Wien – Milch in der Mehrwegflasche: Konsumenten haben sie gern. So gern, dass es ihnen auf ein paar Cent mehr nicht ankommt. 1,69 Euro je Liter plus 22 Cent Pfand ist ihnen jene Milch wert, die die größte heimische Molkerei, Berglandmilch, an den zwei Standorten in Wörgl in Tirol und in Aschbach-Markt in Niederösterreich abfüllt. Dort wird auch Schärdinger-Berghofmilch und Tirol-Milch in Mehrwegglas gefüllt.

"Aus heutiger Sicht ist der Umstieg auf Mehrwegglas der einzig richtige Schritt gewesen", sagt Josef Braunshofer, Geschäftsführer der Berglandmilch. Über 400.000 Ein-Liter-Milch-Mehrwegflaschen werden heute an die Kunden im Handel gebracht, doppelt so viele wie am Anfang. Jetzt werde emsig an der Erweiterung des Sortiments gearbeitet. Milch in der Halbliterflasche, Kakao, Latella, Fruchtjoghurt, all das soll in den nächsten Monaten auch im Mehrwegglas zur Auswahl stehen.

Von heute auf morgen sei die Umstellung nicht erfolgt, so Braunshofer. 2017 habe man sich gedacht, vielleicht sei Glas wieder eine interessante Verpackung für Milch. Begonnen hat man mit Einwegglasflaschen.

80 Prozent Mehrwegverpackungen waren hierzulande in den 1990er-Jahren üblich, der Rest Einweg. Jetzt ist das Verhältnis umgekehrt.
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Mehrere Marken führten vor rund zwei Jahren die ersten Milch- und Joghurtprodukte in der Einwegglasflasche ein. Daran gab es Kritik. Die Ökobilanz von Einwegglasflaschen ist – abhängig auch vom Transportweg – rasch schlechter als jene von Kartonverpackungen, entzauberten Umweltexperten die Idee, Glas sei per se umweltfreundlich. Der Handel hatte auch Argumente parat, warum man sich gegen ein Mehrwegsystem entschieden hat. Man wolle testen, ob es Interesse der Kunden gibt, hieß es etwa.

Preissensibilität

Berglandmilch argumentierte damals noch mit hohem Aufwand. Wiederbefüllbare Flaschen müssten aus einem dickeren Glas bestehen, gelagert, transportiert und dann gereinigt werden. Da gelte es zu prüfen, ob sich das umsetzen lasse. Tatsächlich hat man wohl auch getestet, wie preissensibel die Kunden sind. Jene, die beherzt zugriffen, waren es offenbar nicht sehr: Der Preis der Biomilch im Glas lag zum Teil um bis zu vierzig Cent über dem der Biomilch im Tetra Pak.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass sich die Umstellung auf Mehrweg rechnet, trotz des hohen Aufwands: Berglandmilch hat immerhin acht Millionen Euro in eine Glasanlage, eine Waschanlage und eine Lagerhalle in Aschbach-Markt in Niederösterreich investiert. Rund zwölfmal soll eine Flasche wiederbefüllt werden. Die Erfahrungen seien gut, sagt Braunshofer. Die Flaschen kämen so sauber zurück, dass etwa der Aufwand für die Reinigung kleiner sei als ursprünglich angenommen.

Wer in Deutschland leere Cola-Flaschen brav zurückbringt, bekommt je Flasche 25 Cent retourniert. Über eine ähnliche Höhe zwischen 25 und 30 Cent wird auch hierzulande diskutiert. Derzeit haben aber nur zehn EU-Staaten ein Pfandsystem installiert.
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Auch Gerhard Zoubek, Geschäftsführer des Marchfelder Adamah-Biohofs, verwendet Mehrwegglas. Er will das Angebot von derzeit 30 Prozent in den nächsten Jahren auf 50 Prozent hochfahren und ist davon überzeugt, dass sich die Sache auch für kleinere Produzenten rechne – als Alleinstellungsmerkmal, wie er sagt.

Eingeladen waren beide ebenso wie Anke Bockreis, Professorin für Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement an der Uni Innsbruck, von Greenpeace, um noch einmal die Argumente für ein Pfand auf Plastikflaschen auf den Tisch zu legen. Sowohl Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit als auch Bockreis sind davon überzeugt, dass der "Drei-Punkte-Plan gegen die Plastikflut", den die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler in diesem Herbst vorgelegt hat, nur der Anfang sein könne.

