke. Der Doppelspitze aus Norbert Hofer und Herbert Kickl fehlt es an Zugkraft. Das wird sich wohl nicht ändern. Grund genug, nicht nach einem neuen Strache zu suchen, sondern die FPÖ auf breitere Beine zu stellen. Bis heute ist es so, dass die Linie medial von Wien aus vorgegeben wird, nun eben von Hofer und Kickl. Aus den Bundesländern schaltet sich nur Oberösterreichs Landesvize Manfred Haimbuchner häufiger ein. Die Bereichssprecher hört man meist lediglich im Plenum. Manche wie Doppeldoktor und Doppelmagister Hubert Fuchs, Finanzsprecher und Ex-Finanzstaatssekretär unter Türkis-Blau, kann man ruhig öfter vor den Vorhang holen.

3. Antihaltung allein wird nicht reichen

Der nächste Wendepunkt für die FPÖ liegt in Oberösterreich. Nach dem Debakel der Wiener Freiheitlichen muss der stellvertretende Landeshauptmann Manfred Haimbuchner 2021 bei der Wahl im Industriebundesland liefern und die Koalition mit der ÖVP erhalten. In seinen Reihen glaubt man, dass ein herzeigbarer Erfolg Haimbuchners den Weg der Bundespartei beeinflussen wird. Langfristig stellt sich nämlich die Frage, wohin die FPÖ will: Sieht man die Frontalopposition mit hart rechten Tönen als Daueraufgabe, oder will man doch wieder mitregieren? Ein einflussreicher Parteifunktionär hält alles andere als Variante zwei für verfehlt. Dafür muss die FPÖ aber inhaltlich zulegen. Auch der freiheitliche Ideologe Andreas Mölzer sagte unlängst im STANDARD, dass das Thema Migration allein zu wenig ist. Zu Beginn der Corona-Krise stand die FPÖ deshalb auch ohne Thema da und fällt nur mit Antiregierungshaltung und weniger mit eigenen Konzepten zur Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auf.

4. Direkte Demokratie statt Aufwiegeln

Immer wieder trommelt die FPÖ für mehr Bürgerbeteiligung, etwa in Form von Volksabstimmung. Doch just als sich eines der größten Volksbegehren für rauchfreie Lokale aussprach, setzte die FPÖ das Gegenteil davon um – auch wenn eine Volksabstimmung immerhin angedacht wurde. Eine Partei, die vehement für mehr Mitbestimmung trommelt, fehlt in Österreich derzeit. Hier könnte die FPÖ einen großen Bogen spannen: Um Entscheidungen treffen zu können, müssen Bürger gut informiert sein. Daher ist ein Transparenzgesetz eine notwendige Voraussetzung. Und statt plump gegen die "Technokraten in Brüssel" Stimmung zu machen, könnte sich die FPÖ zur großen Vertreterin der Subsidiarität aufschwingen. Sprich: Am besten entscheidet das meiste mit Mitsprache der Bürger der betroffene Bezirk, dann das Bundesland, dann der Bund und dann erst die EU. Dazu gehört aber, zu erklären, warum manches in Brüssel doch besser aufgehoben ist – und Abstimmungen gegen die eigene Position zu akzeptieren.

5. Die FPÖ braucht ein Wirtschaftskonzept

Wirtschaftspolitik und die FPÖ, das war noch nie eine konzise Sache. Die Freiheitlichen inszenieren sich als Vertreter des kleinen heimischen Mannes und fordern gerne höhere Mindestlöhne und -pensionen sowie eine riesige Steuerreform ohne Gegenfinanzierungspläne. Die Blauen sind aber auch traditionell unternehmerfreundlich und wollen kostspielige Entlastungen für Firmen durchsetzen. Dem gegenüber steht das Ziel eines Nulldefizits, einer Schuldenbremse in der Verfassung und der Grundgedanke eines schlanken Staats. Auf Ibiza zeigte sich die FPÖ auch noch bereit, die Reste der staatsnahen Betriebe zu verscherbeln, wenn gewünscht. Wenn die Blauen ernst genommen werden wollen, brauchen sie ein nachvollziehbares Wirtschaftskonzept. Durch die Corona-Krise stehen gerade viele Kleinunternehmer und Traditionsbetriebe vor dem Ende oder haben es bereits hinter sich, auch weil die türkis-grünen Hilfen teils nicht ankommen. Das ist eine historische Chance für die FPÖ.

6. Umweltschutz als soziale Frage

In den zehn "Leitsätzen freiheitlicher Politik" kommt das Thema Umweltschutz nicht vor. Ex-Chef Heinz-Christian Strache stellte den menschengemachten Klimawandel infrage, Norbert Hofer sprach mit Blick auf Aktivistin Greta Thunberg von einer "Zöpferldiktatur". Ausgerechnet die Ablehnung der zuvor heimlich auf Ibiza diskutierten Wasserprivatisierung spielte im Wahlprogramm 2017 noch die größte umweltpolitische Rolle. Dabei könnte der Klimawandel das Österreich, dessen Landschaft die FPÖ so liebt, drastisch verändern – Stichwort Gletscherschmelze. Und die Maßnahmen dagegen die blaue Kernklientel treffen, die überwiegend auf ihr Auto und leistbares Benzin angewiesen ist; Stichwort Gelbwesten in Frankreich. Auch Biolebensmittel können sich weite Teile der Bevölkerung nicht leisten. Ein Weg könnte sein, Homeoffice (wenn möglich) und regionale Produkte, vom Ei bis zum Urlaub, zu forcieren und Anreize für deren Konsum zu bieten. Also: Rot-weiß-rot die Umwelt und damit auch Traditionen schützen.

7. Freiheit ist mehr als der Parteiname

Die FPÖ verweist gern auf ihr Erbe der Revolution 1848, die sich gegen das System Metternich richtete. Also auch gegen Zensur, zu starke staatliche Eingriffe und einen Überwachungsstaat. So wetterte Herbert Kickl vor Türkis-Blau gegen den Bundestrojaner. Aber als Innenminister wollte er ihn sofort einführen. Ein Kabinettsmitarbeiter betrieb einst das Rechtsaußen-Portal unzensuriert.at, dann entschloss das Kabinett, bestimmte Medien – darunter den STANDARD – von Informationen auszuschließen, also indirekt zu zensurieren. Eine klare Linie ist das nicht, ein Ruhmesblatt ebenso wenig. Dabei ist mit dem großen Wort "Freiheit" einiges zu holen – und es schadet politisch nicht, gewisse "Zwänge" infrage zu stellen, um eine Debatte darüber anzustoßen: etwa die verpflichtende Kammermitgliedschaft oder Rundfunkgebühren. Zur Schwächung des Proporzsystems hat die FPÖ einst entscheidend beigetragen. Doch wenn die Partei an der Macht war, entschied sie sich bislang, selbst um- und einzufärben.

Der 7,11. Punkt

Sämtliche Affären müssen öffentlich aufgearbeitet werden. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 19.10.2020)