Die Oceanbird soll schon in vier Jahren auf dem Atlantik unterwegs sein.

Foto: Wallenius Marine

Kann man noch von Innovation reden, wenn man mittels einer jahrhundertealten Technik ein neues Zeitalter der Schifffahrt einleiten will? Die schwedische Reederei Wallenius Marine ist davon überzeugt, und tatsächlich muss man ihr zugutehalten, dass die modernen Segel von heute mit den alten wenig bis gar nichts mehr zu tun haben. Viel eher muten sie an wie Tragflächen von Flugzeugen. Ähnliche Segel kommen mitunter bereits im Segelsport zum Einsatz und sorgen dort für Geschwindigkeitsrekorde.

Die Geschichte bisher.
Wallenius Marine

Fünf Stück harter Segel sollen schon 2024 auf der Oceanbird landen und der Frachter damit in See stechen. Der erfahrene Schiffsbauer will durch die völlig neu konzipierten, 200 Meter langen und 40 Meter breiten Schiffe bis zu 7.000 Fahrzeuge von Autobauern in Europa und den USA zu ihren jeweiligen Kunden auf der anderen Seite des Nordatlantiks schiffen. Zunächst will man sich auf sogenannte Roll-on-Roll-off-Transporte konzentrieren, also alles, was auf vier Rädern transportiert werden kann. Theoretisch sei das Konzept aber freilich auf alle Frachten anwendbar, heißt es bei Wallenius Marine.

Während für den Betrieb in den Häfen und zur allgemeinen Sicherheit auch ein Motor "mit sauberer Energie" mit an Bord ist, soll auf hoher See die Windkraft allein für eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund zehn Knoten (rund 18,5 km/h) sorgen. Damit liegt man bei weitem nicht im Spitzenfeld, was Atlantiküberquerungen betrifft. Ganz im Gegenteil: Man braucht sogar rund vier Tage länger als mit handelsüblichen Verbrennerfrachtschiffen. Dennoch glaubt man, die Rentabilität durch die enorme Spritkostenreduktion zu erreichen, aber auch, mit dem Umweltargument zu punkten.

Viel weniger CO2

Satte 90 Prozent weniger an Kohlendioxid würde die Oceanbird laut Berechnungen der renommierten Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm (KTH) und des maritimen Forschungsinstituts SSPA, die ebenfalls an der Entwicklung beteiligt sind, ausstoßen.

Die Segel lassen sich um 360 Grad wenden und bis zu 60 Meter einfahren.
Foto: Wallenius Marine

Auf die gesamte Schifffahrtsindustrie hochgerechnet wäre der Effekt immens. 40 Tonnen Brennstoff pro Tag braucht ein handelsüblicher Frachter aktuell bei seinen Trips auf den Weltmeeren. Mehrere hundert sind tagtäglich von ihnen unterwegs. Knapp 80 Prozent der Fracht weltweit werden per Schiff transportiert. Insgesamt zeichnet die Industrie für zwei Prozent der globalen Kohlendioxidausstöße verantwortlich. Es ist eigentlich nur mehr eine Frage der Zeit, bis auch auf den Weltmeeren strengere Umweltgesetze gelten müssen. Alles wieder zurück zu den Anfängen der Schifffahrt also?

Überwindbare Hürden

Noch gibt es Hürden, vor allem bei der Konstruktion der bis zu 80 Meter hohen und um 360 Grad rotierbaren Segel. Immerhin sind die ausgefahrenen Segel doppelt so hoch wie heute üblich. Bei Starkwind oder dem Unterfahren von Brücken sollen sie aber um bis zu 60 Meter eingefahren werden können. Dann ragen sie "nur" mehr 45 Meter über dem Meeresspiegel empor. Unüberwindbar seien die Herausforderungen aber nicht mehr. Vorstandsmitglied Per Tunell sprach vor wenigen Wochen davon, dass er sich im Gegensatz zur Einschätzung vor fünf Jahren mittlerweile zu hundert Prozent sicher sei, dass das Schiff vom Stapel laufen würde. Sowohl die Technik als auch der Markt seien mittlerweile bereit. Es gebe "eine wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen". Und die zahlreichen Forschungsergebnisse der Windmessungen in bis zu 100 Meter Höhe hätten viele verwertbare Ergebnisse gebracht.

Neben allerlei Forschung in Windkanälen und anderen Einrichtungen wird aktuell auch noch mit einem rund sieben Meter langen, ferngesteuerten Schiff ein Testbetrieb erprobt. Besonderes Augenmerk muss dabei darauf gelegt werden, das Schiff trotz der enormen Windstärken von der Seite möglichst wenig in Schräglage über das Wasser fahren zu lassen. Kenner der Schifffahrtsbranche sehen vor allem positiv, dass es sich bei der Reederei um einen Betrieb handelt, der seit mehr fast 90 Jahren im Geschäft ist. Unterstützt wird das Projekt außerdem mit fast drei Millionen Euro auch vom schwedischen Staat. All dies spreche für eine wahrscheinlichere Umsetzung als bei so manch exotischer Start-up-Idee mit Drachen oder einem windauffangenden Rumpf. Die Kosten für die Oceanbird sollen übrigens nicht höher sein als bei einem herkömmlichen Frachter. (Fabian Sommavilla, 22.10.2020)