Befürchtete Kostenflut

Geplant sind eine Herstellerabgabe, eine Mehrwegquote in Supermärkten und ein Einwegpfand, der nicht nur auf Plastikflaschen, sondern auch auf Dosen eingeführt werden soll. Vor allem Handelsvertreter und die Wirtschaftskammer sind vehement dagegen. Der Handelsverband argumentiert mit der Belastung: "Gerade jetzt wäre eine finanzielle Mehrbelastung von jährlich 10.500 Euro pro Betrieb durch die Einführung eines Einwegpfandsystems volkswirtschaftlicher Wahnsinn. Daher lehnen wir dies geschlossen und vehement ab", erklärt etwa Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will (hier finden sich die Positionen des Handelsverbandes).

Bis Ende des Jahres soll eine Verhandlungslösung stehen. Die Wirtschaft bestehe nicht nur aus der WKO, die Horrorszenarien an die Wand male, so Egit. Er hebt lieber Pioniere wie Vöslauer, Coca-Cola, Egger Getränke, den Handelsriesen Spar und eben Berglandmilch hervor: "Gute Beispiele, dass das geht", so Egit.

Was die von der Wirtschaft befürchtete Kostenflut betrifft, so hält man hier mit der von Gewessler in Erinnerung gerufenen Option einer "Handling Fee", einer Art Bearbeitungsgebühr zur Kompensation für den Handel, dagegen. Gewessler hatte auch betont, dass für kleinere Händler Ausnahmen vorgesehen seien, diese also keine Rückgabeautomaten anschaffen müssten. Der Handel wolle durch den harten Widerstand den "Preis in die Höhe bringen", mutmaßt Egit, also höhere Kompensationszahlungen herausschlagen.

In Wien sollen vergleichsweise wenige Plastikflaschen dort landen, wo sie hingehören: im Container.
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Auch das Argument der Pfandgegner, darunter auch die für die aktuelle Mülltrennung zuständige Altstoff Recycling Austria (ARA), dass es preiswerter und alltagstauglicher sei, die bestehende Kreislaufwirtschaft auszubauen, lässt man nicht gelten. Die Kammer argumentiert, die Einführung eines Pfandsystems würde den Einkauf verteuern und so Konsumenten treffen – und Unternehmen hätten Mehrkosten von mindestens 60 Millionen Euro pro Jahr. Egit kontert mit der EU-Plastikabgabe ab 2021, die Mehrkosten von bis zu 160 Millionen Euro jährlich bedeuten würde.

Würde sie tatsächlich, wie von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ventiliert, aus dem Budget berappt, würde das eben alle Steuerzahler treffen. Dazu kämen drohende Strafzahlungen, sollte Österreich die von der EU vorgegebene Sammelquote von 90 Prozent nicht erreichen.

Die aktuelle Sammelquote in Österreich beläuft sich im Schnitt auf 70 Prozent. Wobei in Tirol, Vorarlberg und im Burgenland bereits 90 Prozent der Einwegflaschen aus Plastik ihren Weg in den gelben Container finden sollen. Dass es in Wien nur 30 Prozent sind, wie zu hören ist, zweifelt Bockreis an. Sie hat auch noch ein Argument, was die Kostenseite betrifft: Auch die Alternative einer intensiveren Mülltrennung koste Geld, die Kosten würden dann eben über Müllgebühren auf die Konsumenten zukommen.

Bessere Stimmung

Dienstagnachmittag wird das ursprünglich für die erste Oktoberwoche geplante Treffen mit Stakeholdern stattfinden. Es wurde ja abgesagt, weil sich die grüne Ministerin Gewessler Corona-bedingt in Selbstisolation begeben hatte. Die Chancen auf eine Annäherung stehen nicht so schlecht: Nach der Wien-Wahl dürfte Zündstoff, der auch in dieser Sache für Reibung sorgte, weggefallen sein.

Während Gewessler mit dem Drei-Punkte-Plan ins Rennen geht, legt die Wirtschaftskammer ihren Zehn-Punkte-Plan auf den Tisch. Einige der Eckpunkte: eine österreichweit einheitliche Sammlung direkt in den Haushalten im gelben Sack oder in der gelben Tonne, mehr Aufklärung, neben herkömmlichen Mistkübeln eigene Wertstoffbehälter auf Spielplätzen, Wanderwegen und Radwegen. Zusammengefasst: bessere Erfassung von Wertstoffen, bessere Sortierung und Bewusstseinsbildung. So will man ohne Pfandsystem auskommen und dennoch die von der EU vorgegebene Sammelquote von 90 Prozent bis 2029 erreichen. (rebu, 20.10.2020)

Anmerkung: Dieser Artikel wurde um die Positionen des Handesverbands ergänzt.