Bruce Springsteen ist mit der E-Street Band wieder vereint und spielt erwartbare Bossmusik. Doch das hat etwas Tröstliches.

Foto: Danny Clinch

Die Songtitel führen in die Irre. Sie klingen, als würde da jemand die letzten Dinge erledigen: One Minute You’re Here. If I Was the Priest. Ghosts oder I See You in My Dreams. Die Daseinsschwere mag das Gemüt des Bruce Springsteen verdunkeln, anhören tut man ihm das nicht.

Am Freitag erscheint das Album Letter to You des Mannes aus New Jersey. Angekündigt hatte er es bereits vor seinem letzten. Denn auf dem im Sommer 2019 erschienenen Western Stars verließ der Boss gerufene Rockstar sein angestammtes Terrain und schielte rüber zur Westcoast. Anstatt mit dickem Hals und hartem Arm malte er den von ihm so facettenreich besungenen amerikanischen Traum eher feingliedrig, mit Streichern und Mut zum Kitsch in den Himmel. Sogar ein vor Klischee triefendes und vor Schweiß glänzendes Ross auf dem Cover des Albums durfte nicht fehlen.

Ein Film zum Album

Doch Springsteen warf sich noch vor dem Erscheinen von Western Stars in den Staub und kündigte an, er werde selbstredend die E-Street-Band wieder bemühen, sobald es seine Dinertermine erlaubten – und mit dieser an ihm wie eine Extremität verwachsenen Combo ein neues Album aufnehmen, das wieder nach Hausmarke klinge; bei seiner Ehr‘!

Der vorauseilende Bauchfleck erwies sich als unnötig, Western Stars war ein schönes Album und verkaufte sich entsprechend. Nun erscheint also ein Wiedergutmachungswerk für einen nicht verursachten Schaden, und es ist, nun ja, ein Springsteen-Album mit der E-Street-Band geworden. Begleitet wird es von einem Film, der seine Entstehung einfing und ab Freitag via Apple TV+ abrufbar ist.

BruceSpringsteenVEVO

Aufgenommen hat Springsteen sein 20. Studioalbum im Rekordtempo. Sonst nicht immer der Schnellste im Studio, hat er zwei Songs pro Tag eingespielt, zwölf insgesamt, live, ohne Overdubs und Firlefanz – seine erweiterte Familie braucht das nicht. Stattdessen steht die Orgel wie immer gut im Saft, die Klaviertasten hüpfen, Springsteen bläst die Harmonika, es kleistert das Saxofon – Springsteen ist ja der König des Saxofonrock. Mit diesem traditionellen Line-up spielt er erwartbare Bossmusik.

Bilder und Gefühle

Doch es mag dem Unsäglichen im Weißen Haus geschuldet sein, dass sich die Musik des heute 71-Jährigen so wohltuend anhört, einen daran glauben lässt, dass das gute Amerika letztlich obsiegen könnte. Der Boss als Working-Class-Hero stellt mit seiner Kunst den Kitt her, der die gespaltene Gesellschaft wieder eint, während Jake Clemons dazu in die Tröte trötet.

Bruce Springsteen

Das ist natürlich Wunschdenken und Hippie-Fantasie, denn da gebricht es ja bei vielen am grundsätzlichen Verständnis. Während der Unsägliche mit Corona im Krankenhaus siechte, spielten seine Anhänger draußen vor der Tür Springsteens Born in the U.S.A., um ihm beizustehen. Ein ewiger Irrtum, dem schon der Wahlkampftross des Ronald Reagan in den 1980ern erlegen war. Springsteens berühmtester Song hat nichts mit dem Hurrapatriotismus zu tun, für den er beständig missbraucht wird. Es ist quasi sein I am from Austria – selbst wenn der Vergleich wehtut.

Der verbaute Bruder des Patriotismus

Doch als Chronist einer Amerika-Vorstellung, die die westliche Kunst des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat, spielt Springsteen mit Bildern, die jene Gefühligkeit bedienen, die den sprichwörtlichen Optimismus der US-Amerikaner ebenso nährt wie den Patriotismus – und im Kollateralschaden auch seinen hässlich verbauten Bruder, den Nationalismus.

Springsteen als die Stände überbrückender Star mag mit euphorisch dargebrachten Liedern wie The Power of Prayer oder Ghosts tatsächlich Menschen zusammenbringen – wenn auch nur in der Fantasie, die seine Songs in ihnen stimuliert. Er bemüht sich um so etwas wie Spiritualität, ohne der Religion auf den Leim zu gehen. Sein Gott, keine Frage, der heißt Rock ’n’ Roll.

Als bald 60 Jahre in dessen Dienst stehender Wanderprediger verschreibt er sich auf Letter to You einmal mehr dem Licht, ohne die Schatten zu ignorieren. Klingt gut und fühlt sich auch so an. Und der Unsägliche ist ja tatsächlich gesundet. Ob es an der selbst verschriebenen Bleiche lag oder vielleicht doch an Bruce Springsteens Musik – wer weiß das schon? (20.10.2020)